Livebericht The Temperance Movement |
---|
Ein Livebericht von Stormrider aus Aschaffenburg (Colos Saal) - 19.12.2016 (22451 mal gelesen) |
Retro und Vintage Rock ist ja bekanntermaßen seit Jahren ein boomendes Genre. Neben den vielen eher psychedelisch angehauchten Vertretern gibt es aber auch genügend Bands, die geradlinig und ohne allzu viele Schnörkel nach vorne rocken. THE TEMPERANCE MOVEMENT gehören genau zu dieser Sorte Bands, und sie schaffen es, ihre Fans in allen Bereichen der gitarreninteressierten Musikliebhaber zu gewinnen. Das zeigt auch die Bandbreite vom Soundchecksieg in Deutschlands größter Metal-Postille bis hin zum Auftritt im ZDF-Morgenmagazin am heutigen Vormittag. So stehen im Colos-Saal folgerichtig die Kuttenträger brav neben dem Mann mit Schlips und dem Rechtsanwalt, und auch bekannte Gesichter aus der Bundespolitik bekennen sich offen zum erdigen Rock der Briten. Doch bevor THE TEMPERANCE MOVEMENT zum Tanz bitten, obliegt es THE GRAVELTONES den gut gefüllten, aber an einem Montag vor Weihnachten nicht ausverkauften, Colos-Saal anzuheizen. Pünktlich um 20:00 Uhr legt das Duo (!!) dann los und lässt vom ersten Akkord an keinen Zweifel daran aufkommen, dass man hier einen bleibenden Eindruck hinterlassen möchte. Optisch erinnert mich die zwei an Jack Black und Bud Spencer, und diese Vorstellung bekomme ich auch die gesamten 30 Minuten nicht aus dem Kopf, wie die beiden Schauspieler hier eine gemeinsame Jam-Session abziehen und ihren, mit jazzigen Versatzstücken angereicherten, Rockarschtritt verteilen, der allerdings nicht immer ganz leicht verdaulich ist und dessen Strukturen beim ersten Hören alles andere als direkt nachvollziehbar sind. Sänger und Gitarrist Jimmy O. zeigt eine große Bandbreite an Stimmfarben und wirkt den ganzen Gig über wie in kompletter Ektase, während Schlagzeuger Mikey Sorbello ein grandioser Showdrummer ist, der sein Kit an vorderster Bühnenfront aufgebaut hat und mit seiner Performance genauso mitzureißen vermag wie sein Sidekick. Trotzdem fühlt es sich komisch an, nur zwei Leute auf der Bühne zu sehen, auch wenn diese eine maximal energiegeladene Show spielen. Dass aber auch noch weniger als Gitarre/Gesang/Drums notwendig ist, um einen Song kicken zu lassen, zeigen sie bei 'I'll Be Glad, When You Are Dead', bei dem Jimmy O. dann auf die Gitarre verzichtet und in Gestik, Mimik und auch stimmlich stark an JOE COCKER erinnert. Das Publikum ist sich hingegen nicht ganz so sicher, wie es die Show aufnehmen soll. Während vereinzelt lauter Jubel zu hören ist, staunt ein Großteil der Anwesenden hauptsächlich über das, was da gerade vor ihnen passiert. Mikey muss dem Publikum aber trotzdem noch mitteilen, dass er sich über die Reaktionen freut: "Ihr seid geile Schweine!!!" Das ist zumindest mal ein Kompliment, das man nicht allzu oft zu hören bekommt. Als THE GRAVELTONES nach 30 Minuten den letzten Akkord verklingen lassen, umarmen sich die beiden Protagonisten auf der Bühne herzlich und bekommen vom immer noch leicht verwundert wirkenden Publikum eigentlich zu wenig Applaus für ihre außergewöhnliche Performance. Die Umbaupause ist dann mit knapp über 30 Minuten etwas lang. Bedenkt man aber, dass Mikey, nach dem Ausstieg von Original-Drummer Damon Wilson Ende November, nun auch noch den kompletten Headliner-Set von THE TEMPERANCE MOVEMENT spielen wird, dann tut ihm die Verschnaufpause bestimmt gut. Um 21:10 Uhr gehen die Lichter erneut aus, und die Band startet mit 'Modern Massacre' in ihren Set. Der Song ist sperrig und zündet live nicht sofort. Zu wenig groovig und treibend, und zu sehr auf die exaltierte Performance von Sänger Phil Campbell ausgerichtet, verpufft der Einstieg so ein wenig, und man schafft es nicht sofort, das Publikum in der Hand zu haben. Das wird zwar im Laufe des Konzerts korrigiert, aber das obligatorische Momentum eines Einstiegsongs, der das Publikum mitnimmt, wird verschenkt. Das anschließende 'Midnight Black' gehörte schon auf dem grandiosen Debüt zu den Highlights und während die Band vergleichsweise stoisch ruhig und ohne großen Bewegungsradius spielt, lässt sich Phil direkt in der Musik treiben und tanzt wie Mick Jagger zu seinen besten Hüftwackelzeiten. Ob hier die Supportgigs für die STONES eine Rolle spielen? Keine Ahnung, ist aber auch egal, denn der Sänger ist durch den kompletten Gig in ständiger Bewegung. Manch einer mag das Wort "Ausdruckstanz" dafür benutzen. Die Blicke sind ihm dennoch sicher und so zieht er die Aufmerksamkeit auf sich und es fällt nicht so ins Gewicht, dass die Saitenfraktion sich eher spärlich bewegt. Und die Frage, ob er diesen Energielevel bis zum Ende hochhalten kann, die beantworten wir doch gleich. Ja kann er! Was im Sound auffällt, insbesondere im Vergleich zum Support-Act, ist, dass ein Bass doch ein ganz anderes Fundament legt. Zwar bewegt sich Bassist Nick Fyffe während des gesamten Gigs gefühlt nur einmal von seinem Platz, zimmert im Zusammenspiel mit Mikey (der hier optisch weniger präsent spielt und sich songdienlich eher im Hintergrund hält) aber eine grundsolide Basis für die anderen. Insgesamt ist der Sound heute Abend druckvoll und austariert und man kann alle Instrumente wunderbar orten und die Vocals von Phil schweben über allem und sind trotzdem in den Sound eingebettet. Zu '3 Bullets' packt Gitarrist Paul das Bottleneck aus, und der Backing-Vocal-Chor bei 'Smouldering', an dem sich alle Musiker beteiligen, sitzt perfekt. Der Song erntet auch den größten Beifall im Anfangsdrittel. Und jetzt ist auch das Publikum endlich komplett auf Betriebstemperatur an diesem kalten Abend. Vor 'Pride', das mit einem guten Schluck Country gewürzt wird, weist Phil darauf hin, dass nun jeder mal seine Sorgen vergessen soll und einfach nur fünf Minuten glücklich sein möge. Einfach mal ein paar Minuten alle negativen Gedanken beiseite schieben und glücklich sein. In Zeiten, in denen die Welt komplett aus den Angeln zu geraten scheint, sind es häufig diese kleinen Momente, die alles irgendwie zusammenhalten. Der Titelsong des (noch) aktuellen Albums, 'White Bear', wird dann in chilliger Version mit Akustikgitarre eingeleitet und 'Take It Back' bekommt seinen Farbtupfer in Form eines Harp-Intros. Als THE TEMPERANCE MOVEMENT um 22:15 Uhr unter lautem Beifall die Bühne verlassen, hat man ein gutes Gefühl davon, wieso sie es schaffen eine so breite Fanbasis anzusprechen. Erdig, trocken, ehrlich und eingängig ohne im entferntesten cheesy zu sein, dazu mit Sänger Phil ein Ass im Ärmel, dessen Vocals angenehm rauchig tönen und der sich bewusst ist, dass ein Frontmann an die Bühnenfront gehört. Ob man das Tänzelnde nun mag oder nicht, präsent ist er über die gesamte Konzertdistanz. Nach einer kurzen Pause gibt es mit 'Lovers And Fighters' noch einen meiner persönlichen Bandfaves in einer ausgedehnten Version mit mehreren kleinen Jamanteilen als Zugabe, und um 22:30 Uhr gehen dann die Lichter wieder an. Keine fünf Minuten später stehen beide Bands komplett versammelt am Merchstand, geben Autogramme und unterhalten sich mit den Fans. Wer sich an diesem kalten Montag auf den Weg nach Aschaffenburg gemacht hat, anstatt auf der Couch rumzuhängen, der hat die richtige Entscheidung getroffen und einen rockigen und kurzweiligen Abend mit THE GRAVELTONES und THE TEMPERANCE MOVEMENT gehabt. Ich kann es immer nur wieder sagen: Der Rock lebt!! Er lebt in kleinen verschwitzten Clubs, und er lebt von der Interaktion von Bands und Fans!! Geht raus, schaut Euch einen Gig an, trinkt ein Bier mit den Musikern und unterstützt die Bands die ehrliche Musik machen und ihre Passion leben! Setlist THE TEMPERANCE MOVEMENT: 01. Modern Massacre 02. Midnight Black 03. Do The Revelation 04. 3 Bullets 05. Smouldering 06. Lorraine 07. Be Lucky 08. Magnify 09. Pride 10. Ain't No Telling 11. Sun And Moon 12. White Bear 13. Get Yourself Free 14. Take It Back 15. Battle Lines Encore: 16. Lovers And Fighters |
Alle Artikel