Kreator - Under The Guillotine Box - Ein Gruppenkuschel-Special

Ein Artikel von Eddieson vom 14.03.2021 (34538 mal gelesen)
imgcenter


Nicht alle Bands hatten ein so gutes Verhältnis zu Walterbach und seinem Noise Label, wie es KREATOR seinerzeit hatten. Es war ein gegenseitiges Geben und Nehmen. Die Band aus Essen hatte viele Freiheiten, die andere Bands vielleicht nicht hatten, haben aber im Gegenzug für das Label einen Klassiker nach dem anderen in die Regale gestellt.

Um dieses noch mal auf den Punkt zu bringen, hat man sich entschieden mit der "Under The Guillotine"-Box diese erfolgreiche Zeit noch mal aufleben zu lassen. Natürlich bietet diese Box durch die Alben allein keinen großen Mehrwert, da jeder KREATOR-Fan die Alben "Endless Pain", "Pleasure To Kill", "Terrible Certainty", "Extreme Aggression", "Coma Of Souls" und "Renewal" (Reviews zu den Platten findet ihr weiter unten) in jeder nur erdenklich Ausführung in seinem Regal stehen hat. Doch was die Box wirklich interessant macht, ist die Reproduktion des "End Of The World"-Demos auf Kassette, das Hardcover Buch mit vielen Stories und Fotos, dem Violent Mind Demon als USB Stick, gefüllt mit den Bonustracks der CDs und der "Some Pain Will Last" DVD.

Diese sticht hier besonders hervor, denn ich denke viele unter euch sind mit MTVs Headbangers Ball und Vanessa Warwick groß geworden. Mit dem Charme eines VHS-Tapes gibt es hier viele Live-Clips aus Ost-Berlin, Ungarn und Kassel, Videos und natürlich Interviews. "Some Pain Will Last" nimmt euch also mit auf eine Zeitreise Anfang der Neunziger und macht dementsprechend viel Spaß. (ED)

Meine Kollegen Damage Case, Rockmaster und ich trafen uns zum gemeinsamen Gruppenkuscheln und entwarfen noch ein paar Reviews zu den in der "Under The Guillotine" Box enthaltenen Platten. Viel Spaß!

"Endless Pain"


1985 debütierten KREATOR mit ihrem Album "Endless Pain". Nachdem sie erst als TORMENTOR unterwegs waren, sich dann umbenannten und mit Noise ein erstes Zuhause fanden, nahmen sie als Trio in Berlin ihr erstes Album auf. Mittlerweile ist "Endless Pain" ein Klassiker geworden und so einige Songs des Albums sind heute fester Bestandteil der Live-Setlist von KREATOR. In der Originalversion klingt das Album natürlich wesentlich rumpeliger, was durch den Remaster etwas glatter gebügelt wurde. Trotzdem ist und bleibt "Endless Pain" kaum an Zügellosigkeit und Wildheit in der KREATOR-Diskografie zu überbieten. Noch stark beeinflusst von SLAYER und VENOM sind 'Flag Of Hate', 'Tormentor' und der Titeltrack (nur um einige zu nennen) absolute Kracher.

Das Album legte den Grundstein einer großen Karriere, die für die Essener noch kommen sollte. Interessant ist in diesem Sinne dann auch, die beiden Demos zu hören, die diesem Teil der "Under The Guillotie"-Box mit auf das Album gepackt wurde. Zum einen hätten wir da das "Blitzkrieg"-Demo, welches mit einem billigen Kassettenrekorder im Proberaum aufgenommen zu sein scheint - jedenfalls genau so klingt. Damals übrigens noch unter dem TORMENTOR-Banner. Das "End Of The World"-Demo, ebenfalls als TORMENTOR aufgenommen, klingt da schon wesentlich besser produziert und auch Milles Gesang hat sich hier schon dem Gesang auf dem kommenden Album genähert, während er auf "Blitzkrieg" viel experimentiert hat. (ED)

"Pleasure To Kill"


Nach "Endless Pain" hauten KREATOR nur ein Jahr später mit "Pleasure To Kill" den nächsten Klassiker raus. Sichtlich und hörbar gereift an den Instrumenten klingen die Songs zwar immer noch roh und wild, jedoch auch durchdachter und wesentlich besser produziert, als es noch der Vorgänger war. Vor allem der Titeltrack ist der pure Wahn und 'Riot Of Violence' sowie 'Death Is Your Savior' sind an Brutalität aus dieser Zeit kaum zu überbieten.

Auch gesanglich hat sich hier einiges verändert. Während man, vor allem am Mikro beim Erstling noch im Black Metal fischte, geht Mille hier schon neue Wege und scheint seinen Stil, den er dann über Jahre noch weiter perfektionierte, gefunden zu haben. Textlich und auch vom blutigen Artwork her, geht man hier mehr in Richtung Death Metal, doch musikalisch haben sich die Könige des Teutonen Thrash mit diesem Album ein Denkmal gesetzt, aber wem sage ich das. "Pleasure To Kill" gehört einfach in jede gut sortierte Plattensammlung. (ED)

Während METALLICA Mitte der 80er-Jahre für ihren Genre-Meilenstein "Master Of Puppets" vorsichtig das Rostspray vom Sound ihrer Anfangstage hinunterpolierten und an der amerikanischen Ostküste OVERKILL dem Thrash Metal neue Einflüsse aus Punk & Co. hinzufügten, entstand auch im deutschsprachigen Raum ein Kreis aufstrebender Bands. KREATOR gehören seit ihren Anfangstagen und den ersten beiden Veröffentlichungen zu den Kandidaten, die nicht angetreten waren, um der internationalen Thrash Metal-Szene zu zeigen, wo der Hammer hängt, sondern wie man ihn benutzt. Zwar hatten der noch etwas rumpelige Stil und Sound der Anfangstage das Potenzial, Fans der klassischeren Metal-Stile zu verschrecken, beides entzückte aber auch die KREATOR-Fans der ersten Stunde. So herrschte über die Frage, wie es weiterginge. (RM)

"Terrible Certainty".


Wie schon auf den beiden Vorgängern präsentierten sich KREATOR auch auf ihrem dritten Werk wild und ungebändigt. Man versuchte gar nicht erst, den bereits etablierten Größen nachzueifern, sondern manifestierte mit Nachdruck die eigene Marke, was dem Album Top-Rezensionen einbrachte. Natürlich fauchte Mille seine Vocals gewohnt aggressiv ins vermutlich total verängstigte Studiomikro. Seinen Stil hatte er im Vergleich zu den beiden Vorgängeralben kaum verändert, dennoch fällt auf, dass Mille sein Shouting hier präziser auf den Punkt brachte. Die Band präsentierte sich insgesamt eingespielter und kompakter als in den zwei Jahren zuvor. Tritze war angeblich im Studio zu aufgeregt, weswegen nur das Gitarren-Intro zu 'Behind The Mirror' von ihm auf dem Album verewigt sein soll. Mille versuchte gar nicht erst, mit besonders innovativem Riffing aufzufallen, sondern ließ die Kupplung schnappen und die Kettensäge auf Vollgas ihren Dienst tun. Die Soli waren gewollt gegen den Strich gebürstet und brachen gewohnte Schemata und Melodien radikal auf. Der Backstein auf dem Gaspedal waren, klar, Rob und Ventor an Bass und Schlagzeug.(RM)

Was "Terrible Certainty" maßgeblich von den ersten beiden Werken unterschied, war das Songwriting. Die Devise "Volle Kanne in die Kauleiste" wurde nicht über Bord geworfen, aber Tempowechsel und Breaks frischten die Titel im Vergleich zu den krachenden Granaten der Vorgänger auf, ohne die DNA von KREATOR zu verleugnen. Der Sound der Aufnahmen wurde durchaus verbessert, aber auch aus heutiger Sicht muss man bemerken, dass er schon zum Zeitpunkt der Veröffentlichung eigentlich nicht zeitgemäß war. Das Interessante ist allerdings, dass man das nach so vielen Jahren kaum als störend empfindet. Eine etwas klarere Gesangsspur und die dezent prominentere(n) Gitarre(nspuren) werten den Klang auf und bei allen Abstrichen klingt das Werk auch heute noch absolut authentisch. Fans beklagen sich nachhaltig, wie unterbewertet "Terrible Certainty" ist, denn das Album hatte durchaus das Zeug, zu einem Meilenstein für die Entwicklung der Band zu werden - wäre es nicht eingerahmt gewesen vom Fan-Liebling "Pleasure To Kill" und von:

"Extreme Aggression"


Hätte man auch selber drauf kommen können. "Extreme Aggression", das ist das, was KREATOR seit ihren Anfangstagen bis dato musikalisch zelebriert hatten. Ein markanter Wendepunkt in der Geschichte der Band war 1989, dass dieses mal mit neuem Label die Kohle da war, einfach mal das komplette Album in die Tonne zu hauen, nach L.A. zu jetten und alles neu aufzunehmen. Über die Gründe gibt es verschiedene Angaben, einmal mochte Produzent Randy Burns den Schlagzeugsound nicht, ein andermal war Mille unzufrieden mit den Beiträgen oder mit der Nicht-Existenz der Beiträge von Zweit-Gitarrist Tritze. So oder so, auch auf "Extreme Aggression" ist hauptsächlich bis ausschließlich das Trio Mille, Rob und Ventor zu hören. Entscheidend ist, dass die Verpflichtung von Randy dem Fuß in der Tür zum amerikanischen Markt gleichkam. Auch die wachsende Bedeutung von Musikvideos und MTV bescherte KREATOR internationalen Erfolg, wurde doch "Betrayer", dessen Video teilweise ohne Genehmigung auf der Akropolis gedreht wurde, auf dem Headbanger's Ball rauf- und runtergenudelt.

Obwohl man durchaus hört, dass hier mehr in die Aufnahmen und Produktion investiert wurde - der Sound ist aufgeräumter und (aus heutiger Sicht) moderat druckvoller - könnten böse Zungen immer noch der Auffassung sein, "Extreme Aggression" wäre, Kohle hin oder her, neue Aufnahmen hin oder her, immer noch ein dreckiger Batzen rostiges Metall wie seine Vorgänger. Aber sein wir mal ehrlich: KREATOR hätten mit Hochglanzsound niemals funktioniert. Randy beherrschte die hohe Kunst des Produzenten, bei allen Modernisierungen KREATOR wie KREATOR klingen zu lassen. Stilistisch verfolgte die Band ihren Weg weiter. Die brachiale Rohgewalt wurde ein wenig mehr gebändigt, dafür das Songwriting weiter ausgefeilt und das Riffing etwas glatter. Lohn waren die bis dato höchsten Anerkennungen aus Kritikerkreisen, internationale Aufmerksamkeit und der bislang größte kommerzielle Erfolg.

Wenn man aufmerksam zuhört, kann man auch ausmachen, dass Mille, Rob und Ventor seit ihren Aufnahmen zu "Endless Pain" ihre technischen Fertigkeiten durchaus verbessert hatten - und/oder deutlich besser zur Geltung bringen konnten. Hier darf man durchaus einen Vergleich zu VOIVOD ziehen, die laut Away in ihren Anfangstagen ihre Instrumente stets schneller spielen wollten, als sie sie beherrschten, und die dann 1989, just als "Extreme Aggression" erschien, mit dem PINK FLOYD-Cover 'Astronomy Domine' die Thrash Metal-Welt verblüfften. Mit ihren deutschen Mitstreitern DESTRUCTION und SODOM sowie den Schweizern CELTIC FROST hatten KREATOR Ende der 80er-Jahre auf jeden Fall neben L.A. und der Bay Area im amerkanischen Westen und New York im Osten ein weiteres Epizentrum des Thrash Metal im deutschsprachigen Raum etabliert, und alle wollten wissen was nach dem Rausch der 80er die 90er bringen würden - Koma oder Erneuerung? (RM)

"Coma Of Souls"


Ein Jahr, nachdem 1989 KREATOR mit "Extreme Aggression" und SODOM mit "Agent Orange" den deutschen Trash Metal endgültig an die Weltspitze dieses Genres gebracht hatten, gingen Mille und seine Mitstreiter erneut mit Randy Burns ins Studio um das nächste Langeisen zu schmieden. Das akustische Intro des Openers 'When The Sun Burns Red' und der an JUDAS PRIEST erinnernde Einstieg in 'Terror Zone' waren zwar neuartig und fast schon gewagt für KREATOR-Verhältnisse - im Thrash Metal kannte man diese Variationen jedoch bereits spätestens seit "Ride The Lightning" und "Master Of Puppets". Auch Early-METALLICA-mäßige Soli wie jene von 'Agents Of Brutality' oder 'Hidden Dictator' wären vor 1990 niemals von KREATOR zu erwarten gewesen. Mutierten KREATOR also mit ihrem vierten Album zu Melodic-Thrashern? Nein, denn an der gewohnten Marschroute hatte sich nichts geändert, "Coma Of Souls" bot über weite Strecken den gewohnten knüppelharten und humorlosen Stahl. Aber bereits im zweiten Song, dem Titeltrack, fällt auf, dass mehr Abwechslung in den einzelnen Songs herrschte. Tempoverschleppungen, melodischere Soli, Rhythmuswechsel - KREATOR hatten mit Bedacht am Nachfolger von "Extreme Aggression" geschraubt und man merkte an, dass die Band in technischer Hinsicht einen Sprung nach vorne machen wollte (man höre hierzu auch das verschachtelte 'Mental Slavery'). Nicht ganz unbedeutend hierfür war die pikante Personalie Frank Blackfire: Der Gitarrist wechselte nach "Agent Orange" von SODOM zum Mille & Co., was auch in der deutschen Medienlandschaft zu einigen unschönen Kommentaren seitens Tom Angelripper führte. Gemeinsam mit dem neuen Mann an der Streitaxt gelang es Mille sein Songwriting auf ein komplett neues Level zu hieven. "Coma Of Souls" war Evolution. Die Revolution folgte erst mit dem Nachfolgealbum. Leider schaffte es nur 'People Of The Lie' dauerhaft in der Setlist zu verbleiben, was den anderen Perlen auf dem Album irgendwie nicht gerecht wird.

Fazit: "Coma Of Souls" war eine spürbare Weiterentwicklung, die nach dem Meilenstein "Extreme Aggression" zwar nicht dieselbe Strahlkraft besaß, aber bei Fans und Kritikern gut ankam und auch bis heute noch als gut gealtertes Thrash-Feuerwerk ohne Bedenken auf dem Plattenteller landen darf. Die 2018er remasterte CD-Version wurde 2021 auf Vinyl gepresst, allerdings ohne das Bonus-Konzert vom 06.12.1990 aus der Fürther Stadthalle. Der Hülle mit Originalcover wurden die Lyrics beigelegt und die enthaltene Scheiblette auf schickes Splattervinyl gepresst.

Drei Anspieltipps: Den feinen Titelsong und 'People Of The Lie' sollte jeder Fan kennen. Das groovige 'Terror Zone' war schon zu Beginn des Jahrzehnts sowas von 1990er.

Note: 8,5 (DC)

"Renewal"


Die fast zwei Jahre Abstand zu "Coma Of Souls" stellten die bis dato längste Pause zwischen zwei KREATOR-Alben dar, da zuvor grob im Jahresrhythmus veröffentlicht wurde. Nach zwei Alben mit Randy Burns wurde das erneut von Mille, Rob, Frank und Ventor eingespielte Werk von Produzentenlegende Tom Morris in dessen Morrisound Recording zu Tampa, Florida aufgenommen. Man merkt dem passend "Renewal" betitelten Album das lange Songwriting an. Mille bekundete seitdem in Interviews immer wieder, dass die Zeit um 1991 für ihn die erste Gelegenheit war, um nach Jahren über das Nonstop-Songwritings intensiv zu reflektieren und bewusst Veränderungen im Bandsound vorzunehmen. Und wie klang die "Erneuerung" 1992? Auf eine einfache Formel gebracht: KREATOR goes VOIVOD and PRONG. Milles Stimme klang über weite Strecken wie die eines Hardcore-Shouters über knochentrocken produzierten Instrumenten. Unüberhörbar hatte "Beg To Differ" (1990) ganz großen Eindruck bis nach Altenessen hinterlassen. Das vermenge man mit dem schrägen Techno Thrash von "Dimension Hatröss" (1988) und "Nothingface" (1989) - und man bekommt eine grobe Vorstellung von der Vision, für die "Renewal" stand. Ein Aufschrei ging durch die Fangemeinde. Vielen gingen die sich durch alle Songs ziehenden groovigen Experimente, tanzbaren Rhythmen ('Reflection', 'Depression Unrest') und Industrialsounds ('Brainseed', 'Realitätskontrolle') zu weit. So passierte es, dass Weltklassesongs wie das abwechslungsreiche 'Karmic Wheel', visionäre 'Zero To None' und textlich atemberaubende 'Europe After The Rain' komplett übersehen wurden. Leider taucht bis heute nur der Titelsong hin und wieder in der Setlist auf.

Fazit: Mit fast dreißig Jahren Abstand kann man mit Fug und Recht sagen, dass das damalige Experiment absolut gelungen ist und KREATOR ein spürbarer Beitrag zur Weiterentwicklung des Thrash Metals gelang. In den 1990ern häufig noch kritisch beäugt, haben die Songs und der Sound von "Renewal" den Test Of Time absolut bestanden - man würde sich wünschen, dass Mille seine Band heute auch einmal wieder ein wenig in diese Richtung klingen lassen würden. Ungeachtet dessen bescherte die anschließende Kurskorrektur mit dem 1995er Nachfolger "Cause For Conflict" dem Rezensenten sein liebstes Kröter-Album. Aber das ist eine andere Geschichte für eine andere Wiederveröffentlichung. Das im Boxset enthaltene grüne Swirl-Vinyl ist das 2018er Remaster inklusive der drei CD-Bonussongs der Wiederauflage. Ein Lyric-Sleeve ist ebenfalls Ehrensache.

Drei Anspieltipps: Der Titelsong jedes KREATOR-Albums ist Bombe, das ist Gesetz. 'Karmic Wheel' - Übersong. 'Zero To None' zeigte, wie Thrash in den 1990ern klingen musste.

Note: 8,5 (DC)

An diesem Special schreiben Damage Case (DC), Rockmaster (RM) und Eddieson (ED).

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten