Las Casas Viejas - goul/H

Review von Zephir vom 10.11.2017 (5830 mal gelesen)
Las Casas Viejas - goul/H Schon der Albumtitel "goule/H" reizt meine Neugier aufs Äußerste. Und nicht minder spannend gießt sich die Essenz des Erstlings der Newcomer LAS CASAS VIEJAS in Worte: eine deutsch-österreichische Mischung aus Post Black Metal und Post Rock, gewürzt mit einer Prise Sludge-Doom, inhaltlich verwoben mit Marc Augés Theorie der non-lieux, der Nicht-Orte, veröffentlicht über das kleine, aber feine linke Label Alerta Antifascista Records. Nun gilt es nur mehr die Bedenken zu zerstreuen, das Sextett könnte sich in pseudo-intellektuellen Ergüssen verfangen.

LAS CASAS VIEJAS liefern ein post-urbanes Album, das die deprimierende Stimmung entfremdeter zivilisatorischer Räume ästhetisch überformt. Und auf eigenartige, gleichsam hoch abstrakte wie auch emotionale Weise fängt "goule/H" ebenso den Widerschein sozialer oder vielmehr subjektiver Räume ein – so zumindest verstehe ich den geflüsterten Dialog zweier Frauen, die mit 'Moribundus' zu extrem reduzierten Gitarren und Drums die Reise in die Gegenwart einläuten. Der deutsche Text des Zwiegesprächs, dessen Titel so viel heißen mag wie "sterbend", verfängt sich sofort in der Aufmerksamkeit des Hörers und lässt nicht nach, bis die instrumentale Untermalung nach etwa der Hälfte die Führung übernimmt, sich steigert und in harsches Riffing übergeht, das nun seinerseits hallig-heisere Vocals trägt. Die Komposition gibt sich in der zweiten Hälfte überraschend experimentell und verspricht auf jeden Fall mehr als ein einfaches Post-Irgendwas-Schema.

Mit 'Kein Ort 1- Nicht Keine Stadt Und Lethargie' gehen LAS CASAS VEJAS anschließend in die Vollen. Der wohl sludgeigste Track des Albums ist zäh und schwer, zwischenzeitlich von Vogelgezwitscher, gurrenden Tauben und arbeitenden Presslufthammern durchbrochen, dazu cleane und vermutlich weibliche Vocals, deren recht schwer verständliche Lyrics dankenswerterweise auf der Band-Webseite nachzulesen sind: Zu schade wäre es, wenn einem Verse entgingen, die da lauten: "So verträumten mich die nächte / und verbrannten mich die tage / und als ich in lethargie zerfiel / schrien nur noch / die zerschmetterlinge".

'Kein Ort 2- nicht die Stadt und Lethargie' wiederum ist tendenziell (post-)schwarzmetallisch, die Stimmung scheint hier und da von alten HERETOIR oder teilweise auch von alten LANTLÔS beeinflusst, ohne aber wie diese zu klingen. Wie ein roter Faden durchzieht das Album der sich immer wieder eindringlich ins vage Bewusstsein drängende geflüsterte Dialog, dessen Gehalt im vieldimensionalen musikalischen Geschehen mittlerweile unmöglich weiterzuverfolgen ist.

'Klaustrophobie', auch so eines jener zeitgenössischen räumlich-psychischen Phänomene, beginnt sagenhaft Post-Black-metallisch: Die Gitarrensaiten erst einzeln gezupft und verschwimmend, dann ausladendes, in alle Richtungen diffundierendes Riffing - das erinnert in bester Weise an so manchen Titel von HERETOIRs erstem Album. Zwischendurch mischen sich tiefhängende Sludge-Bässe in die Atmosphäre, die ansonsten in ihrer ganzen Breite und Weite so gar nicht klaustrophobisch klingen will. Um was geht es? "himmel ziehen sich sprachlos zu / über bewegungslosen mündern / wie vorhänge in matten fenstern / in zum sterben konstruierten höfen“.

Was noch bleibt, ist 'Erinnerung': Diese bewegt sich wieder in tieferen, schweren Lagen, mit durchaus ordentlichem Tempo, experimentell in Harmonie und Melodik, mit dezenten Soundsamples gespickt, die dem Ganzen abermals einen leicht industriellen Touch verleihen. Der am meisten ungewöhnliche Track des ungewöhnlichen Albums scheint das musikalische Äquivalent zu den abstrakten, stark interpretationsbedürftigen Lyrics, die Emotionen mit räumlichen Metaphern verweben. Das Ganze wird von einer cleanen Stimme vorgetragen, die vermutlich dieselbe ist wie in 'Kein Ort 1'.

Fazit: "goule/H" ist ein beeindruckendes, ambitioniertes Album, das sich gekonnt in die heterogenen Nicht-Reihen des Post Black Metal hineinspielt und dabei jene Eigenständigkeit umsetzt, die diese in sich differenzierte Szene eben ausmacht. Wem die alten Werke von LANTLÔS, HERETOIR, THRÄNENKIND oder auch ÂMESOEURS gefallen haben, sollte unbedingt einmal LAS CASAS VIEJAS hören.

Leider finde ich keinerlei Infos zu den Bandmitgliedern, und über den Ursprung des Bandnamens kann ich nach eifriger Googelei auch nur Vermutungen anstellen. Riecht natürlich nach Absicht, doch dazu ist anzumerken, dass die Band kaum zwei Jahre auf dem Buckel hat. Vielleicht folgen weitere personenbezogene und bandhistorische Infos, wenn die vielversprechenden Newcomer sich ein wenig etabliert haben? Und was in aller Welt bedeutet eigentlich der kryptische Albumtitel?

Gesamtwertung: 8.0 Punkte
blood blood blood blood blood blood blood blood dry dry
Trackliste Album-Info
01. Moribundus
02. Kein Ort 1: Nicht Die Stadt Und Lethargie
03. Kein Ort 2: Nicht Keine Stadt Und Lethargie
04. Klaustrophobie
05. Erinnerung
Band Website:
Medium: CD
Spieldauer: 49:54 Minuten
VÖ: 10.11.2017

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten