Interview mit Saruman von Heimdalls Wacht

Ein Interview von T.Roxx vom 04.06.2017 (18755 mal gelesen)
Anlässlich des grandiosen aktuellen Albums "Geisterseher" habe ich mich mit Saruman und dem neuen Drummer Winterheart von HEIMDALLS WACHT über die Entstehung des Albums, Live-Erfahrungen und andere Dinge unterhalten.

Herzlichen Glückwunsch zu eurem fantastischen neuen Album! Die Releaseparty im Valhalla in Köln-Mülheim war die erste Veranstaltung dieser Art für euch, wie ihr mir vor Ort sagtet. Wie kam es dazu und wie waren der Reaktionen der anwesenden Gäste?

Saruman: Danke für Deine Anerkennung. Es kam dazu, weil wir einige Mitarbeiter im Valhalla gut kennen und diese schon seit Jahren unsere Werke schätzen. Da wir kein Konzert anstehen hatten, aber dennoch irgendwie das Teil offiziell begießen wollten, kamen wir auf die Idee.

Ihr habt letztes Jahr auf dem Wolfszeit-Festival die Bühne mit einigen großen Acts wie SATYRICON, VARG, URFAUST und NARGAROTH geteilt. Was war das für eine Erfahrung für euch? Vor allem, wie waren die Reaktionen des Publikums auf HEIMDALLS WACHT?

Saruman: Wir haben bereits zum dritten Mal auf dem Wolfszeit gespielt. Ich bin mir nicht ganz sicher, was du mit Erfahrung meinst - es war jetzt keine besondere Ehre für uns, da mit diesen Personen nacheinander die Bühne zu teilen, falls du das meinst (wobei die Jungs von URFAUST spitze sind und auch Freki immer ordentlich zu uns war, also nichts gegen die Bands an sich). Ansonsten gibt es wie in jedem Teil des Lebens Vorteile (wir haben gute Leute getroffen und kennen gelernt) und Nachteile (Affenhitze, Affenmenschen, bei Tageslicht auf ner Bühne stehen – machen wir NIE wieder ...). Da ich mit den Nachwirkungen einer Alkoholvergiftung kämpfte, als ich letztlich auf die Bühne stolperte, kann ich nicht so viel zu den Reaktionen sagen. Was ich aber hörte, war, dass unsere neuen Stücke überraschend gut ankamen und unser emotionales Gebretter teilweise erschrocken vom Humpa-verwöhnten Volk aufgenommen wurde, das anscheinend Heidengeschunkel erwartet hatte.

Winterheart: Primär enervierend. Wir mussten stundenlang unserem achtklassigen Hotelzimmer hinterherlaufen, das dann noch den Unflat der verwahrlosten Vormieter enthielt und dessen Reinigung ohne penetrante Behelligung der Festival-Leitung wohl nie vorgenommen worden wäre. Der Nullpunkt der Konvenienz war allerdings erst erreicht, als ich frühmorgens mit einer der maroden Pressholzkisten zusammen gebrochen bin, die uns als „Betten“ vorgesetzt worden waren. Ich habe mich schon früh von der Illusion losgesagt, irgendwann zumindest die Spesen mit der Musik decken zu können, aber mit den Jahren ist meine Toleranzgrenze, was die Unterbringung in abgewirtschafteten Bretterverschlägen und stinkenden Müllhalden sowie die Versorgung mit Abfall und Abwasser angeht, stark gesunken. Was einem da präsentiert wird, liegt in der Regel weit unter der Qualität eines deutschen Flüchtlingsheims. Angesichts der allgemeinen Verhausschweinung des Menschen mag das viele Bands nicht weiter tangieren, mich macht diese Impertinenz und Respektlosigkeit nur noch militant.

Ich habe mal nachgeschaut: mein Review für euer letztes Album "Ut De Graute Olle Tied (Deel II) – Land der Nebel" ist ziemlich genau ein Jahr vor dem Review zu "Geisterseher" entstanden. Schon damals, als ich das erste Mal mit eurer Musik in Kontakt gekommen bin, hat mich die hohe musikalische Qualität der Kompositionen und der Abwechslungsreichtum extrem positiv überrascht. Nur ein Jahr später haut ihr mit "Geisterseher" ein neues Album raus, welches den hohen Qualitätsstandard des Vorgängers nicht nur halten kann, sondern an einigen Stellen sogar noch auf ein neues Level hebt. Wie schafft ihr es, dass ihr in so kurzer Zeit so hochwertige neue Musik schreiben, aufnehmen und veröffentlichen könnt? Wie oft trefft ihr euch zum Proben?

Saruman: Wir proben nahezu nie - in diesem Jahr bisher genau einmal und selbst das nicht mal in voller Besetzung. Weitgehend proben wir nur für Auftritte und ein klein wenig vor dem Studio. Ich schreibe in der Regel pausenlos Musik und auch in der Vergangenheit kamen unsere Alben in schneller Taktfolge raus, weil ich eigentlich immer schon wieder neue Sachen fertig habe und es mich langweilt, ständig auf altem Kram zu sitzen. Sollte es mal eine längere Verzögerung gegeben haben, geschah dies ausschließlich aus privaten Lebensumständen. Auch jetzt sind die nächsten beiden Alben aufnahmebereit. Über die Qualität kann ich natürlich generell nichts sagen, da ich intuitiv komponiere, bis ich persönlich und emotional im Reinen mit dem Stück bin. Ob das für andere dann ebenfalls gelungen ist, berührt mich nur insoweit, als dass ich weiter die Gelegenheit haben möchte, meine Musik aufzunehmen. In der Regel fließt ein Stück für mich einfach heraus - und wenn es stockt, wird es beiseite gelegt, bis es irgendwann fließt. Kunst ist eine intuitiv-dionysische Angelegenheit und wird von mir entsprechend zelebriert. Bis zur Veröffentlichung werden die Sachen dann auch nicht aufgenommen, sondern befinden sich fast ausschließlich in meinem Kopf. Deshalb MUSS ich regelmäßig aufnehmen, um diese musikalischen Dämonen endlich aus meinem Kopf zu kriegen.

Wie gestaltet sich der Songwriting-Prozess bei HEIMDALLS WACHT? Entstehen die Songs beim Jammen im Proberaum, oder schreibt jeder von euch Songs und am Ende wird demokratisch abgestimmt welche Songs auf dem neuen Album landen?

Saruman: Bei uns gibt es keine songwritingbezogene Demokratie - allerdings gegenseitigen Respekt. Ich schreibe alle Songs und die meisten Texte alleine. Die jeweiligen Musiker werden allerdings um ihre Meinung gebeten und dürfen ihren jeweiligen Part mitgestalten und Ideen einbringen. Dies betrifft in erster Linie Drums und Gesang, da die Saiteninstrumente in der Regel im Studio von mir eingespielt werden. Dennoch interessiert mich auch der Input der beiden Gitarristen.

Liegt "Geisterseher" ein bestimmtes lyrisches Gesamtkonzept zugrunde, das alle Songs umfasst, oder steht jeder Song für sich?

Saruman: HEIMDALLS WACHT an sich ist eine Konzeptband, die sich der feinstofflich-spirituellen Welt zugewandt hat und auf künstlerischer Ebene als Kontrapunkt zur modernen Welt fungieren soll mit ihrem materialistischen Reduktionismus, ihrer einseitigen Verabsolutierung von Logik und Wissenschaft, ihrer Fixierung auf neoliberalen Kapitalismus, ihrer Geringschätzung traditionaler Kulturen und der Negierung einer ganzheitlichen Weltsicht. HEIMDALLS WACHT ist der kataklysmische Ausdruck unserer ideologischen Abscheu. Letztlich berührt jeder Text von uns auf die einer oder andere Art diesen Themenkomplex und versucht kaleidoskopartig der Vielfalt der kulturellen Gegenentwürfe zu dieser "Un-Natur" mit ihrer "Un-Gesellschaft" und ihrem "Un-Geist" gerecht zu werden. Das Auge des Menschen soll sehen!!!

Gerade aus den letzten zwei Alben meine ich, eine Menge Einflüsse herausgehört zu haben, u.a. BATHORY, SATYRICON, TSJUDER, aber auch BURZUM, um nur einige zu nennen. Dazu kommen immer wieder musikalische Zutaten, die man jetzt nicht unbedingt bei einer Black/Pagan-Metal- Band vermuten würde (Klargesang, Cello/Streicher, gefühlvolle Leads, etc.). Alles in allem wirkt dieser Stilmix jedoch zu keiner Zeit konstruiert, oder gar aufgesetzt. Braucht es lange, um herauszufinden, welche Stilmittel zu einem Song passen?

Saruman: Nein, es braucht nicht lange - die Stücke fließen aus mir heraus und dann kommt es, wie es kommt. Ich hinterfrage das dann auch nicht mehr intellektuell. Da ich eine sehr große Bandbreite an Musik höre und seitdem ich denken kann verinnerliche, kann hier nicht von einer gezielten Komposition im herkömmlichen Sinne die Rede sein, sondern von einem individuellen Ausleben innerer Prozesse. Unsere Musik ist also letztlich Spiegel unseres Seelenlebens - und das ist nicht auf eine bestimmte Band zu reduzieren.

Ich kann mir vorstellen, dass ihr aufgrund eurer sehr variablen Musik nicht immer einen leichten Stand in der Szene habt, wie sind da bisher eure Erfahrungen und wie geht ihr mit negativer Kritik um?

Saruman: Konstruktive Kritik ist immer interessant für den Künstler, da er so auf potenzielle "blinde Flecken" hingewiesen wird. Extrem nervend ist es aber, dass jeder öffentlich seinen Senf dazu äußern kann, der eine Band nur fünf Minuten kennt und nur oberflächlich in Alben reinhört, wahrscheinlich noch, ohne das lyrische Konzept oder Band als Ganzes zur Kenntnis zu nehmen. In der Regel weiß man als Leser dann nur über genauere Kenntnis des Stoffes, ob der Autor Ahnung hat oder nicht. Es ist ja das generelle Problem von Künstlern, dass sich diese über einen langen Zeitraum intensiv emotional, gedanklich und organisatorisch arbeitend (ein Album vorzubereiten, aufzunehmen und abzumischen ist Arbeit!) mit einem Werk beschäftigen und dieses dann quasi im Vorbeigehen von ignoranten und inkompetenten Kritikern innerhalb von fünf Minuten und/oder fünf dahingeschissenen Sätzen verreißen zu lassen. Es nervt, wenn man nicht erkennen kann, dass der Rezensent das Album überhaupt auch nur einmal ganz mit Aufmerksamkeit gehört hat. Letztlich ist aber auch diese Rezensentenmeinung an sich irrelevant für uns. Grundsätzlich: Einen leichten Stand habenwir nicht - in der Tat. Vielen BMlern sind wir (meist aufgrund des Namens) zu sehr "pagan". Die Allermeisten revidieren jedoch den Eindruck NACH der Beschäftigung mit uns. Den Paganen widerum sind wir zu heftig und undergroundig - zu roh, zu sehr alte Schule. Aber ganz ehrlich - wir erreichen die, die wir erreichen wollen, und haben eine Vielzahl an fanatischen Leuten, denen Musik wie Texte und Konzept etwas gibt. Insofern kann und will ich nicht klagen. Und so wirklich interessiert es mich auch nicht ...

Ich habe euer neues Album "Geisterseher“ gehört und nach dem ersten Durchlauf erst im Promoflyer gelesen, dass ihr einen personellen Wechsel an den Vocals und an den Drums vornehmen musstet. Wie kam es dazu?

Saruman: Narhemoth gab aufgrund persönlicher Lebensumstände seinen Ausstieg bekannt und das war schon ein harter Schlag für mich. Im ersten Impuls wollte ich die Band dann auch auflösen, war er doch eine der prägendsten Menschen für mich in den letzten 15 Jahren und hat mein Verständnis von BM und der Szene allgemein entschieden mitgeprägt. Er bestand auf einer Fortführung des HEIMDALLS WACHT-Projektes und brachte auch seinen Nachfolger Skjeld ins Spiel, der als einer der besten Freunde im Umfeld der Band und aufgrund musikalischer Gemeinsamkeiten nahelag und ein absoluter Glücksfall ist.

Winterheart: Anfang 2014 kam die Anfrage von Saruman, ob ich als Session-Drummer für die bevorstehende Minitour einspringen könne, da sich die Band gerade von ihrem damaligen Schlagzeuger getrennt habe und man die Tour nicht absagen wolle. Da wir uns noch aus Studienzeiten kannten und seither freundschaftlich verbunden sind, habe ich kurzerhand zugesagt. Ich habe mich dann sowohl musikalisch als auch beim Pokulieren so gut mit der ganzen Band verstanden, dass wir daraus direkt ein festes Arrangement gemacht haben. Über mich kam dann auch der Kontakt zu meinem alten Freund Skjeld zustande, mit dem ich bereits seit 1999 zusammen in verschiedenen Bands (TAIRACH, STERBEND und NYKTALGIA) gespielt habe und dessen Name sofort fiel, als sich der tief greifende Ausstieg von Narhemoth anbahnte. Narhemoth war es dann auch selbst, der energisch für Skjeld votiert und in ihm den idealen Nachfolger gesehen hat.

Die beiden Neuzugänge Skjeld und Winterheart sind meines Erachtens eine echte Bereicherung für den Sound von HEIMDALLS WACHT. Gerade an den Drums hat sich nochmal eine Menge getan - und das, obwohl das Drumming auf den bisherigen Scheiben keineswegs schlecht oder gar langweilig war. Allerdings fühle ich mich bei den Drums auf "Geisterseher" des Öfteren an Dave Lombardo oder auch an das großartige "The Crimson Idol" von W.A.S.P. erinnert. Deshalb die Frage an Winterheart: wer sind Deine persönlichen Schlagzug-Idole?

Winterheart: Wenn man mit der Musik von SLAYER aufgewachsen ist, ist es als Schlagzeuger fast unmöglich, nicht von Dave Lombardos Drumming beeinflusst worden zu sein, obschon ich persönlich immer Paul Bostaph als Drummer favorisiert habe. Aus dem Black Metal fällt mir da eigentlich nur der alte DISSECTION-Drummer Ole Öhman ein, dessen Stil mich nachhaltig beeinflusst hat. Im Death-Metal- Genre waren es vor allem der letzte DEATH-Drummer Richard Christy, der auf "The Sound of Perseverance" einen riesen Otto losgemacht hat und natürlich Pete Sandoval von MORBID ANGEL, ganz einfach weil" Blessed Are The Sick" mein erstes Death-Metal-Album war. Andere Schlagzeuger, von denen ich das eine oder andere Element internalisiert habe, sind der alte KATATONIA-Drummer Daniel Liljekvist und Rune Hoemsnes von MANES - "Last Fair Deal Gone Down" und "Vilosophe" gehören allerdings nicht nur aufgrund des Drummings zu meinen Lieblingsalben. Ansonsten fällt mir da noch Magnus Andreasson von HARDCORE SUPERSTAR ein, dessen Drumming einfach innovativ, eigenständig und brillant ist. Wenn das Drumming auf "Geisterseher" Reminiszenzen an Stet Howland und Frankie Banali weckt und damit natürlich auch an Keith Moon von THE WHO, der sicherlich Vorbild war bei "The Crimson Idol", ist das natürlich auch eine mehr als ehrenvolle Referenz für mich.

Ist zum neuen Album eine Tour geplant, oder wie steht ihr generell zur Frage der Live-Präsenz? Euer Material schreit ja gerade dazu danach, live präsentiert zu werden.

Saruman: Wir spielen dann, wenn wir ein interessantes Angebot bekommen. Wir spielen gerne auf Bühnen und nutzen dies als Gelegenheit, Menschen zu treffen, denen wir sonst im Alltag nicht über den Weg laufen - wenn nicht, geht davon die Welt auch nicht unter. Es gibt Wichtigeres. Wer Interesse hat, melde sich bei uns und wir besprechen das Ganze. Ansonsten nutzen wir unsere Zeit für Belange der Anderswelt.

Die letzte Frage dreht sich um Social-Media. Auf eurer offiziellen Band-Website steht zu lesen, dass es keine offizielle Social-Media-Präsenz von HEIMDALLS WACHT gibt. Warum nutzt ihr dieses Medium nicht, um für euch zu werben und mit euren Fans in Kontakt zu bleiben?

Saruman: Absolutes Desinteresse! Wir verzichten auf jämmerliches Aufmerksamkeitserhaschen im Internet und überlassen das diesen ganzen Affen, die sich dadurch als ebensolche outen. Es gibt doch nichts Lächerlicheres als diese Pseudo-Misanthropen mit ihrem Wunsch nach Aufmerksamkeit - nichts Jämmerlicheres als Selbstmord-Affen, die ganz viele Freunde "adden" wollen - nichts Prätentiöseres als diese pseudo-esoterischen Kasper, die letztlich doch nichts wichtiger finden, als auf materieller Ebene mit ihrer Musik durch "Fame" erfolgreich zu sein. Wirkliche Spiritualität geht nach innen und gehört nicht in die Welt geschrien. Wer Kontakt haben möchte, wende sich an unseren Emailkontakt. Bei Zeiten antworte ich in der Regel - und dies je nach Sinnhaftigkeit auch ausführlich. Allerdings sitze ich aus offensichtlichen Gründen nicht so oft am Computer.

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten