Interview mit Marrok von Anomalie

Ein Interview von Zephir vom 09.04.2014 (15397 mal gelesen)
Marrok, der Kopf hinter der Ein-Mann-Band ANOMALIE, hat kürzlich mit "Between the Light" sein erstes Abum im Alleingang veröffentlicht. Was steckt alles drin in diesem Künstler und seinem Projekt? Ich war schon neugierig ...

Hallo Marrok, erst einmal gratuliere ich zum Release von "Between The Light" - herzlichen Glückwunsch! Bist du zufrieden mit dem Ergebnis?

Marrok: Durchaus! Es war eine lange Entwicklung bis hin zur Veröffentlichung, fühlt sich gut an, das Teil nun in den Händen zu halten! Die letzten Aufnahmen liegen jetzt schon wieder fast ein Jahr zurück, da betrachtet man das Endprodukt schon mit etwas Abstand und auch einige verbesserungswürdige Punkte für den Nachfolger kommen mir laufend in den Sinn, aber das ist ganz natürlich, man lernt nie aus und muss einfach auch zufrieden mit einem Produkt sein können. Und das bin ich mit "Between the Light"!

Du hast für ANOMALIE alle Instrumente selbst eingespielt - Chapeau. Erzähl doch bitte erst einmal ein bisschen von dir und deinem musikalischen Background.

Marrok: Musikalisch war ich ein ziemlicher Spätstarter. Mein Elternhaus ist extrem unmusikalisch, so war, bis auf ein paar erste Gehversuche als Kleinkind, Musik für mich bis zu meinem 16. Lebensjahr ein rein passives Erlebnis - bis ich mich quasi über Nacht entschloss, es mal selbst zu versuchen. Ein paar Tage später war meine erste Gitarre im Haus und ich begann herumzuprobieren - und hab irgendwie nie mehr damit aufgehört! Aktuell bin ich Gitarrist und Songwriter bei SELBSTENTLEIBUNG, Sänger bei TULSADOOM und Live-Gitarrist bei HARAKIRI FOR THE SKY.

Was hat dich bewogen, ein Album im Alleingang zu machen? Man sollte doch meinen, du seist mit deinen anderen Aktivitäten genug ausgelastet.

Marrok: Die Idee zu ANOMALIE kam schrittweise. Neben meiner Arbeit für meine Bands schreibe ich gerne ganze Songs, die sich stilistisch deutlich von dem unterscheiden, was wir als Band präsentieren. Man lernt viel in Sachen Songwriting-Strukturen, wenn man sich mal an anderen Genres versucht. Über zwei bis drei Jahre verteilt entstanden dabei auch Songs, in die ich trotzdem auch deutliche (Black)-Metal-Elemente einfließen ließ, welche ich anfänglich nur zu meinem privaten Vergnügen aufgenommen habe. In dieser Zeit entstand der Gedanke, daraus ein eigenständiges Projekt zu formen, also schrieb ich noch zwei weitere Songs, passte die Übrigen noch ein wenig aneinander an, und schon war "Between the Light" geboren.

Weil wir ja alle Kategorien lieben: Wie würdest du die Art von Musik nennen, die du machst?

Marrok: ANOMALIE ist schlicht und einfach mein "innerer Soundtrack"! Wie man zweifelsohne leicht heraushört, baut die Musik auf meinen Wurzeln im Black Metal kombiniert mit verschiedensten Einflüssen, die sich auch laufend verändern. Wozu muss man jede Band in eine möglichst speziell betitelte Schublade packen?

Verstehst du die Genrebezeichnung "Post Black Metal"? Da scheiden sich ja die Geister.

Marrok: Ich denke, unter dem Begriff versucht man alles zusammenzufassen, was auf der Grundlage von Black Metal versucht den nächsten Schritt zu gehen. Da dieser "Schritt" in verschiedenste Richtungen passiert, ist diese Bezeichnung natürlich sehr breitbandig und nur bedingt aussagekräftig. Man darf wohl einfach damit rechnen, dass "Post Black Metal" in irgendeiner Weise anders, oft "moderner" und offener klingt als klassischer 90er Black Metal, was noch lange kein Qualitätssiegel darstellt, Schrott gibt's in jedem Genre en masse! Die meisten Hörer schmeißen ANOMALIE mit in den "Post Black Metal"-Topf, und da ich schlicht Besseres zu tun hab als mir eine originellere Bezeichnung auszudenken, hab ich das einfach mal so übernommen!

Im Vergleich zu anderen artverwandten Sparten wirkt deine Musik ziemlich realitätsnah, es klingt, als würdest du viel Inspiration aus dem alltäglichen Leben ziehen. Darf ich dich fragen, ob das so stimmt - wenn das nicht zu persönlich ist?

Marrok: ANOMALIE dreht sich großteils ganz bewusst um sehr reale und persönliche Themen, das ist richtig. Texte sind für mich eine wesentlich größere Herausforderung als der instrumentale Part der Songs, so entstehen die Inhalte in der Regel erst durch tatsächlich stattfindende Ereignisse in meinem Leben. Nur so wird das Material so ehrlich, dass ich mich auch in zehn Jahren noch problemlos in die Musik werde hineinversetzen können!

Was ist die tote Stadt in 'Tales Of A Dead City'? Die Stadt ist eine Metapher, oder?

Marrok: Der Song basiert, zu meiner eigenen Überraschung, auf einem Traum, den ich eine Zeit lang immer wieder durchlebte. Für mich war es davor ziemlich unvorstellbar, jemals einen Traum zu vertonen, da ich zu den Menschen gehöre, die in der Regel einen sehr ruhigen, ausgeglichenen Schlaf haben. Ich erinnere mich an Träume nur sehr selten ... wenn, dann meist nur sehr kurz und diesen Sequenzen schenke ich normalerweise auch nicht weiter Beachtung – bis auf diese spezielle Ausnahme. Ich habe um diese sehr stimmungsintensiven Bilder in meinem Kopf eine vage Handlung geknüpft und nach hartem Kampf dieses Szenario einigermaßen in Worte gefasst.

Wer ist die Dame, die den Song mit dir singt?

Marrok: Eine sehr gute langjährige Freundin, ich bin sehr zufrieden mit ihrem Job in diesem Song! Ich steh auf facettenreiche Musik, da war der Reiz, eine Passage mit weiblichem Gesang zu füllen, groß. Und ich denke, da ist auch für zukünftiges Material noch Potenzial für weitere ähnliche Einlagen, ob mit ihr oder einer anderen Sängerin steht allerdings noch in den Sternen.

Ich mag ihre Stimme. Sie erinnert mich ein bisschen an Audrey Sylvain, die bei AMESOEURS gesungen hatte. Zwischenfrage, kennst du AMESOEURS?

Marrok: Klar, eine der eigenständigsten und besten Projekte die ich kenne! Glücklicherweise sorgt die damalige Besetzung weiterhin für tolle Werke in ihren aktuellen Bands!

Zurück zu deinem Album. 'Not Like Others' startet mit eingespielten Samples von englischsprachigen Newsspeakern und Polizeisirenen. Welche Geschichte steckt dahinter?

Marrok: Ich stieß auf gut dokumentierte Einzelfälle von jungen Amokläufern, die einerseits deren Lebensgeschichte und die psychologischen Hintergründe, aber auch deren Umfeld gut durchleuchten. Ein paar sehr ergreifende persönliche Zeilen aus diesen Dokumenten waren der Auslöser für diesen Song. Ich war etwas unsicher, ob es Sinn macht, dieses Thema in ANOMALIE einfließen zu lassen. Aber letzten Endes hat alles, was mich in irgendeiner Weise bewegt, seine Daseinsberechtigung in meinem Soloprojekt!

Findest du es eigentlich einfacher, über emotional aufgeladene Inhalte auf Englisch zu schreiben und zu singen?

Marrok: Die englische Sprache ist etwas flüssiger, wodurch sie sich musikalisch wohl etwas leichter einbinden lässt, inhaltlich fällt es mir allerdings teils schwerer, da ich auch abseits der Muttersprache Deutsch ein ansprechendes sprachliches Niveau bieten will. Der Hauptgrund, warum die Wahl bisher auf Englisch fiel, ist, dass ich bereits bei SELBSTENTLEIBUNG seit "kategorie:tot" einen großen Teil der Texte verfasst habe und dort ausschließlich auf Deutsch geschrieben wird. Es sollte sich bei Anomalie einfach nicht so anfühlen, wie weitere SELBSTENTLEIBUNG-Lyrics zu schreiben.

Könntest du dir deutsche Lyrics genauso gut vorstellen?

Marrok: Ich schließe nicht aus, dass zukünftig die eine oder andere deutsche Zeile oder gar ein ganzer Song auf Deutsch geschrieben werden wird. Ein Song vom "Between the Light"-Nachfolger erhielt bereits einen deutschen Titel, ich entscheide solche Dinge jedoch eher spontan.

Auf "Between The Light" gibt es auch einen Coversong - 'Hurt'. Wie kamst du ausgerechnet auf dieses Lied? Es wurde schon so oft gecovert, dass es doch mittlerweile echt öde geworden ist.

Marrok: Ganz ehrlich, ich kenne bis zum heutigen Tag nur das Original von NINE INCH NAILS und die Interpretation von JOHNNY CASH, allerdings hab ich auch nie gezielt nach anderen Versionen gesucht, interessiert mich auch nicht weiter. Der Song begleitet mich schon seit vielen Jahren und es war mir schon lange eine Herzensangelegenheit, diesem Stück Musikgeschichte auf meine eigene Art und Weise Tribut zu zollen. Es war von Anfang an klar, dass es für Außenstehende nicht viel zu gewinnen gab, dementsprechend teilen sich auch deutlich die Meinungen über meine Coverversion, das ist auch völlig nachvollziehbar und ok so. Es war eine Herausforderung und gute Übung für zukünftige eigene Songs mit alternativen Vocal-Parts fernab der auch im nächsten Album vorherrschenden Screams! Es gibt jedoch auch erstaunlich positive Reaktionen auf meine Interpretation, doch muss ich klar sagen, auf "Between the Light" hat 'Hurt' auch für mich eindeutig Bonus-Track-Charakter, die Platzierung ist daher ganz bewusst am Ende der Tracklist, um niemanden mitten am Album damit zu "quälen", das Hauptaugenmerk liegt klar auf den anderen Songs!

Bleibst du den anderen Bands, in denen du aktiv warst, denn auch in Zukunft erhalten? Bei HARAKIRI FOR THE SKY hast du live mitgespielt, soweit ich informiert bin, bei SELBSTENTLEIBUNG bist du aber fest mit drin ...

Marrok: Also fest bin ich in beiden Bands, bei HARAKIRI FOR THE SKY obliegt einfach das Songwriting allein M. S., bei SELBSTENTLEIBUNG bin ich seit dem zweiten Studioalbum für die Kompositionen und einige Texte zuständig, was auch weiterhin so bleiben wird. Ich kümmere mich auch in beiden Bands um das Management, es läuft besser denn je und ich hege keine Absichten, meine momentanen Aktivitäten zu reduzieren!

Du warst im vergangenen Jahr auch live bei den Auftritten von HERETOIR dabei - bist du jetzt im April und im Mai wieder mit von der Partie?

Marrok: Ich hab lediglich letzten Sommer am Dark Bombastic Evening in Rumänien den Bass übernommen, da Nathanael aus beruflichen Gründen manche Termine nicht wahrnehmen kann oder konnte. Dies ist auch im Mai auf der DORNENREICH-Tour wieder der Fall, jedoch wird dort an meiner Stelle Torsten von AGRYPNIE/NOCTE OBDUCTA einspringen, und ich freu mich schon, das Spektakel als Zuschauer genießen zu können! Das aktuelle Lineup der Band ist immer wieder mal geplagt von Personalmangel aufgrund von Gig-Überschneidungen der Bands, in denen die Jungs noch mitwirken, daher könnte es irgendwann mal wieder dazu kommen, dass ich gebraucht werde. Ich wünsche es Dave jedoch herzlich, dass sich auf Dauer wieder Stabilität im Hause HERETOIR einstellt!

Wenn ANOMALIE mal on Stage gehen sollte, wen würdest du mit ins Boot holen?

Marrok: Das ist trotz bereits bestehender Angebote in den nächsten - ich sag mal - mindestens zwei Jahren überhaupt kein Thema! Falls das Projekt mit dem nächsten Album oder vielleicht noch später doch mal auf die Bühne gebracht wird, habe ich natürlich geeignete Kandidaten im Kopf. Allerdings würde das erst mal intern besprochen werden, dazu kann und will ich anno 2014 noch nichts sagen.

Mal eine ganz andere Frage: Das "o" in ANOMALIE ähnelt ziemlich fatal dem Ein- und Ausschaltknopf eines Elektrogerätes jedweder Firma und Nationalität. Ist das Absicht - und was bedeutet das?

Marrok: Das ist natürlich nicht ohne Hintergedanken so ... ich verzichtete bei der Logogestaltung ganz bewusst auf übliche Symboliken diverser Metalbands, und stattdessen entstand in Zusammenarbeit mit Irrwisch Illustrationen das offizielle Logo mit dem angesprochenen "o". Dieser "Ausschaltknopf" kann und darf durchaus verschieden interpretiert werden. Ich entdecke selbst immer wieder neue Ansätze! Für mich persönlich steht dieses Zeichen unter anderem für eine Art mentale Notbremse, einen Notausgang, denn durch ANOMALIE habe ich mit manchen Bereichen meines Lebens auf eine sehr befreiende Weise abgeschlossen - ähnlich, als hätte ich den Ausschaltknopf für dunkle Bereiche des Lebens gefunden, den ich mit jedem neuen Song erneut drücken kann, wann immer mir danach ist!

Auf dem Albumcover gibt es dieses Logo nicht ... noch nicht?

Marrok: Das Logo existierte bereits während den Arbeiten am Artwork, jedoch erschien uns (meinem Grafiker und mir) die Variante ohne das offizielle Logo als die in sich stimmigere Lösung. Manchmal passen simple Schriften einfach besser ins Gesamtbild, da muss dann nicht zwingend das Bandlogo am Cover vertreten sein.

Danke, dass du dir die Zeit für mich genommen hast! Ich hoffe, wir hören bald wieder von ANOMALIE. Das Schlusswort gehört selbstverständlich dir.

Marrok: Vielen Dank für das Interesse an ANOMALIE und die Unterstützung über bleeding4metal!

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