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Über Relevanz von Bands und substanzielle Releases angesichts der Digitalflut |
Ein Artikel von Opa Steve vom 30.12.2018 (23816 mal gelesen) |
Was sind "relevante Bands"?
Diese Frage klingt auf den ersten Blick so banal wie auch subjektiv. Natürlich würde jeder Metal-Fan aus dem Stegreif sofort eine Reihe von Bandnamen runterbeten, die für ihn als "relevant" gelten. Egal, ob sie es in die Albumcharts schaffen, oder lediglich ein Drei-Track-Demo über die Underground-Szene traden. Weil nämlich Musik sofort für einen selbst relevant erscheint, wenn man diese abfeiert, diese Herz, Bauch und Kopf erreicht, oder einfach als außergewöhnlich wahrgenommen wird.
So einfach, wie jeder seine persönlichen relevanten Bands aufzählen und begründen kann, so kompliziert wird es bei der Suche nach allgemeingültigen Definitionen. Diese braucht man nämlich, um sich in einer gewissen Breite entscheiden zu können, ob eine Band es wert ist, professionell betrachtet zu werden, oder nicht. Und professionelle und faire Maßstäbe sind wichtig, wenn man die relevante Musik nicht nur für sich selbst filtert, sondern für Dritte. Wie zum Beispiel für euch, liebe Leser. Um es auf den Punkt zu bringen: Jedes Publikationsmedium steht vor dieser schwierigen Frage. Auch Bleeding4Metal. Von außen betrachtet könnte man dies als Luxusproblem abtun; unser Hobby bringt nun mal mit sich, dass wir mit allerlei Musik konfrontiert werden, für die andere Menschen lange stöbern und suchen müssen. Andererseits sind Ressourcen auch immer endlich. Und Bands bzw. Releases mittlerweile gefühlt unendlich. Bei einem Magazin als Freizeitbeschäftigung - wie es unser Verein nun mal ist - ist die begrenzte Ressource die Zeit. Bei kommerziellen Magazinen oder Label-A&Rs ist es neben der Zeit auch das Geld. Dieser Spagat ist schwierig. Da wir ohne kommerzielle Zwänge arbeiten, haben wir immerhin keine entsprechenden Maßstäbe, ob Musikmaterial kommerziell interessant ist und genießen eigentlich dadurch hohe künstlerische Freiheit. Labels, DJs und Broadcaster müssen da schon anders denken, wenn sie sich durch die eingegangenen Bewerbungen wühlen. Ursache hierfür ist, dass die Produktion von Musik seit Jahren so billig wie noch nie ist. Die Digitalisierung erlaubt Direktvertriebe ohne physischen Tonträgerhandel. Jeder Gitarrist mit programmierbaren Drumsampler kann heute an einem Wochenende ein Black Metal-Projekt am PC starten und die Songs weltweit anbieten. Solange man nicht prekär unter der Brücke leben muss oder in Staaten mit eingeschränkter Versorgung lebt, gibt es für die Erschaffung von Musik keine nennenswerten Hürden mehr. Und was für die Künstler ein Segen ist, ist für die Menschen, die sich mit den Resultaten beschäftigen möchten, ein Fluch.
Ich erinnere mich noch gut an die Anfänge von Bleeding4Metal, als ich 2003 in der Pionierphase hinzugestoßen war und mich schon kurz darauf in der Promoverteilung engagierte. Damals bekam man noch hauptsächlich Promos per Post. Wenn es 40 im Monat waren, waren es schon viel. Doch diese Zeiten sind schon lange vorbei. Auch die professionellen Vertriebe und Promoter nutzen heute entsprechende Online-Plattformen und arbeiten so kostengünstiger. Da eine fertig vorproduzierte Newcomer-Scheibe auch das Label kaum noch was kostet, sind die Risiken gesunken. Viele Labels signen heute Masse für wenig Geld und schauen, welche Band sich entwickelt. In den letzten Jahren sind die Eintagsfliegen enorm in die Höhe geschossen, die wir nie mit einem zweiten Album kennenlernen dürfen. Und dabei habe ich noch nicht von den absoluten Zahlen gesprochen. Wenn man alle Direktangebote mitzählt, bekommen wir in starken Monaten durchaus 150 Veröffentlichungen angeboten. Kurzum: Während die Erschaffung und Verbreitung von Musik immer einfacher geworden ist, macht die Beschäftigung damit pro Album immer noch genauso viel Arbeit wie vor 15 Jahren. Man muss sich immer noch die Musik mehrmals anhören, man muss seine Eindrücke sortieren, niederschreiben und korrekturlesen.
Durch diese gewachsene Diskrepanz, die aktuell vermutlich ihren Höhepunkt erreicht hat, wird schnell klar: Man kann sich nicht professionell mit jeder Musik beschäftigen, die einem über den Weg läuft. Man könnte es jetzt natürlich dem Zufall überlassen, welche Bands in unserem Magazin berücksichtigt werden - fairer allerdings sind klare Maßstäbe. Und beim Aufstellen dieser Regeln muss man sich unweigerlich mit der Frage beschäftigen, was einer Band oder einem Release die entsprechende Relevanz gibt, hier Zeit zu investieren. Mit dieser Frage sind wir übrigens nicht allein! Und viele tun sich schwer damit. Betroffen sind vor allem Magazine, die immer öfter Massen von aufstrebenden Jung-Musikern einen Korb geben müssen, die so viel Herzblut in ihre erste Veröffentlichung gegossen haben. Aber auch die Encyclopaedia Metallum hatte sich im Herbst diesen Jahres mit der Frage beschäftigt, wie im digitalen Zeitalter die Policy für eine Aufnahme von Bands sinnvoll gestaltet werden könnte. Nachdem lange Zeit physische Releases als Indikator relevanter Bands galten, wurde später die Spieldauer der Releases maßgeblich. Mittlerweile spielen noch weitere Aspekte hinein und zur wird Not im Team über die Relevanz entschieden. Auch bei Bleeding4Metal haben wir Kriterien, anhand derer wir die Zusendungen in eine nähere Auswahl ziehen oder eben ignorieren. Diese sollen dazu dienen, eine gewisse Ernsthaftigkeit der Künstler zu bewerten und ernsthaft arbeitende Bands vorzuziehen. Und hierbei muss man betonen, dass dafür nicht zwingend die Produktionsqualität zählt. Sondern eher die Art und Weise, wie engagiert man seine Musik zum Rezensenten oder Hörer bringt. Was bei uns z. B. sofort unter den Radar rutscht sind sämtliche Massenmails von kostenlosen hotmail- oder gmail-Accounts, die in einem Dreizeiler einen lieblosen Dropbox-Download anpreisen. Spätestens hier trennt sich die Spreu vom Weizen, denn man darf schon erwarten, dass sich eine ernsthafte Band auch um eine solide Basis ihrer Öffentlichkeitsarbeit kümmert. Und leider gibt es mittlerweile sogar einzelne Promoter, die zu dieser Sparversion greifen und anschließend glauben, dass man sich mit 3 Minuten Aufwand eine Titelstory nebst Interview verdient hat. Und es wäre unfair, solche Discount-Promos genauso aufmerksam zu behandeln wie eine Herzblut-Zusendung aus Übersee mit CD, Anschreiben und sorgfältig zusammengestelltem Info-Material. Denn letztendlich sind es Leidenschaft und Einsatz, die über eine langfristige Relevanz von Bands entscheiden. Und diesen Bands, denen es etwas wert ist, wollen wir uns vornehmlich widmen. Denn schließlich erwartet man auch von uns, dass wir den Werken entsprechende Aufmerksamkeit schenken.
Dass solche Regeln einem Künstler nicht immer gerecht werden, ist völlig klar. Und ob die Relevanz später auch zu einer guten Rezension führt, steht auch auf einem ganz anderen Blatt. Andererseits sind Filter in der heutigen Bandflut nötig. Darüber hinaus bleibt es natürlich am Schluss immer noch eine subjektive Entscheidung, was man persönlich für relevant hält und was nicht. Und wir haben noch keinen Rezensenten gebremst, wenn dieser neben unserem offiziellen Programm eine persönliche Perle mit einem Review berücksichtigen möchte.
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