Solstice - Angleland (Archive 2012-2018) | |
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Review von Blaze Breeg vom 03.05.2020 (6690 mal gelesen) | |
Whoever lays his hand on me to govern is a usurper and a tyrant ... I declare him my enemy (Die SOLSTICE-Weltanschauung in eigenen Worten auf den Punkt gebracht) In meinem Leben gibt es drei Bands, die wegen ihres Outputs, ihrer Attitüde sowie magischer Live-Erlebnisse meilenweit über allen anderen thronen: IRON MAIDEN, ATLANTEAN KODEX und SOLSTICE. Es liegt daher auf der Hand, dass ich in der Bleeding4Metal-Redaktion sofort begierig die Hand gehoben habe, als Rich Walker am 1. Mai zum wiederholten Male das Archiv der stolzen Epic Metal-Götter aus Huddersfield geöffnet und das verlängerte Wochenende für die treu ergebene Anhängerschaft mit "Angleland (Archive 2012-2018)" in ein ganz großes Highlight inmitten der allgegenwärtigen Tristesse verwandelt hat. Thanks, mate! Dabei ist der Hintergrund dieses lediglich bei Bandcamp in einer digitalen Version erhältlichen Releases keineswegs erfreulich, ganz im Gegenteil: Schon vor der Corona-Krise hatten mehrere Bandmitglieder mit bisweilen erheblichen finanziellen Sorgen zu kämpfen, die Rich selbst in der ihm eigenen schonungslosen Offenheit beschrieben hat. Die Absage diverser Gigs, unter anderem beim Bang Your Head!!!-Festival in Balingen, verschärfte die prekäre Lage. Darum rufe ich an dieser Stelle jeden Liebhaber, der es sich irgendwie leisten kann, auf, für "Angleland (Archive 2012-2018)" aus Prinzip mehr als die veranschlagten, ohnehin ausgesprochen moderaten vier Pfund zu zahlen. Mit diesem Review möchte ich euch zeigen, dass dieser Output abgesehen davon obendrein viel, sehr viel mehr wert ist. Dies liegt nicht zuletzt an seiner Aufmachung, die in dieser Form bei digitalen Geschichten Schule machen sollte: Neben der Musik, auf die ich in der Folge näher eingehe, gibt es nämlich äußerst lesenswerte, mitunter launische Linernotes aus der Feder von SOLSTICE-Gitarrist und -Mastermind Rich Walker sowie ein Booklet und eine Traycard für die Bastler. Mit Schere und Klebe in die Schlacht! Wie oben bereits angedeutet, gönnten uns SOLSTICE, gegründet im Jahr 1990, in der Vergangenheit schon einmal einen Blick in ihr reichhaltig bestücktes Archiv. Bei der umfangreichen "Blood Fire Doom"-Box, erschienen 2015, dürften Fan-Träume wahr geworden sein. Vor fünf Jahren lag der Fokus auf den ersten beiden Bandphasen mit zunächst Simon Matravers, der neben dem Lonplayer-Debüt "Lamentations" (1994) auch die EP "Halcyon" (1996) eingesungen hat, und daraufhin Morris Ingram, der "New Dark Age" (1998) mit seiner außergewöhnlichen Stimme veredelt hat. Ich möchte erwähnen, dass ich alle drei offiziellen SOLSTICE-Releases aus den 1990er Jahren abgöttisch liebe und als essenziell (!) für jeden Doom/Epic Metal-Jünger einstufe. "New Dark Age" betrachte ich sogar als eine der drei besten Metal-Scheiben, die in den Neunziger Jahren aufgenommen worden ist - da können in meiner Welt nur BATHORY mit "Hammerheart" (1990) und DISSECTION mit "Storm Of The Light's Bane" (1995) weitgehend mithalten. Rich Walker beschreibt "Angleland (Archive 2012-2018)" selbst als Abschluss der dritten Bandphase, die in meiner Wertschätzung (mindestens!) auf einer Stufe mit den Matravers- und Ingram-Jahren steht. Ich gebe es zu: Als SOLSTICE im April des letzten Jahres die Trennung vom charismatischen Sänger Paul Kearns bekanntgaben, war ich enorm niedergeschlagen. Auch wenn sich bei der Band das Personalkarussell stets recht schnell dreht, kam dieser Line-up-Wechsel wenigstens für mich komplett unerwartet. Und er ging an die Substanz! Klar, Rich Walker ist es immer gelungen, exzellente Sänger als feste Mitglieder oder zumindest kurzzeitigen Ersatz für Liveshows zu rekrutieren, aber erst Kearns' gewaltige Stimme, von manchen Kollegen zutreffend als "Heldentenor" charakterisiert, hatte aus "White Horse Hill" (2018) eines der besten Metal-Alben seit der Jahrtausendwende gemacht. Hier verehre ich jeden Ton! Erfreulicherweise sind SOLSTICE mit H. Thorne (CHALICE), in der langen Bandgeschichte die erste Frau am Mikrofon, mit der EP "White Thane" bereits vielversprechend in Phase Nummer vier gestartet. Dies ist jedoch eine andere Geschichte, die zu einem späteren Zeitpunkt mehr Aufmerksamkeit verdient. Schon die erste Ankündigung von "Angleland (Archive 2012-2018)" hat - ihr ahnt es - meine Vorfreude geweckt. In solchen Momenten merkt man, für welche Künstler das Herz wirklich schlägt. Obskures Material, darunter alternative, zum Teil sehr rohe (Demo-) Versionen und bis dato nicht veröffentlichte Live-Aufnahmen - immer her damit, ich brauche alles, was du hast, Rich! Am Tag des Releases gab es jedoch noch eine kleine Überraschung, weil auf der Tracklist nun nicht mehr zehn, sondern elf Songs auftauchten: Und beim Neuzugang handelte es sich auch noch um einen Live-Mitschnitt der "New Dark Age"-Göttergabe 'The Sleeping Tyrant', immerhin einer der zehn besten Epic Metal-Tracks aller Zeiten. Wie oben schon angemerkt, solltet ihr euch beim Genuss von "Angleland (Archive 2012-2018)" auf jeden Fall die Linernotes anschauen - angesichts der üppigen Spielzeit von fast 80 Minuten habt ihr dafür auch die Gelegenheit, also keine Ausreden. Im schlicht, aber recht schick gestalteten PDF-Dokument erfahrt ihr interessante Hintergründe zu den einzelnen Nummern, auf die ich an dieser Stelle nicht näher eingehen möchte. Hervorzuheben sind lediglich zwei Seitenhiebe, die Rich bei der Vorstellung der Live-Tracks aus dem Jahr 2015 gegen Paul Kearns - stets PTK genannt - austeilt: Bei 'Death's Crown Is Victory' heißt es, "PTK is slightly wobbly at times", bei 'Cimmerian Codex' ist sogar zu lesen: "I honestly have no idea what the hell PTK doing in places, but what the hell ... it was fun on the night!" Nun, ich muss gestehen, dass Paul auf Platte in der Tat deutlich (!) stärker ist, aber ich schätze die vorliegenden, für jeden Fan unverzichtbaren Live-Dokumente nichtsdestotrotz sehr. Sie starten mein Kopfkino und lassen mich den Corona-Mist für eine Weile gänzlich vergessen. Die Nummern erinnern mich nämlich an das Hell Over Hammaburg-Festival 2018, als ich SOLSTICE - nur ein paar Stunden vor ATLANTEAN KODEX (welch ein Billing!) - inmitten eines leidenschaftlichen, sangesfreudigen und textsicheren Epic Metal-Mobs in der Markthalle nach allen Regeln der Metal-Kunst abfeierte. Jake Rogers von VISIGOTH ging dabei in Reihe eins ab: Winds from the black mountain, rend and tear Sepulchral thanes, so much walking dust Ice-locked the nexus, an empire awaits Axiom abhorrent, protean triumvirate (aus: 'Cimmerian Codex', 1998) Gänsehaut, jetzt schon wieder ... Damals hatte ich am Gesang überhaupt nichts auszusetzen, es kann aber auch sein, dass ich in Anbetracht der skizzierten Ekstase nicht (mehr) genau genug hinhören konnte. Aber Leidenschaft und Authentizität sind mir auf der Bühne ohnehin wichtiger als technische Brillanz, insofern bleibe ich weiterhin ein überzeugter Kearns-Verehrer. Die intensive Atmosphäre eines SOLSTICE-Gigs wird hier zudem ganz gut angedeutet. Zu den Glanzlichtern auf "Angleland (Archive 2012-2018)" zählt neben den beschriebenen Bühnendarbietungen ohne Wenn und Aber 'To Sol A Thane'. Der majestätische Track vom Meisterwerk "White Horse Hill" ist für mich in seiner finalen Fassung mit Paul rundum perfekt (warum sollte ich die Platte sonst auch in fünf Versionen haben?). Was Felipe Plaza (PROCESSION, CAPILLA ARDIENTE, NIFELHEIM), der Letztgenannten im zurückliegenden Jahr unter anderem beim Keep It True in Lauda-Königshofen sehr kurzfristig ersetzt hat, hier abliefert, ist phänomenal! Allein seine Darbietung rechtfertigt den Download - ganz großes Kino des Mannes, der ein gutes halbes Jahr später auch beim Hammer Of Doom in Würzburg als SCALD-Frontmann für offene Münder in der Epik-Gemeinde gesorgt hat. Ein Schmankerl ist obendrein der Schlusstrack: 'Glue' ist ein "Klassiker" der US-amerikanischen Hardcore-Band SS DECONTROL (auch als SSD bekannt) und zeigt SOLSTICE einmal von einer anderen musikalischen Seite, dafür sorgen nicht zuletzt die Lead Vocals von Ian Thwaites (WARTORN, UK). Laut Rich handelt es sich hier um einen Song, den seine Truppe in den späten 1990ern häufig bei Rehearsals "zum eigenen Vergnügen" gezockt hat. Ja, Trüffelschweine kommen auf ihre Kosten! Ein bisschen schade, und nun jammere ich auf allerhöchstem, geradezu peinlichem Niveau, ist das Fehlen einer Kearns-Version des "New Dark Age"-Krachers 'Hammer Of Damnation'. Aber man kann eben nicht ALLES haben ... Im Ganzen gesehen ist "Angleland (Archive 2012-2018)" selbstverständlich ein Pflichtkauf für jeden SOLSTICE-Anhänger. Rich gibt in den Linernotes an, es selbst zu lieben, sich mit zahlreichen unterschiedlichen Fassungen von Songs seiner favorisierten Bands zu beschäftigen (explizit nennt er in diesem Zusammenhang BLACK SABBATH, CIRITH UNGOL, DISCHARGE und VENOM). Ich finde das ebenfalls sehr spannend, sodass der Gang ins Archiv zu keiner Sekunde langweilig wird. Neueinsteiger sollten sich allerdings zunächst mit den offiziellen Studioplatten befassen - als Startpunkt empfehle ich "White Horse Hill". "Angleland (Archive 2012-2018)", diese knapp 80-minütige Zusammenstellung, die kein reguläres Release darstellt, ist eigentlich nicht mehr oder weniger objektiv zu bewerten. Daher verzichte ich, seriös wie ich manchmal bin, auf das Vergießen von Blutstropfen. Auf der emotionalen Ebene ist es zweifellos eine fette 10. Hail SOLSTICE! - ohne Wertung - | |
Trackliste | Album-Info |
01. Fortress England (2013 Rough Mix) 02. To Sol A Thane (FP Version 2018) 03. Under Waves Lie Our Dead (A Sharp Tuning Instrumental) 04. Death's Crown Is Victory (Live Hamburg 2015) 05. I Am The Hunter (Instrumental Rehearsal 2012) 06. Cimmerian Codex (Live Hamburg 2015) 07. For All Days, And For None (Instrumental Demo 2014) 08. White Horse Hill (Vibrations Studio Mix 2014) 09. All Kings Fall To The Scythe Of Winter (Rehearsal 2017) 10. The Sleeping Tyrant (Live Limerick 2015) 11. Glue (Unreleased Studio Track 2018) | Band Website: solstice-englander.bandcamp.com Medium: Digital Spieldauer: 78:47 Minuten VÖ: 01.05.2020 |
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