Finsterforst - Jenseits | |
---|---|
Review von Zephir vom 01.10.2023 (5294 mal gelesen) | |
Eins ist gewiss: In den vergangenen Jahren habe ich viel zu wenig Pagan Metal gehört. Und Folgendes ist noch gewisser: Ich habe mich viel zu wenig mit FINSTERFORST beschäftigt. Die Mannen aus dem Schwarzwald, die schon seit 2004 in der Szene unterwegs sind und damit die Hochzeit des Heidensturms in den Nuller Jahren mitgestaltet haben, produzierten jüngst ein neues Album, welches sie selbst bescheiden als "Mini-Album" bezeichnen und das aller Bescheidenheit zum Trotz mit ungeahnter epischer Wucht einschlägt. "Jenseits" entstand während der Covid-Pandemie, gefördert durch die Unterstützung zahlreicher Fans. Im Grunde handelt es sich um einen einzigen überlangen Track, der in vier Kapitel unterteilt wurde und insgesamt knapp 40 Minuten füllt. Wer es nicht wusste: Stilistisch haben sich FINSTERFORST vom akkordeonlastigen Folk Metal entfernt und klingen nunmehr regelrecht skandinavisch. Thematisch ist "Jenseits" allerdings eine gesellschaftskritische Bestandsaufnahme aktueller Welt- und Lebensgefühle, womit das Sextett sich dem deutschsprachigen Avantgarde Black Metal annähert. Das überraschend experimentierfreudige Songwriting von Simon Schillinger verstärkt diese Tendenz. Seit 2010 bereits singt Oliver Berlin im Lead und die Stimmgewalt pustet einen gleich im Opener 'Kapitel I - Freiheit' davon. Mit heroisch-rauen, mehrstimmigen Klargesängen und brachialem Viking-Riffing geht es los, was zunächst sehr pagan anmutet; im weiteren Verlauf offenbart sich das musikalische Geschehen aber als zeitgenössisch und komplex. 'Kapitel II - Dualitaet' folgt quasi übergangslos. Die Komposition spielt mit rhapsodischem Variantenreichtum und schlägt gerne progressive Haken; die ausladende Breite und Tiefe des Arrangements weckt immer wieder Erinnerungen an MOONSORROWs legendäres Album "Varjoina Kuljemme Kuolleiden Maassa" (2011). Der lyrische Gehalt, verfasst von Oliver Berlin, widmet sich einer kritikwürdigen Menschenwelt, die dem eigenen Drang nach Freiheit unversöhnlich gegenübersteht - auch in dieser Hinsicht wird der Rahmen des traditionellen Pagan Metal gesprengt. Man beachte hierzu übrigens auch das sprechende Coverart von Yaroslav Gerzhedovich. Mystisch und beschwörerisch präsentiert sich 'Kapitel III - Reflexionen' fast wie ein Intermezzo, mit fünfeinhalb Minuten das kürzeste Kapitel, aber reich garniert mit Akustikinstrumenten und archaischen, raunenden Gesängen. Als vokale Unterstützung und Gastmusiker sind auf "Jenseits" übrigens Johannes Joseph mit Akkordeon und Sevan Kirder mit Duduk und Flöte dabei, was in das cineastische Spektakel wieder einen Hauch Folk mit hineinbringt. Und nicht erst zum fast sechzehnminütigen Finale 'Kapitel IV - Katharsis' muss ich an MYRKGRAVs "Trollskau, Skrømt Og Kølabrenning" (2006) denken. Ich übertreibe nicht, wenn ich festhalte, dass FINSTERFORST mit diesem Release das Beste aus allen Pagan- und Avantgarde-Black-Spielarten zusammentragen. "Jenseits" ist gleichzeitig traditionell und progressiv, garstig und verträumt, von einer vieldimensionalen Tiefe, ohne allzu glattpoliert zu sein. Wer etwas zwischen MOONSORROW und AGRYPNIE sucht, sollte unbedingt einmal reinhören. FINSTERFORST finden hier zu einem ganz eigenen Stil, der Vergangenes belebt und gleichsam in die Zukunft blickt. Veröffentlicht wurde "Jenseits" übrigens nicht mehr über Napalm, sondern über AOP - auch das könnte ein Hinweis auf die kommende Ausrichtung der Band sein. Ich persönlich bin überaus gespannt und erkläre "Jenseits" hiermit offiziell zu einem meiner absoluten Favoriten des Jahres 2023. Gesamtwertung: 9.0 Punkte | |
Trackliste | Album-Info |
01. Kapitel I - Freiheit 02. Kapitel II - Dualität 03. Kapitel III - Reflexionen 04. Kapitel IV - Katharsis | Band Website: www.finsterforst.de Medium: CD, 12 Spieldauer: 39:07 Minuten VÖ: 08.09.2023 |
Alle Artikel