Nocte Obducta - Irrlicht | |
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Review von Zephir vom 25.11.2020 (8976 mal gelesen) | |
NOCTE OBDUCTA begehen, wenn man so will, 2020 das Jubiläum ihrer ein Vierteljahrhundert währenden Bandgeschichte. Wenngleich die Historie von Namensänderungen, Pausen und Besetzungswechseln durchzogen ist - bei welcher langjährig bestehenden Band wäre das auch anders? - gehören die Mainzer Avantgarde Black Metaller doch zu jenen, welche mit konstanter Verlässlichkeit stets ihren Sonderweg beschritten. Das neue Release mit dem Titel "Irrlicht (Es Schlägt Dem Mond Ein Kaltes Herz)" ist das mittlerweile dreizehnte Album, und NOCTE OBDUCTA kehren hiermit wieder zurück zu ihrem früheren Label Supreme Chaos Records, unter dessen Dach sie bereits zwischen 2003 und 2008 veröffentlichten. Auch ansonsten sieht auf "Irrlicht" so einiges nach fortschrittlicher Rückkehr aus, um ein für dieses Werk passendes Oxymoron zu verwenden. Wer NOCTE OBDUCTA schon länger kennt oder sich ein wenig mit ihren früheren Werken beschäftigt, wird allerhand Reminiszenzen finden. Vielmehr: Von den sieben Tracks auf "Irrlicht" stammen überraschend viele Ideen und Gehalte aus den Jahren vor 2011 - in diesem Jahr liegt der Grenzstein der Quasi-Wiederaufnahme der Bandaktivität. Selbst annoncieren NOCTE OBDUCTA die thematische Anknüpfung an die zweiteilige Reihe "Nektar", die 2004 mit "Nektar Teil I (Zwölf Monde, Eine Hand Voll Träume)" und 2005 mit "Nektar Teil II (Seen, Flüsse, Tagebücher)" erschien. Ein Blick auf die Entstehungsdaten der "Irrlicht"-Songs, die mir dankenswerterweise mitsamt den Lyrics zur Verfügung stehen, offenbart und verschleiert aber mindestens ebenso viel wie die Titel, deren eine oder andere Metapher dem aufmerksamen Hörer die für NOCTE OBDUCTA so typischen Querverweise durch die Backlist liefert. Der Opener 'Zurück Im Bizarren Theater', der zwischen den Jahren 1997 und 2002 entstanden ist, lässt kaum Zweifel daran, dass er irgendwo im Kontext des 1999er-Debüts "Lethe - Gottverreckte Finsternis" geboren sein muss. Kundige erinnern sich: Dessen Opener hieß dereinst 'Im Bizarren Theater'. Obgleich nun auch 'Zurück Im Bizarren Theater' mit schwarzromantischer Metaphorik nicht geizt, wiederholen NOCTE OBDUCTA die frühere wahnwitzige, keifende, morbide ausgeschmückte Maschinengewehr-Raserei nicht. Der neue Track ist zunächst rumpeliger mit vielen groovig anklingenden Verminderten, passagenweise sehr viel getragener mit etwas doomigem Experiment. Es folgt ein unfassbar zäh schleppender Brocken namens 'Von Stürzen In Mondmeere' mit psychedelisch-orientalischen Skalen und Anleihen aus dem Black Doom. Ähnliche Töne hatten NOCTE OBDUCTA auf beiden "Nektar"-Alben angeschlagen, auch inhaltlich geht man hier wieder metaphorisch und überaus feinsinnig-lyrisch zu Werke. Musikalisch zeigt sich der neue Track aber deutlich konservativer als die vergleichsweise herangezogenen Werke (wobei der Begriff "konservativ" in Anwendung auf die Musik höchst relativ verstanden werden muss). 'Rot Und Grau', ein Track, der zumindest teilweise bis auf das lang vergangene Jahr 1995 zurückgeht und dessen Bearbeitung sich über viele Jahre bis 2018 gezogen hat, steht anschließend in frappierendem Kontrast dazu. Hier kommt mehr synthetisch generierte Atmosphäre zum Einsatz, wie sie auch auf den Alben Mitte der Nuller Jahre zu hören war: Herzschlag, dann fieser Dark Black Metal, dann ein Interlude mit rau grollend eingesprochenen Vocals voller morbider Wortbilder, die Ekel und Schmerz provozieren. Etwas offensichtlich ganz Neues bekommen wir mit 'Der Greis Und Die Reiterin' zu hören. Der Track ist datiert auf 2019 und folgt wieder der groovigen, konsequenten Schnörkellosigkeit des Openers. Mit 'Der Alte Traum' tauchen wir anschließend ab in eine Art Post Black Metal: "gazeige" Gitarren mit Doublebass, zwischendurch wieder wild keifende Raserei, nach etwa der Hälfte ein atmosphärisch-verlorenes Instrumental-Intermezzo, das sich bis hin zu schleppenden Psychedelic-Gefilden durchhalluziniert. Ein bodenloses Bangen um den alten Traum von der Geborgenheit: Zwischen 2010 und 2018 haben sich Mastermind Marcel und seine Jungs damit befasst. 'Bei Den Ruinen' (2001/2018) offenbart sich wiederum zäh und doomig, mit klar artikulierten, eingesprochenen Lyrics. Hier fühle ich mich teilweise an die beiden Tracks 'Atme Teil I ' und 'Atme Teil II' des zweiten "Nektar"-Albums erinnert, allerdings wirklich nur teilweise. 'Bei Den Ruinen' hält sein mühselig walzendes Tempo durchwegs und steuert zwischenzeitlich noch seltsam noisige Einsprengsel bei. Fast klingt 'Noch' daneben freundlicher: Im Post-Black-artigen Shoegazer-Riffing mit Doublebass tauchen unvermittelt hellere Harmonien auf, die dem Ganzen einen verträumt-elegischen Charakter verleihen. Von melancholisch-elegischem Charakter sind auch die Lyrics dieses 2018 entstandenen Songs sowie der leicht wiegende Sechs-Achtel-Takt, der am Ende langsam ausfadet. Auf welchen Punkt ließe sich "Irrlicht" mit dem programmatischen Coverartwork von Multiinstrumentalist Marcel nun bringen? Ist es eine Zeitreise durch die vergangenen beiden Jahrzehnte? Wohl kaum. Für eine Avantgarde-Combo, die sich über kryptische Selbstzitate stets treu bleibt und dabei immer wieder neu erfindet, ist "Irrlicht" nahezu paradigmatisch aktuell. Und wen, das fragt das müde Herz / Und wen soll das noch kümmern ... Gesamtwertung: 9.0 Punkte | |
Trackliste | Album-Info |
01. Zurück Im Bizarren Theater 02. Von Stürzen In Mondmeere 03. Rot Und Grau 04. Der Greis Und Die Reiterin 05. Der Alte Traum 06. Bei Den Ruinen 07. Noch | Band Website: www.nocte-obducta.de Medium: CD Spieldauer: 52:05 Minuten VÖ: 27.11.2020 |
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