Interview mit Russell Allen von Adrenaline Mob

Ein Interview von Dweezil vom 20.07.2012 (6465 mal gelesen)
Ich traf Russell Allen vor dem Konzert in der Bochumer Matrix. Der SYMPHONY X Sänger wirkt völlig entspannt und plaudert begeistert von ADRENALINE MOB und seinen neuen Mitstreitern.

Du bist bereits letztes Jahr mit SYMPHONY X in dieser Gegend von Deutschland getourt, damals mit NEVERMORE und PSYCHOTIC WALTZ. Wie hast du die Tour erlebt, besonders eine Prog-Metal Legende wie WALTZ dabei zu haben?

Russell Allen: Es war großartig! Die WALTZ-Jungs waren sehr cool, sie kommen aus der selben Gegend wie ich, ich bin in Kalifornien geboren und aufgewachsen. Sie kamen auch aus der San Diego Gegend, wo ich seit 20 Jahren nicht mehr wohne, also hatten wir eine Menge worüber wir quatschen konnten. Es war für mich wie eine nostalgische Rückkehr und es war schön zu sehen, dass man so viele Gemeinsamkeiten, auch abseits der Musik, hat. Die Tour war super für sie, sie kamen echt gut an und es war faszinierend zu sehen, wie eine Band, die eine so lange Auszeit hinter sich hat, so abräumt und so gute Publikumsreaktionen einfährt. Wir kannten die Jungs nur vom Namen und kannten die Musik eigentlich kaum. In Deutschland und Europa kamen sie wohl besser an damals. Wir haben quasi unsere Karriere begonnen, als sie sich aufgelöst haben. Wir kamen '98 zum ersten Mal hier rüber, während '96 oder so das letzte Mal war, dass WALTZ hier gespielt haben. Es wurde viel darüber gesprochen, wie ironisch es ist, dass hier eine Band ist, die anfing, als sie aufhörten und man jetzt zusammen trifft und zusammen spielt. Wirklich faszinierend. Die Tour an sich hat eine Menge Spaß gemacht, natürlich abgesehen von den Entwicklungen die NEVERMORE durchmachten und ihr Auseinanderbrechen nach der Tour. Es war eine schwierige Sache für alle Beteiligten, niemand will eine Band auseinandergehen sehen. Es ist demoralisierend für die anderen Bands zu sehen, wie fragil dieses Konstrukt ist, das man da gemeinsam hat. Wenn du mit Leuten Musik machst und erfolgreich bist, weißt du nie, wann es zu Ende sein könnte, wann das alles weg ist und es ist wirklich schade, dass NEVERMORE getrennte Wege gegangen sind nach der Tour. Wir waren Zeugen des ganzen Prozesses, deshalb wünsche ich allen Mitgliedern der Band alles Gute, es war eine ergreifende Sache. Leider ist das eine meiner Erinnerungen an diese Tour, so etwas bleibt definitiv hängen. Die Tour danach war allerdings die beste Europa-Tour, die ich je gemacht habe. Die nach der Power of Metal-Tour. Die Shows waren super, aber es geht für mich auch immer darum, die Kultur der Orte, die man besucht, aufzunehmen und zu erfahren. Wir haben über 3000 Fotos gemacht, ich und Jason (Rullo, SX Schlagzeuger, Anm. d. Verf.) haben echt alles mitgenommen. Auch jetzt noch, an diesem Punkt meiner Karriere finde ich das noch sehr motivierend.

SYMPHONY X Gitarrist Michael Romeo beschrieb in einem Interview den neuen Sound der Band als näher an seiner Vision davon, wie sie klingen soll. Wie siehst du die Evolution im Klang von SYMPHONY X? Vermisst du die alten Prog-Epen oder ist die neue, direktere Ausrichtung genau dein Ding?

Russell Allen: Eine moderne Produktion ist natürlich das, was wir immer schon für die Band wollten, auch wenn sich die Musik natürlich verändert hat. Das neue Erscheinungsbild von SYMPHONY X repräsentiert uns selbst aber trotzdem vollkommen. Wir nehmen alles selber auf, Romeo produziert die Platten. Wir haben beide viel dazu gelernt in Sachen Aufnahmetechniken, wovon ich einiges auch bei AM einsetzen konnte. Ich habe zum Beispiel den Co-Produzenten bei diesem Album gemacht. Wir, also ich und Romeo, haben unsere Visionen und Ideen immer ausgetauscht und der Sound, den er bei Omerta hingekriegt hat, ist meiner Meinung nach, wo SX sein sollten, bzw. sein werden. Ich würde gerne eine Rückkehr zu den epischen Songs mit der modernen Produktion sehen, ich könnte mir sogar ein Remastern der alten Alben mit neuen Soundstandards vorstellen. Besonders natürlich die Orchester-/Keyboardabteilung. "The Odyssey" zum Beispiel mit einem echten Symphonieorchester, oder zumindest dem Klang eines echten Symphonieorchesters, zu remastern und remixen, es in unseren modernen Sound einzubinden, wäre großartig. Live ist es sehr beeindruckend und hat eine Menge Power und Energie, aber die Aufnahmen waren so trocken und kraftlos. Das wäre auch etwas für das nächste Album, ich meine der nächste logische Schritt wäre, das ganze epische Zeug in gutem Sound zu bringen. Ich liebe aber auch die Riffs und den Groove, den die modernen SYMPHONY X jetzt haben und gesanglich macht es mir sowieso eine Menge Spaß.

Welches der zahlreichen Projekte, an denen du mitgewirkt hast, war für dich am interessantesten?

Russell Allen: Dieses Projekt ist sehr persönlich und wichtig für mich. Im Song 'On the Line' behandel ich z. B. die Probleme mit meiner autistischen Tochter und solcherlei Sachen. Meine Familie und ich hatten natürlich große Probleme und Hürden zu überwinden, um damit zu leben. Im Studio habe ich mir bei diesem Song fast die Augen ausgeheult, Orlando hat mir bei den Recordings zur Seite gestanden. Im Großen und Ganzen ist dieses Album also ein wirklich persönliches Stück Arbeit geworden. Bei 'Hit the Wall' war ich sehr frustriert mit vielen Dingen in meinem Leben. Viele Leute sehen die Dinge immer nur oberflächlich und ich wollte ihnen ursprünglich auch nicht all diese Sachen erzählen bzw. sie generell erzählen. Ich habe aber dann mit meiner Frau gesprochen und sie und meine Freunde sagten, dass ich eine große Chance hätte, auch anderen zu helfen, indem ich diese Dinge mit ihnen teile und sie wissen zu lassen, warum du dir dein Herz raussingst bei diesem Album. Solche Sachen haben die Aufnahmen und die Perfomance in dieser Band zu etwas sehr Besonderem für mich gemacht. Das ist letztlich auch, warum ich es mache. Ich habe sonst noch mit niemandem, außer SYMPHONY X getourt (abgesehen von der kurzen Reihe von Konzerten mit STAR ONE), das ist ein wahres Highlight für mich.

Kannst du sagen, inwiefern dein Einfluss auf's Songwriting in ADRENALINE MOB anders ist, als bei SYMPHONY X?

Russell Allen: Es ist recht ähnlich in vielerlei Hinsicht. In ADRENALINE MOB bin ich stärker ins Songwriting involviert, als Co-Writer zusammen mit Michael Orlando. Portnoy kam später dazu und hatte einige gute Ideen, was Drumparts und Arrangements anging. Wir sind eine Band, ich und Orlando haben an dem Material von Anfang an gearbeitet. Er hatte 2 oder 3 Songs fertig, die wir mehr oder weniger genau so übernommen haben. Ich habe einige Melodielinien oder Lyrics geändert oder hier ein Arrangement verändert und eine Bridge dort, sowas halt. Das mache ich nicht in SYMPHONY X, Romeo hat die Musik komplett durchkomponiert und ich mache nur die Vocals. Ich schreibe also die Lyrics und Melodien mit ihm. Hier in dieser Band, wenn ich eine Idee habe, schnappe ich mir eine Gitarre, spiele Orlando die Akkorde des entsprechenden Parts vor, z.B. der Refrain von 'Undaunted' (summt die Melodie) und er fügt dann Licks und solches Zeug hinzu. Es ist also ähnlich, weil Orlando schon eine Menge guter Riffs und musikalischer Ideen hat und ich dann die Melodien und Lyrics dazu mache. Letzteres ist in beiden Bands mein größter Beitrag, in AM bin ich nur etwas mehr in die Produktion und Entstehung eingebunden.

Gibt es Songs, oder vielleicht ganze Alben, die für dich während der Aufnahmen herausfordernd waren?

Russell Allen: Dieses Album war herausfordernd auf emotionaler Ebene, alles andere war nicht wirklich schwierig für mich. Musik zu machen ist ein natürlicher Bestandteil meines Lebens, es macht mir einfach Spaß. So ziemlich alle Aufnahmen, die man von mir hört, sind in einem Anlauf entstanden. Direkt "in the moment, you know?". Es macht mich euphorisch, wenn ich mit anderen kreativ werden kann.

Wer hatte die Idee mit dem Bandnamen und dem ganzen Mafia-Flair?

Russell Allen: Das war Portnoy! Er hatte dieses Mob-thing. Er meinte, wir seien alle aus derselben Gegend, New Jersey und New York, deshalb wäre das Mafia-Zeug sehr cool, weil es auch unsere Heimat widerspiegelt. Ich fand die Idee klasse, aber ich wollte immer die Bone-Mafia, eine Art GRATEFUL DEAD meets The Sopranos. Mike hatte mit ADRENALINE FIELD JUNKIES ein Projekt, an dem er schon seit einigen Jahren arbeitete. Portnoy ist gut darin, einen Haufen Dinge vorzuschlagen, die wir dann erst einmal verdauen mussten. Wir haben also dann einen riesen Haufen Bandnamen zusammengetragen. Einer meiner Vorschläge war z.B. Omertá, den die Jungs mochten, nachdem ich ihnen erzählt hatte, was es bedeutet, aber sie waren sich nicht so sicher, ob er als Bandname taugen würde. Schließlich fiel der Name ADRENALINE MOB. Ich fand es sehr passend, eine Gruppe Typen voller Energie plus einen Mafia-Touch, klasse! Portnoy wollte noch weitere Vorschläge machen, aber ich sagte nur: "Dude, ADRENALINE MOB that's it!" (lacht). Es war irgendetwas an diesem Namen, das mich direkt gepackt hat. Omertá kam dann irgendwann wieder rein, als Albumtitel und das Cover-Artwork wurde schließlich die Visualisierung dessen, was ich mir immer für den Bandnamen vorgestellt hatte, worüber ich mich sehr gefreut habe. Alles lief also nach Plan für das Projekt!

Hat das Mafia-Image also eine besondere Bedeutung für dich?

Russell Allen: "Die Sopranos" wurden quasi überall um mein Haus herum gefilmt. Der Strip-Club in der Show ist eigentlich ein Laden, der wirklich nur ein paar Minuten von mir entfernt liegt, wo ich zu vielen Partys, Junggesellenabschieden und ähnlichem war, oder es wurde im Haus eines Kollegen eine Straße weiter gefilmt, wo wir dann alle rumhingen. Ein anderer Kollege spielte sogar in der Show mit. Es gibt also viele Verbindungen, sowohl direkt mit der Show, als auch mit der Thematik. Die Italo-Amerikanische Kultur ist in der Gegend sehr ausgeprägt und hat einen riesen Einfluss. Die Idee von den Jungs, die auf der anderen Seite des Gesetzes stehen gefiel mir, ich meine Rockbands sollten traditionell "law-breakers" sein, schließlich sind wir hier, um unseren Spaß zu haben. Diese Band ist da nicht anders. Wir älteren haben alle Familie, somit bedeutet der "Mob" für uns auch in gewisser Weise Business, was wiederum den Bandnamen super widerspiegelt. "It's business" (er ahmt einen italienischen Akzent nach). Es passt alles super zusammen.

Welche Ambitionen habt ihr mit ADRENALINE MOB? Ich meine, du bist mit SYMPHONY X aktiv, während Mike Portnoy unter anderem noch mit TRANSATLANTIC oder FLYING COLOURS beschäftigt ist. Wie sieht die Zukunft für "The Mob" aus?

Russell Allen: Der Himmel ist die Grenze für ADREMALINE MOB. Wir sind nicht durch das "Prog-Etikett" limitiert. Prog hat eine sehr kleine Fan-Gruppe, es spricht nur wenige Leute an, vielleicht sogar die wenigsten in der ganzen Musiklandschaft, mit Ausnahme von Jazz-Fusion vielleicht. ADRENALINE MOB hat somit ein großes Potential erfolgreich zu sein und Höhen zu erreichen, die bisher keiner von uns erklommen hat, abgesehen vielleicht von Mr. Moyer (ADRENALINE MOB Bassist, Anm. d. Verf.), der mit DISTURBED eine ganze Menge Platten verkauft hat. Beim "Mob" geht es wirklich darum, Spaß zu haben und Rock-Musik zu kreieren, die Leuten aller Altersgruppen und Musikgenres gefällt. Wir sind nicht zu heavy oder zu poppig, es geht um Abwechslung, ich meine, ich bin ein alter ZEP-Head und Fan der klassischen "Four-Pieces". ZEPPELIN haben auf großartige Weise das gemacht, worauf sie gerade Bock hatten. Sie haben 'Gallow's Pole' und auf der anderen Seite 'Immigrant Song' geschrieben. Es gab keine Regeln, heutzutage etikettieren und kategorisieren wir alles so sehr. 'On The Line' auf demselben Album zu haben wie 'Undaunted' ist toll. Jeder würde zunächst erwarten, dass alle Songs oder Alben von uns so klingen müssten wie 'Undaunted', "in your face, tough shit you know". Auf der anderen Seite will ich aber zeigen, dass wir auch im Stande sind, kraftvolle Balladen zu schreiben. Wir haben denke ich viel Potential zu wachsen und unsere Erwartungen an diese "Supergroup" sind sehr hoch. Wir wollen die Erwartungen, die die Leute an eine Supergroup haben, erfüllen und übertreffen. Soviele Bands, die unter diesen Begriff fallen, sind eigentlich keine Supergroup, sondern nur Projekte zum Kohlescheffeln. Ich bin hier, um jeden Abend alles für diese Band zu geben, ich arbeite ebenso hart, wenn nicht noch härter, als ich es für SYMPHONY X getan habe. Ich bin nicht hier, um irgendwelche halben Sachen zu machen, sondern um "The Mob" soweit zu führen wie es geht.

Euer Gitarrist Mike Orlando ist ein ziemlich unbeschriebenes Blatt in der Metalszene. Könntest du ihn kurz vorstellen und mir sagen, wie du ihn gefunden hast?

Russell Allen: Mike ist ein Talent, auf das ich durch einen gemeinsamen Freund gestoßen bin, der ihn mir vorgestellt hat. Ich habe ihn zuerst in einer OZZY-Tribute Band spielen sehen. Ich war absolut weggeblasen, leider hatte ich mein erstes Solo-Album bereits fertiggestellt, so dass es zu spät für ihn war, noch daran mitzuwirken. Dennoch fragte ich ihn, ob er Interesse hätte, an meinem nächsten Album beteiligt zu sein. Wir haben also die Arbeiten daran begonnen und so begann unsere musikalische Zusammenarbeit. Damals machte er sich gerade einen Namen, auch bei Gigs hier in Deutschland, durch seine Solo-Aktivitäten. Wir schrieben aber unterdessen an die 30 Songs für unser Projekt. Ich war danach erschöpft und ausgebrannt, zudem gab es zuviele Unterbrechungen, aufgrund meiner Touren mit SYMPHONY X, deshalb ließen wir von dem Solo-Album Zeug erstmal ab. Ich hatte die Idee einer Rockband im Kopf, die ich seit einiger Zeit schon zusammenstellen wollte, also zeigte ich Mike meine Demos dafür und fragte ihn, was man davon verwenden könnte. Wir haben zwei Vorabsongs an ein paar Labels geschickt und die forderten direkt mehr und waren begeistert, also begannen wir neue Sachen zu schreiben. So hat die ganze Sache mit ADRENALINE MOB angefangen. Orlando ist ein neues Talent, völlig unberührt, was ihm die Möglichkeit bietet sein Können hier zu zeigen, andererseits profitiert ADRENALINE MOB davon, dass die Leute ihn noch nicht kennen und er noch interessant für sie ist. Außerdem hat er eine Menge zu sagen! Er hat eine Menge zu sagen, was die Leute halt noch nicht gehört haben.

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