Ramones - Punk Rock Blitzkrieg - Mein Leben mit den Ramones

Review von Opa Steve vom 11.10.2015 (4063 mal gelesen)
Ramones - Punk Rock Blitzkrieg - Mein Leben mit den Ramones Die RAMONES muss man nicht lange vorstellen. Obwohl ihre Scheiben in der Qualität stark schwankten haben sie durch einige wirklich legendäre Songs, ihren ureigenen Stil und das schon sehr früh gepflegte Image als explosive Liveband schon seit mindestens 30 Jahren absoluten Kultstatus. Obwohl die besten Scheiben der RAMONES vor 1980 geschrieben wurden ist ihr Status ungebrochen und viele Musiker aus dem harten Genre achten sie für ihr Lebenswerk und tragen stolz das RAMONES-Logo auf Shirt oder Badge. MOTÖRHEAD adelten die Band mit einem eigenen Song ('R.A.M.O.N.E.S') und unzählige Bands verneigen sich live gelegentlich mit einer Coverversion.

Dass nun also neben vielen Dokumentationen noch ein autobiografisches Werk über die Zeit mit den RAMONES erscheint, darf nicht weiter verwundern und war eigentlich überfällig. Doch warum ist es ausgerechnet der Drummer, der bei "Road To Ruin" zum kommerziellen Höhepunkt der Band einstieg, kein Gründungsmitglied? Die Antwort ist ganz einfach: Marky Ramone alias Marc Bell ist das einzig überlebende Mitglied aus relevanten Phasen dieser Band. Denn die RAMONES sind unter anderem die einzige Band, deren Gründungsmitglieder beinahe vollständig durch Krebs gestorben sind. Einzige Ausnahme ist der maßgebliche Imagegestalter Dee Dee, welcher sich 2002 eine Überdosis Heroin setzte.

So kommt es, dass Marky Ramone als einziger noch lebender Zeitzeuge in der Lage ist, die Zeit mit den RAMONES direkt aus der ersten Reihe zu schildern. Die Tatsache, dass er von seinen ehemaligen Kollegen keinen Widerspruch zu seinen subjektiven Schilderungen befürchten muss, sollte man hier nicht überbewerten, denn Marky mit seinem Co-Autor Rich Herschlag entpuppt sich als sehr unaufgeregter Biograf, dem man trotz aller Höhen und Tiefen die Dankbarkeit abnimmt, in dieser Band gespielt zu haben. Da Marky kein Gründungsmitglied war, erfahren wir erst etwas über seinen musikalischen Werdegang und man muss über 60 Seiten warten, bis das Wort "Ramones" zum ersten Mal auftaucht. Stattdessen gibt es Kindheits- und Jugenderinnerungen und die erste musikalische Sozialisation bereits 10 Jahre zuvor, bevor Marky den RAMONES beitrat. Wie üblich wird hierbei nicht mit Details gegeizt, so dass man davon ausgehen muss, dass es sich hier um blumig ausgeschmückte Erinnerungen handelt. Genauso wie die (ebenfalls bei Iron Pages erschienene) Autobiografie von Al Jourgensen trägt auch "Punk Rock Blitzkrieg" ein bisschen dick auf, wenn es um über 40 Jahre zurückliegende Erinnerungen geht. Insgesamt stellt sich Marky als ein etwas tollpatschiger Schüler vor, der unabsichtlich immer wieder in Scheißsituationen gerät, wobei er aber immer auf die Loyalität seiner Eltern zählen konnte. Musikalisch aktiv wird er zuerst mit der Band DUST. Geprägt von den Anfängen des Garagenrocks war er live dabei, als eine frühe Form des Punk erwachte. Die NEW YORK DOLLS, PATTI SMITH und BLONDIE machten die Clubs unsicher, in denen Marky verkehrte. Zum ersten Mal erlebte er auch die chaotischen Auftritte einer frischen Band, die sich die RAMONES nannten, nie länger als 30 Minuten spielten, und außer einem "One two three four!" keinerlei Firlefanz zwischen den Liedern trieb. Marky betätigte sich zu dieser Zeit vorübergehend als Drummer der eher erfolglosen (Wayne County and the) BACKSTREET BOYS. Die aufkeimende Punkwelle führte ihn dann noch in eine abgefahrene Kapelle namens RICHARD HELL & THE VOIVOIDS. Drogen in sämtlicher Form gehörten zum Lebensalltag in der Szene.

Erst im späten 1978 bekam Marky die Chance seines Lebens. Ur-Drummer der RAMONES, Tommy Ramone, entschied sich, die Band zu verlassen, da seine Rollen als Manager, Produzent und Drummer nicht genügend Zeit für ein ausgiebiges Tourleben ließen. Bei den Auditions wurde Marky von diesem noch unterstützt und eingearbeitet, und ab diesem Zeitpunkt ist Marky Teil des RAMONES-Zirkus. Zum ersten Mal bekommt man die Einblicke in das Seelenleben und den Alltag der Band. Für europäische Punks dürfte es unvorstellbar sein, dass die RAMONES teilweise republikanische Ansichten teilen und dem Kapitalismus huldigen, vor allem Johnny entpuppt sich als glühender Verehrer des American Way of Life und des Sendungsbewusstseins der Nation. Dass die RAMONES-Mitglieder teilweise schon gemustert waren und nur knapp dem Einsatz im Vietnam-Krieg entkamen, spielte für ihn kaum eine Rolle, während Marky vor allem durch seinen Vater geprägt wurde, dass gute Innenpolitik den Kommunismus besser bekämpfen könne als ein Krieg in einem fernen Land. Auch der Lebensstil der Band entpuppt sich als selbstzerstörerisch. Dee Dee entpuppt sich als schräger Vogel, der von Drogen nie die Finger lassen konnte und sich auf der ersten Europa-Tour in Amsterdam wie im Paradies fühlte. Markys Dämonen lagen im Alkohol. Joey, der auffällige Sänger, leidet unter ortsbezogenen Zwangshandlungen und einer mehr als grenzwertigen Unhygiene. Die Episoden von ihm sind wirklich zum Lachen (auch wenn es im Halse steckenbleibt), wenn er sich vom Manager nochmal zurück zum Flughafen fahren lässt, um einen bestimmten Bordstein nochmal zu berühren, oder wenn er im Türrahmen des Backstage-Bereichs stehenbleiben MUSS, bis ihm Roadies da durchhelfen. Auch bei sonstigen Türen von Hotelzimmern musste er sein Austreten bis zu viermal wiederholen, bis es sich für ihn richtig anfühlt. Aus diesem Grund hatte Manager Monte die interne Bandzeit extra für Joey um 1-2 Stunden vorgestellt, damit man wenigstens eine Chance hat, dass der Sänger auch wirklich pünktlich am vereinbarten Ort antritt. Der hygienische Verfall hingegen führte zu Dauerspannungen zu Hardliner Johnny, die die Band an die Belastungsgrenzen bringt und selbst nach den letzten glorreichen Touren des letzten Bandkapitels nie wieder ganz zu kitten sind. Selbst bei der für Joey posthumen Aufnahme in die Hall Of Fame, bei der Teile von Joeys Familie anwesend waren, spürt man die unversöhnliche Kälte.

Ebenfalls lesenswert sind die Einblicke in die Ereignisse, die die Band bei der Zusammenarbeit mit Phil Spector erlebte. "End Of The Century" war zwar neben "Subterrean Jungle" das untypischste RAMONES-Album, aber der Kontakt mit Phil Spector machte jeden Tag zu Nitroglycerin, welches jeden Moment in die Luft gehen könnte. Auch sonst pflegten die RAMONES jede Menge prominenter Kontakte, die sich wie ein Faden durch das Buch ziehen. Dass Autor Stephen King ein großer RAMONES-Fan ist, ist schon lange kein Geheimnis mehr, aber die Band hatte auch Kontakte zu Größen wie Joan Jett und vielen anderen Künstlern, die sich immer wieder als RAMONES-Fans outeten. Die letzten Kapitel handeln von der Zeit nach den RAMONES und dem Kontakt, den die Member noch haben. Von Joeys letzten Tagen, von Preisen und horrenden gebotenen Reunion-Summen (die Joey ausschlug, um Johnny zu ärgern), von Dee Dees Überdosis und den Spekulationen über Johnnys Gesundheitszustand in diesem aufregenden neuen Medium, welches sich "Internet" nennt. Gründungsmitglied Tommy und Markys Vorgänger an den Drums starb, als "Punk Rock Blitzkrieg" bereits geschrieben war. Produzent Phil Spector sitzt wegen Totschlags noch bis mindestens 2028 im Gefängnis. Marky Ramone ist weiter unterwegs, hat sich u. a. als Moderator an die neuen Medien gewöhnt und hält das Erbe der RAMONES nun lebendig.

Wie schon gesagt ist das Buch sehr ruhig geschrieben, beinahe nüchtern. Selbst bei den Danksagungen am Schluss bemüht sich Marky um einen ehrlichen und seriösen Ton, ohne auf dicke Hose zu machen. Man darf sich vorstellen, dass das Buch genau das Gegenteil von dem ist, was bei einem Gene Simmons herausgekommen wäre. Es wird weder verherrlicht noch dramatisiert. Es war so, wie es war, und Marky merkt man dadurch eine gewisse Melancholie an, dass die Band sein Leben so prägte, aber durch die ganzen Jahre durch nie ein wirklich sicherer Hafen war. Auch seine mehrjährige Auszeit wegen seines Alkoholentzugs spart er nicht aus. Er jobbte als Fahrradkurier, traf nach den großen Bühnen der Welt wieder auf alte Bekannte auf der Straße und päppelte sich durch die sportliche Betätigung wieder auf, bis er wieder bei den RAMONES auf dem Drumhocker saß - rechtzeitig genug, um nochmal einen erneuten Frühling mit der Band zu erleben und nochmal die Früchte auf den abschließenden Konzerten zu ernten, als Joey seine Krankheit schon anzusehen war.

- ohne Wertung -
Trackliste Album-Info
Band Website:
Medium: Buch
Spieldauer:
VÖ: 28.09.2015

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten