Interview mit Carmelo von Novembre

Ein Interview von Opa Steve vom 31.05.2006 (13571 mal gelesen)
Was passiert, wenn man BJOERK mit MAYHEM kreuzt? Carmelo versucht, die Weiterentwicklung von Gegensätzen zu erklären.

  Hallo Jungs! Ich habe gerade von eurem Labelinfo gelernt, dass eure Bandgeschichte schon 15 Jahre alt ist. Ich bin neugierig, warum ich hier noch nicht auf euch aufmerksam geworden bin. Bitte stellt euch doch kurz in eigenen Worten vor.

Carmelo:   Mein Bruder und ich haben vor 15 Jahren angefangen, aber NOVEMBRE starteten erst 1994. Wir bewegten uns in der Underground Death Metal Szene der späten 80er und frühen 90er. Es gab Fanzines (die später wichtige Magazine wurden), Tapetrading und so Sachen. Es ist übrigens komisch, dass du nichts von uns gehört hast. Wir unterzeichneten bei einem deutschen Label, spielten zweimal auf dem Wave Gothic Treffen und tourten zweimal durch Deutschland (mit MOONSPELL, KREATOR, dann mit OPETH und KATATONIA). Dieses Jahr ist es das dritte mal, immer noch mit unseren Mitstreitern KATATONIA. Wir spielten in Berlin, Köln, Essen, Karlsruhe und Hamburg... tolle Shows. Berlin war fantastisch.

  Eure Mitglieder sind ja erst knapp über 30. Ihr habt also sehr früh angefangen. Wann begann für euch die ernste Zeit mit der Musik, und wie hat sich diese von damals bis heute gewandelt?

Carmelo:   Es war uns immer ernst damit. 1994 haben wir den Bandnamen gewechselt, da sich der Stil zum heutigen entwickelte. Nichtsdestotrotz hörten und spielten wir noch extremen Death Metal wie frühe DEATH, SLAYER, PESTILENCE, BOLT THROWER, CARCASS, AUTOPSY und so. Irgendwann kamen PARADISE LOST und die verwandte Gothic Doom Szene zum Vorschein, und P'LOSTs "Gothic" album war ein ziemlicher Schock für uns. Es wurde möglich, Death Metal mit Melodie zu kombinieren, Wut mit anderen Ausdrucksformen als dieser... Es wurde möglich, durch Metal tiefere Gefühle auszudrücken.

  Euer Stil ist schwer zu beschreiben - er ist progressiv, aber klingt immer sehr leicht. Wir würdet ihr ihn beschreiben?

Carmelo:   Es ist sehr schwer uns zu beschreiben. Viele haben es versucht, wenige oder gar niemand kam zu einem Ergebnis. Ich kann nur sagen, dass wir die Wurzeln im Heavy Metal wie die oben erwähnten Bands haben. Jetzt kannst du uns in die Ecke von zeitgenössischen intellektuellen Bands wie OPETH, KATATONIA, RAPTURE oder BEYOND DOWN stecken. Aber in erster Linie gilt immer noch der Einfluss der längst vergessenen Melodien der 80er - leider vergessenen...

  Wenn man sich euer softes und harmonisches Material anhört kann man kaum glauben, dass ihr mit WITCHERY und KREATOR unterwegs wart. Wie reagierten die Thrasher auf eure Musik?

Carmelo:   Diese Tour passte genau zum damaligen Album "Classica". Dieses ist wesentlich aggressiver, voller Blasts und Wutausbrüchen. Ich kann mich daran erinnern, dass das Feedback klasse war.

  Auf eurer Webseite fand ich ein Foto mit euch und Piggy (RIP) von VOIVOD. Habt ihr jemals zusammen gespielt?

Carmelo:   Leider nicht. Dieses Bild wurde 1996 auf einer Show in Italien aufgenommen. Ich schätze mich glücklich, ihn gekannt zu haben.

  Ich weiß nicht, inwieweit Piggies einzigartiger Gitarrenstil euch beeinflusst hat, aber eure genannten Einflüsse sind ebenfalls überraschend. Da finde ich nette Kombinationen von MAYHEM bis BJÖRK. Ist der Stil von NOVEMBRE ein Kompromiss, oder seid ihr alle so open-minded mit einem breit gefächerten Musikgeschmack?

Carmelo:   Piggy hat einen höllisch großen Einfluss auf NOVEMBRE! Das uns am ähnlichsten klingende VOIVOD Album ist mit Sicherheit "Angelrat". Ansonsten ist NOVEMBRE das Produkt tausender Einflüsse, und die von uns genannten sind nur die Wichtigsten. Ich kann natürlich nicht alles nennen, was mich beeinflusst.

  'Comedia' startet mit echten Blastbeats - aber nur sehr kurz. Habt ihr kein Interesse mehr an hartem und schnellen Material, oder sind die Alternative/Metal-Klampfen mit ruhigen Gesangslinien der flexiblere Weg, eure Musik auszudrücken?

Carmelo:   Wir haben unsere Alben immer am Stück geschrieben und einfach unserem Unterbewusstsein den Vortritt gelassen. Es wäre eine Todsünde, auf diese Gabe zu verzichten, bloß um Jemandens Erwartungshaltung zu befriedigen. "Wish I Could Dream It Again..." war sehr aggressiv. "Arte Novecento", das zweite, war ruhig und traurig. "Classica" ist bis heute das härteste, obwohl sich dort auch Songs wie 'Nostalgiaplatz' befinden. Unsere Alben entsprechen unserer Stimmung. Ich weiß nicht, wie ich mich morgen fühlen werde, aber ich komme von "Materia" momentan nicht weg und höre es täglich.

  In der Tat klingen die meisten eurer neuen Songs sehr melancholisch, aber die Texte liefern keine einfache Erklärung hierfür. Welche Gefühle hatten Einfluss auf dieses Songwriting?

Carmelo:   Weißt du, unsere Texte handeln von unseren tiefsten Gefühlen, die wir nicht an die große Glocke hängen wollen, weil es peinlich ist, darüber zu reden. Deswegen drücken wir sie in Poesie aus. Poesie markiert die ganzen Gedanken, ähnlich wie Träume.

  Habt ihr je darüber nachgedacht, euer kommerzielles Potential zu nutzen? Deine Stimme erinnert mich manchmal an HIMs Ville, und die progressiven Elemente sind geschickt hinter einem flockigen Alternative-Sound versteckt.

Carmelo:   Hey, das geht runter wie Öl [strahlt von einem Ohr zum anderen]! Vielen Dank dafür! Aber dennoch: kommerziell zu werden ist nichts für uns. Ich bin mir nicht einmal sicher, ob wir das überhaupt könnten. Wir sind konservative Musiker, und unser einziges Ziel ist, wahre Musik zu machen und uns treu zu bleiben.

  Ich danke euch für die Zeit - nett, euch jetzt besser kennengelernt zu haben!

Carmelo:   Das beruht auf Gegenseitigkeit, Kumpel!

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