Grave Digger - Rheingold

Review von Odin vom 26.05.2003 (13756 mal gelesen)
Grave Digger - Rheingold Während bereits die Overtüre erklingt schiebt sie sich zu ihrem reservierten Stuhl auf dem vordersten Balkon, erste Loge. Auf dem Programm steht Wagner, die Nibelungen. Hat sie zwar schon unzählige Male gesehen, aber angeblich hat sich der neue Produzent ja was ganz besonderes einfallen lassen.

Sie packt das Opernglas aus, das Orchester erreicht die Klimax und - was ist denn das?! Das Orchester verstummt, ein seltsames, lautes Instrument erklingt. Das Opernglas sinkt, schreckensweite Augen kommen zum Vorschein. Ein Schrei zerreißt den Bühnenvorhang "Aaaaallright!" Die Kraft weicht aus ihren wohlgenährten Armen, das Opernglas schlägt mit einem dumfen Schlag auf den Teppichboden unter ihrem Stuhl. Wie gebannt beobachtet sie das Geschehen auf der Bühne, wo das Ensemble schon zum zweiten Thema ansetzt. Eine wirklich sehr moderne Inszenierung mit nur fünf Darstellern. Dafür sind die Beleuchtung und die Lautstärke umso intensiver...

Verlassen wir hier unsere geschockte Opernbesucherin und wenden wir uns der Vorstellung selbst genauer zu. Grave Digger zocken wieder so richtig geilen Teutonenstahl von der Bühne bzw. Scheibe. Nach dem düsteren, tiefergestimmten "The Grave Digger", das in Artwork und Songwriting etwas aus dem gewohnten Rahmen fiel, ohne untypisch zu sein, geht es mit "Rheingold" wieder zurück zu früheren Epochen und Sounds wie sie zuletzt auf "Excalibur" zu hören waren.

Nach dem orchestralen Intro drückt "Rheingold" den Grave Digger Stempel durch die Boxen in den Gehörgang und mit Chris' erstem Schrei ist der Hörer gefangen im Tal der Nibelungen. Der Chorus in gemäßigtem Tempo läßt erste Referenzen zur klassischen Vorlage erkennen, aber die Doublebass spricht eine andere Sprache. Folgerichtig geht es flott weiter mit "Valhalla" und einem urtypischen Mitgröhl-Chorus. Der Song rockt, wird in der Bridge etwas ausgebremst, die Rhythmusgitarre klingt eigenartig, aber Manni Schmidt tendiert stärker in Richtung der Sounds von "Excalibur" und "Knights Of The Cross" als auf dem letzten Silberling.

Ohne viel Zimperlein geht es mit einem starken Riff weiter im Programm und "Giants" stampfen über das Schlachtfeld. Straight, keine Ecken und Kanten, wieder lässt man die Bremse in der Bridge schleifen, wonach der vielstimmige Chorus erklingt. Nach dem zweiten Chorus kommt dann der Instrumentalteil mit einem wohlbekannten Thema der Vorlage von Wagner. Quasi mit einem Gitarren-Lick aus der Oper klingt der Song auch aus und mündet in den langsamsten Titel der vorliegenden CD.

Nach trägem Anfang kommt ein kleiner Uptempo-Part, während des Vocal-Parts sind die "Maidens Of War" dann aber wieder handzahm. Ausgenommen natürlich die Hinführung zum und der Refrain selbst. Mit bedrohlich anklagender Stimme trägt Chris Boltendahl den Song bis hin zum Thema das Walkürenrittes, das nun wirklich jeder erkennen dürfte und das bei keiner Arbeit zu oder nach Wagner fehlen kann.

Nun geht es wieder stimmungsvoll durch ein Intro zum nächsten Titel, der erstmal kräftig mit beiden Beinen auftritt. Nachdem sich der Staub gelegt hat, sieht man ein Schwert im matten Schein des Mondes schimmern. Langsam, bedachten Schrittes stampft der Schwertträger durch das dunkle Tal. Dann bleibt er stehen, reckt die Waffe empor und schüttelt seine Matte. Ein heroischer Chorus wie wir ihn lange nicht mehr gehört haben krönt einen schnörkellosen Stampfer der Midtempo-Klasse, der ziemlich abrupt endet.

Ein Horn erklingt, wird von einem süßen Drachengebrüll verdrängt und endlich drückt mal wieder jemand aufs Gaspedal. "Kill! Kill! Kill!" Erst schnell, dann stampfend nähert sich der Recke dem bedrohlichen Ungeheuer. Schließlich wird er vom Chorus wieder angefeuert, auf das Biest loszugaloppieren "Kill! Kill! The Dragon!". Starker Chorus, gut zum mitgehen. Die Interludes sind hingegen stark gemäßigt im Tempo, hier wird auf Atmosphäre gesetzt.

Aber jetzt geht es endlich wieder richtig los. "Liar" stürmt in bester Nackenbrechermanier nach vorn, hier fühlt man sich wieder stärker an die Uptempo-Stücke von "Excalibur" erinnert. Killer-Riff. Den Anschluss bildet dann das wiederum orchestral intonierte "Murderer", wo Manni am Sechssaiter zeigen kann, dass er nicht nur pfeilschnelle und schwertscharfe Riffs um den Hörer hauen kann. Wie schon auf "The Grave Digger" machen sich auch die Gesangsstunden für Chris bemerkbar, er singt vielseitiger, kontrollierter, ausdrucksstärker - nicht nur in den aggressiven Lagen.

Zu guter letzt begeben wir uns ins Zwielicht zwischen Killer-Riff und Doublebass. "Twilight Of The Gods" mit seinen satten sieben Minuten Spielzeit stellt wiederum ein starkes Stück Grave Digger der alten Schule dar. Hinzugekommen sind ein paar mehr Keyboard-Arrangements, ein umfangreicher Sound und vielseitigeres Songwriting. Man beachte nur den Akkustik-Part zur Halbzeit, wo sich Chris' vervielfachte Stimmgewalt zu einem glorreichen Höhepunkt der Arie erhebt.

An dieser Stelle nochmal ein Rückgriff auf mein Review des Vorgängers "The Grave Digger"; die Scheibe war die erste, die ich für das "Bleeding Webzine" rezensierte - entsprechend enthusiastisch fiel auch meine Wertung aus, die zwar nicht völlig daneben, aus heutiger Perspektive aber einen guten Punkt zu hoch war. Daher, und weil das nun vorliegende Album eben jene damals vergebene Punktzahl verdient, aber einen guten Schritt besser ist als das letzte, habe ich die Wertung zu "The Grave Digger" entsprechend angepasst. Direkt vergleichen lassen sich die beiden Scheiben nicht so einfach, da sie grundverschiedene Themen und Intentionen haben.

"Rheingold" merkt man die klassische Vorlage immer wieder an, die Grabgräber haben sich nicht einfach nur ein textliches Thema genommen und völlig selbständige Songs dazu geschrieben. Hier war die Vorlage eben auch musikalischer Natur, was die Stimmung und die Arrangements beeinflußt hat. Die Stimme von Chris Boltendahl hat nach wie vor ihre spaltende, aber auch bannende Wirkung. Die Songs sind nach wie vor Teutonenstahl oberster Güteklasse. Und obwohl sie sich handwerklich weiterentwickeln, kann man ihnen genausogut "vorwerfen", sich zu wiederholen. "Rheingold" knallt ähnlich wie "Excalibur" und Vorgänger, fährt aber auch wie erwähnt mehr Abwechslung und subtile musikalische Weiterentwicklung auf. Die Songs machen Laune, die Tour zu Anfang des kommenden Jahres wird sicher wieder ein Triumphzug, aber irgendwie habe ich auch das Gefühl, dass sich einige Titel nach einer Weile abnutzen. Noch habe ich für mich keinen zeitlosen Klassiker auf diesem Album gefunden, der es unvergesslich macht. Ohrwürmer gibt es genug, nach jedem Hördurchgang habe ich einen anderen Refrain im Ohr. Aber so reicht es leider nicht zur Höchstwertung. Nichtsdestotrotz ein äußerst starkes Album von den alten Herren um den "Metal God" und "Uncle Reaper" Chris Boltendahl, das jedem Fan die Freudes-Röte ins Gesicht bangen sollte.


... Ein schrecklicher Anblick bietet sich: Vor einem riesigen Drachenbild agieren die fünf Darsteller auf der nebelüberströhmten Bühne wie Berserker auf einem Schlachtfeld. Der Vokalist unter ihnen schreit in völliger Ekstase in ein Mikrofon, dass sich die Nackenhaare aufstellen und eisige Schauer über den Rücken laufen. Nicht weniger chaotisch geht es im unteren Auditorium zu, wo die Besucher wild umherspringen, unkontrolliert ihre Köpfe schütteln und sich gegenseitig hin und her schubsen. Ihr wird schwindelig, ihre aufrechte Haltung verliert die Spannkraft und ihr Rücken sackt in sich zusammen. Während sie feststellt, dass sie die ganze Zeit lauthals geschrien hat, ohne dass sie es selbst oder jemand anderes gehört hätte, legt sich ein gräulicher Schleier über ihre Augen, sie kippt kraftlos nach vorne, schlägt mit dem Kinn auf der Brüstung auf und fällt bewußtlos von dem mit Samt bezogenen Polsterstuhl. Hoffentlich war das alles nur ein Traum...

Gesamtwertung: 9.0 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. The Ring
02. Rheingold
03. Valhalla
04. Giants
05. Maidens Of War
06. Sword
07. Dragon
08. Liar
09. Murderer
10. Twilight Of The Gods
Band Website: www.grave-digger.de
Medium: CD
Spieldauer: 45:00 Minuten
VÖ: 26.05.2003

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