Interview mit Santeri von Amorphis

Ein Interview von Eddieson vom 05.06.2018 (30638 mal gelesen)
"Queen Of Time" ist das vielfältigste Album, das AMORPHIS veröffentlicht hat. Grund genug mal in Finnland bei Santeri durchzuklingeln, um zu erfragen, wie es dazu gekommen ist. Der Keyboarder stand Rede und Antwort.

Hi Santeri! Wie geht es dir?

Santeri: Danke, sehr gut. Wir haben einen sehr schönen Frühling hier. Gestern haben wir mit 29 Grad einen Temperaturrekord erreicht. Es ist sehr früh für solche Temperaturen, normalerweise gibt es die erst im August.

Ja, hier in Deutschland ist es grad nicht anders. Lass uns etwas über das neue Album "Queen Of Time" sprechen, welches in ein paar Tagen das Licht der Welt erblicken wird. Wie fühlst du dich damit?

Santeri: Ich bin sehr aufgeregt. Wir sind alle sehr aufgeregt und vor allem gespannt auf die Reaktionen seitens der Fans. Ich persönlich finde, dass es ein etwas anderes Album ist, es hat überraschende Momente, die die Fans nicht erwarten, aber ist auch immer noch AMORPHIS. Im Ganzen ist es ein sehr massives Album und ich hoffe, wir bekommen gutes Feedback. "Under The Red Cloud" war ein großer Erfolg, da ist es natürlich schwer, die Erwartungen zu erfüllen, aber ich denke, das werden wir schaffen.

Wann hast du das letzte Mal "Queen Of Time" komplett gehört?

Santeri: Ich habe es noch gar nicht am Stück durchgehört, weil ich die Alben immer in meinem Auto höre, welches aber grad kaputt ist. Gestern haben wir die Alben vom Label bekommen. Ich bin zu Esa, der ca. 10 Kilometer entfernt wohnt, und habe mir meine persönlichen Kopien abgeholt. Da habe ich fünf Songs gehört. In ein paar Tagen gehe ich zu einem Haus am See, grille, gehe schwimmen und höre mir das Album an.

Der komplette Prozess des neuen Albums dauerte ca. drei Monate.

Santeri: Genau, nach der langen Tour zu "Under The Red Cloud" begannen wir die neuen Song zu proben und von der ersten Probe bis zum Studio, wo wir ca. sechs Wochen waren, dauerte es ungefähr drei Monate. Jans Bogren kam dann nach Finnland für die Pre-Production und dann gingen wir ins Studio.

Was ist die Geschichte hinter dem Titel "Queen Of Time"?

Santeri: Das ist eine gute Frage, denn es ist eine etwas komplexe Geschichte. Es ist kein Konzeptalbum geworden, da die Geschichten, die in den Texten erzählt werden nicht miteinander verbunden sind. Ich würde sagen "Queen Of Time" ist die Bienenkönigin, die immer wieder von neuem startet, wenn alles zusammengebrochen ist. Man kann es auch auf jemanden in der Gesellschaft beziehen, bei dem alles zugrunde gegangen ist. Hauptsächlich bezieht es sich aber auf die Bienenkönigin, da das Cover schon vor dem Titel fertig war. Wir hatten verschiedene Titel, aber "Queen Of Time" repräsentiert das Cover und erklärt auch etwas, warum wir die Bienen in den Vordergrund stellen.

Du sagtest ja schon, dass es kein Konzeptalbum ist, aber es gibt eine Verbindung zwischen dem Artwork, dem Titel und den Texten.

Santeri: Ganz genau, nicht mit allen Texten, aber mit dem Großteil. Es gibt eine Menge Geschichten auf dem Album, die erzählt werden. Ihr werdet es sehen, wenn ihr die Texte lest. Eine Verbindung zwischen dem Titel, natürlich dem Artwork und den Texten gibt es auf jeden Fall. imgleft

Der Hörer wird konfrontiert mit einer Menge neuer Ideen, wie einem Orchester und dem Chor. Ich persönlich finde, dass das wunderbar zusammen funktioniert. War von vornherein klar, dass ihr ein Orchester und einen Chor in den neuen Songs nutzen wollt oder hat sich das erst später ergeben?

Santeri: Wir hatten ja schon öfter mal einen Chor auf den Alben, sogar auf "The Karelian Isthmus" gibt es einen Chor, der zwar vom Keyboard kommt, aber wie ein Chor klingt. Auf einigen Demos hatten wir schon orchestrale Arrangements, aber den großen Schritt, diesen auch wirklich in die Songs einzubauen, haben wir bisher noch nicht gewagt. Ein Saxophon hatten wir schon und mal einen Streicher. Als Jens zur Pre-Production kam und die Songs hörte, hatte er die Idee zu den massiven Songs auch noch andere Elemente einfließen zu lassen, die sich auf die Atmosphäre auswirken. Die Songs klangen sehr cineastisch, so kam Jens auf die Idee ein türkisches Orchester zu nutzen. Außerdem hat er gute Beziehung zum dem Chor aus Israel, mit dem er schon auf anderen Alben gearbeitet hat. Natürlich waren wir etwas skeptisch und dachten, das würde dann wie das Cats-Musical vom Broadway klingen oder "My First Lady" [lacht]. Aber wir wussten, dass er es richtig machen würde. Er liebt Metal. Trotzdem waren wir vorsichtig, weil wir auch DIMMU BORGIR gehört haben, welches ja schon fast überladen ist. Ich denke aber mittlerweile, dass der Chor und das Orchester nette Add-Ons sind. Sie sind ja auch hauptsächlich dazu da, um eine gewisse Atmosphäre zu erzeugen. So sind sie in einigen Songs etwas dominanter und anderen eben nicht. Vor allem der Chor singt nicht nur irgendwelche Melodien, sondern er singt den Text, was wir vorher nicht wussten und uns dann vollkommen überrascht hat. Also der Chor und das Orchester sind vor allem gedacht, um die Songs etwas zu pushen, was vor allem bei 'The Golden Elk' gelungen ist. Es ist trotz allem noch AMORPHIS und wir wollen nicht, wie eine Symphonic-Death-Metal-Band klingen.

Der Chor stammt aus Israel und das Orchester aus der Türkei. Das erklärt den orientalischen Touch in manchen Songs.

Santeri: Absolut und der Musiker, der ein Instrument spielt, dessen Namen ich vergessen habe, stammt aus dem Libanon. Daher stammt der Sound aus dem Mittleren Osten.

'Daughter Of Hate' klingt schon etwas schräg, vor allem mit dem disharmonischen Saxophon und außerdem gibt es dort einen Spoken-Word-Part auf Finnisch in dem Song. Worum geht es da und wer spricht diesen Part?

Santeri: Jens hatte die Idee, dass man hier ein besonderes Arrangement nutzen sollte. Da ist dieser schöner und lange Part ist, in dem aber nicht viel passiert. Es ist ein starker Song mit vielen Experimenten im Rhythmus und den Vocals. Jens dachte also, dass wir den Song etwas runterkommen lassen sollten und was bietet sich da besser an, als ein Spoken-Word-Part? Wir dachten sofort daran, den Mann zu fragen, der auch unsere Texte schreibt und ein Performance-Künstler hier in Finnland ist. Die nächste Frage war dann, ob er es auf Englisch oder Finnisch machen soll. Da er aber in den Fünfzigern geboren wurde, haben wir gedacht, spricht er nicht sooo gutes Englisch, also sollte er es auf Finnisch machen. Es hat sich als eine gute Idee herausgestellt, weil da nicht allzu viel passieren kann, wenn er es in seiner Heimatsprache spricht. Ich finde, es ist einer der besten Momente auf dem Album, vielleicht auch, weil ich verstehe, worum es geht. Aber du wolltest ja wissen, was er sagt, da muss ich mal eben die Texte holen [er kramt neben sich und sucht einen Zettel, den er nach ein paar Minuten gefunden hat. Dann liest er vor] "When the sky is dark and it brings you the step of the wind I will wait under the tree and haunted by shadows. First comes the ravens and an old wife is speechless usw." frei übersetzt]

Auch stimmlich passt es perfekt in den Song.

Santeri: Auf jeden Fall. Wie gesagt, er ist ein Performance-Künstler seit den Siebzigern.

Die Vocals sind extrem vielfältig. Tommi growlt vermehrt, singt aber auch viel klar, dann wieder rau.

Santeri: Tommi war schon immer ein Sänger, der viel ausprobieren will, anstatt immer dasselbe zu tun. Ich denke auch, dass das HALLATAR-Projekt, welches er mit dem ehemaligen HIM-Drummer Gas Lipstick startete, einen großen Einfluss darauf hatte, denn dort nutzte er schon diese aggressiven Schreie und auch schon auf "Under The Red Cloud" hat er sich immer wieder neu ausprobiert. Jens ist ein Produzent, der ebenfalls neue Extreme unterstützt. Wenn du also die Tendenz hast, etwas Neues auszuprobieren, dann bist du bei Jens an der richtigen Adresse. Er hat dann Vorschläge gemacht, ob er gewisse Parts nicht mal blackmetallisch singen möchte, obwohl es nach einem cleanen Gesangspart kommt. Da treffen ja wirklich zwei Extreme aufeinander.

Jens hatte also einen großen Einfluss auf die Songs?

Santeri: Nicht wirklich auf die Songs, denn die standen als Gerüst eigentlich schon fest, aber er hatte einen großen Einfluss darauf, wie das Album klingt und auf die Atmosphäre des Albums. Außerdem klingt es wie aus einem Guss, obwohl es von verschiedenen Leuten geschrieben wurde. Meine Songs klingen anders, als die von Esa zum Beispiel, doch am Ende klingt das Album, wie aus einer Feder geschrieben. Jens ist außerdem verantwortlich dafür, dass es mehr nach Metal klingt, als die sonstigen Sachen. Jeder weiß, dass er es liebt, die Grenzen auszutesten. Ach, und er ist verantwortlich für den Chor und die orchestralen Parts.

Man kann also sagen, dass "Queen Of Time" das vielfältigste AMORPHIS-Album geworden ist? Ich finde, man kann das Album 20-25 Mal hören und entdeckt immer wieder ein neues Detail.

Santeri: Das ist toll zu hören, denn während der Pre-Production habe ich sowas schon gehofft. Dies ist ein Album, in dem eine Menge Herzblut steckt und viele kleine Details verarbeitet wurden. Und darin lag wirklich meine Hoffnung, dass man mit jedem Hören ein weiteres kleines Detail entdeckt. Selbst ich habe gestern bei 'The Bee' ein paar Kleinigkeiten gefunden, die mir vorher gar nicht so aufgefallen sind.

Ihr habt auf dem Album eine extreme Balance zwischen neuen Ideen, wie dem Chor und dem Orchester, und den typischen melancholischen AMORPHIS-Trademarks gefunden. In meinen Ohren ist das Album eben nicht überladen, wie es bei manch anderen Bands leider der Fall ist.

Santeri: Natürlich machen wir gerne große Schritte, wollen aber auch nicht übergroße Schritte vollziehen. Außerdem wollen wir nicht zu viele Schichten in einen Song packen, weil es dann live schwierig wird, diese zu spielen. Wir sind ja nur sechs Leute in der Band. Wir wollen die Songs gerne so spielen, wie sie auch wirklich sind. Okay, wir werden wohl keinen Chor mit auf die Tour nehmen können, der wird wohl aus der Konserve kommen. Die Tour steht an, also starten wir jetzt mit den Proben.

Nach 17 Jahren ist der alte Bassist Olli-Pekka der neue Bassist in der Band.

Santeri: Niclas hat sich entschieden die Band zu verlassen. Er wollte vieles in unseren Strukturen ändern, mit denen wir aber 15 Jahre gearbeitet haben. Jeder dachte, dass das aber nicht der richtige Zeitpunkt ist. Daraufhin entschied er sich zu gehen. Natürlich waren wir schockiert, weil eigentlich alles gut lief. Wir haben grad "Under The Red Cloud" veröffentlicht und sollten eine Menge Shows spielen. Wir hatten alle eine Menge Spaß, aber dann ging er. Wir haben viele Jahre zusammen gespielt und jetzt mussten wir jemanden finden, der oder die mit uns klarkommt und wir mit ihm oder ihr. Jemand, der Songs schreiben kann, alte Songs spielen kann, schon Tourerfahrung hat und jemand der spielen kann, dem wir nichts mehr beibringen müssen. Olli kam uns da sehr schnell in den Sinn, denn er war/ist aktiv im Metal, hatte tolle Bands und er kann Songs komponieren. Also riefen wir ihn vor der US-Tour an, ob er aushelfen könne. Es war etwas stressig, aber Olli sagte zum Glück zu. Relativ zügig nach der US-Tour ging es nach Russland und dann sagten wir ihm, dass wir übrigens bald ins Studio gehen um das neue Album aufzunehmen und ob er nicht wieder in der Band spielen wolle. Er brauchte dann natürlich etwas Zeit darüber nachzudenken, weil es nun mal ein Full-Time-Job ist, das muss man sich gut überlegen. Wir hatten eine großartige Tour, vor allem die VOLBEAT-Tour in großen Arenen und auch die Studiozeit war super. Die Zeit wird also zeigen, ob es weiterhin klappt, aber es sieht gut aus.

Ihr werdet auch bald auf eine US-Tour gehen.

Santeri: Nein, erst kommen die Festivals im Sommer. Und nach den Festivals gehen wir auf US-Tour mit DARK TRANQUILITY, MOONSPELL und OMNIUM GATHERUM aus Finnland. Das wird super und wir sind froh mal wieder mit MOONSPELL zu spielen. 2000 haben wir schon mal zusammen eine Tour gemacht. Von November bis Weihnachten werden wir dann in Finnland an den Wochenenden spielen und vielleicht im Februar, ich habe die Daten grad nicht hier, werden wird dann Europa betouren. Ich hoffe, es wird zwei Europa-Touren geben, weil es ein großer Kontinent ist und ich die neuen Songs super gerne spiele.

Santeri, vielen Dank. Alles Gute für das Album und die Festivals.

Santeri: Vielen Dank und hab noch einen schönen Tag!

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten