Rammstein - Zeit | |
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Review von Elvis vom 08.05.2022 (9784 mal gelesen) | |
RAMMSTEIN sind kommerziell und vom Bekanntheitsgrad betrachtet vermutlich der bedeutsamste musikalische Export Deutschlands der letzten 30 Jahre. Die Berliner Band hat sich in einem stetigen Aufwärtstrend hocherfolgreich ganz ohne die Anbiederung an Trends ihre eigene Nische geschaffen, in der sie wirkt und sich dabei eben auch blendend verkauft. Ganze zehn Jahre hatten die Fans nach "Liebe Ist Für Alle Da" auf das letzte unbetitelte Album warten dürfen, welchem die fulminante Stadiontournee folgte, bevor deren Fortführung durch ein mittlerweile nur allzu bekanntes Virus unterbrochen wurde. Vielleicht darf man es aus RAMMSTEIN-Fan-Sicht tatsächlich als einen gewissen Glücksfall betrachten, denn trotz oder wohl eher sogar wegen der Zwangspause hat die Band nun innerhalb von nur drei Jahren bereits ein neues Album fertiggestellt. Als Selbstverständlichkeit sollte man das sicherlich nicht betrachten, denn wie schon beim letzten Album ist die Produktion eines solchen Werkes kreativ betrachtet offenbar alles andere als einfach, auch (oder vielleicht sogar weil?) RAMMSTEIN als eine der wenigen Bands immer noch in kompletter Originalbesetzung unterwegs sind. Die kreativen Säfte flossen scheinbar die letzten beiden Jahre immerhin reichlich, denn nun steht "Zeit" tatsächlich in den Regalen und wartet auf seine Besprechung. RAMMSTEIN ist für manch einen gleichbedeutend mit Provokationen und Tabubrüchen, die mit fast jeder Album-Veröffentlichung der Band seit den 2000ern einhergingen. Ob und was nun ein Tabubruch ist, liegt natürlich auch im Auge des Betrachters oder der Betrachterin. In der heutigen Zeit wiederum ist das gewissermaßen auch eine spannende Frage, wo man sich zwischen einem ausufernden "Anything Goes" und einer gleichzeitig nicht minder ausartenden "Cancel Culture" in einem Minenfeld bewegt, ob und wem man gefühlt auf den Schlips oder Schwanz tritt. Lautstarker Protest lässt je nachdem bekanntlich nicht lange auf sich warten, und sei es nur in den plärrenden sozialen Medien und diversen Echokammern. Die erste Veröffentlichung aus "Zeit" war der Titeltrack, der verbunden mit einem ausgesprochen beeindruckenden Videoclip nur rund 14 Tage nach Beginn des bewaffneten Konflikts zwischen Russland und der Ukraine an den Start ging. Es dürfte sicher sein zu sagen, dass um diesen Konflikt herum massive Veränderungen in unser aller Leben vor sich gehen. Das war RAMMSTEIN zum Zeitpunkt der Aufnahme des Songs und des Drehs des Videos sicherlich absolut nicht bewusst, doch traf der Song mit seiner Aussage zu Vergänglichkeit und Tod mehr als nur den Zeitgeist. Dass der stilistisch ein wenig an 'Mutter' erinnernde Track daher auf Platz 1 ging, war eigentlich nicht überraschend und meines Erachtens auch vollkommen verdient. Die zweite Veröffentlichung vorab war 'Zick Zack', ein eingängiger Song, der sich satirisch mit Schönheitswahn und entsprechenden OPs beschäftigt. Auch dieser Song landete (begleitet von einer tollen Veröffentlichung als Single im Rahmen eines eigenen Jugendmagazins im Stil von Bravo oder Pop Rocky - marketingmäßig hervorragend gemacht!) auf Platz 1. Wer sich jetzt fragt, warum ich das überhaupt so weit ausführe: Provokationen wie etwa 'Mein Teil' als Song über den sogenannten Kannibalen von Rotenburg oder 'Pussy' als Kommentar zum Sextourismus waren beides nicht. Vielmehr wird hier fast schon harmlos der Ton für das Album "Zeit" gesetzt, dem man als Thema wohl am ehesten Vergänglichkeit, Abschied und eben damit Zeit zuschreiben darf. Was kann das somit nahezu bescheiden auftretende neue RAMMSTEIN-Album also nun als Ganzes? Im Grunde zeigt sich "Zeit" vordergründig als das, was man ansonsten erst einmal von der Band erwarten darf. Es gibt wie immer punktgenau 11 Songs zu hören, die sich spielzeittechnisch um eine knappe Dreiviertelstunde bewegen und der Einstieg mit 'Armee der Tristen' ist ein klassischer Album-Opener, wie man ihn kennt. Der Gleichschritt der Tristen - wen man darunter subsumieren möchte, darüber darf sich wie bei fast allem jeder seinen eigenen Kopf machen - ist eingängig und bietet ein gutes Live-Potenzial. Der folgende Titeltrack ist mit seinem ruhigen und sich immer weiter steigernden bis mitreißenden Fluss sehr gelungen und passt unerwartet gut in die aktuelle Zeit. Die Power-Ballade 'Schwarz' ist ebenfalls sehr gelungen und schön düster, auf eine fast schon romantische Weise umgesetzt. Deutlich strammer von den Gitarren her und mit Flakes prominentem Keyboard im Refrain ist 'Giftig' ein weiterer guter Song, der live auch viel Spaß machen dürfte. 'Zick Zack', ebenfalls mit Flake im Refrain, steigert sich meines Erachtens in seiner Eingängigkeit mit diversen Durchläufen nochmals und war eine gute Wahl als Single. Zur Halbzeit ist 'OK' nur die in Anzeigen und Foren für Sexarbeit genutzte Kurzform von "Ohne Kondom" - worüber sich inhaltlich wiederum jeder seinen Kopf machen darf. Der Einstieg mit dem weiblichen Chor erinnert mich unmittelbar ein wenig an das Intro von 'You Can't Always Get What You Want' von den ROLLING STONES - ob das so gedacht war? Der Song selbst ist jedoch keine Ballade, sondern flott und stumpf auf die Zwölf. Jetzt mag man das angesichts der diversen infantil anmutenden Wortspiele plump finden, aber eigentlich ist es am Ende des Tages doch nur ein üblicher Lindemann-Text, der live ebenfalls gutes Mitgröl-Potential bietet. Zum Runterkommen gibt es dafür aber auch gleich mit 'Meine Tränen' eine Ballade, die etwas härtere Kost bietet, denn der Text handelt von Missbrauch durch die eigene Mutter. Wie weit dieser geht, ist natürlich Interpretationssache, aber für mein Befinden wäre das jetzt dann der Song, der am ehesten noch einen Tabubruch darstellen könnte, denn sonst geht es ja meist doch eher um männliche Täter. Zeitgleich mit dem Release des Albums gab es das dritte - gewohnt gut gemachte - Video zu 'Angst'. Der ziemlich doppelbödige Text lässt natürlich Interpretationsraum und ist kein klares politisches Statement, doch wenn man das Video einbezieht, geht es am ehesten um eine Abrechnung mit Spießern und der Furcht vor Überfremdung. Der Song ist unabhängig davon klassischer RAMMSTEIN-Stoff mit schöner Härte. "Stumpf ist Trumpf" könnte man auf der Schlussgeraden des Albums mit 'Dicke Titten' denken, doch die Plumpheit des Titels wird immerhin von interessanten Bläsereinlagen (musikalisch, nicht falsch verstehen) konterkariert oder grade kommentiert. Der Song macht tatsächlich daher ziemlich Spaß und ja, man darf ihn vermutlich sogar als Kritik an so viel Oberflächlichkeit der Reduktion von Frauen auf ihre sekundären Geschlechtsmerkmale begreifen. 'Lügen' ist ein Song, der zumindest für mich mit jedem Durchlauf gewachsen ist. Die ruhig in den Strophen vorgetragenen Lügen stehen im krassen Kontrast zum gitarrenstrotzenden harten Refrain, der diese als ebensolche entlarvt. Interessant ist hier der Autotune-Effekt in der zweiten Songhälfte, der aber passend die Verzerrung der Wahrheit musikalisch abbildet, wenn man so will. Und - ja, so kurzweilig ist "Zeit" geworden - schon sind wir am Ende angekommen, welches passenderweise 'Adieu' heißt. Hart und getragen zugleich geht es hier plakativ eben um Abschied. Nun wird viel spekuliert, ob man das wörtlich nehmen darf und es sich vielleicht eben auch um das musikalisch angekündigte Ende der Band nach diesem Album handelt. Diese Frage beantworten RAMMSTEIN natürlich nicht, spielen und kokettieren im Text auch bewusst damit, aber unbefangen betrachtet ist 'Adieu' jedenfalls ein schöner Song geworden. Der Titel passt wie die Faust aufs Auge zur überschwingenden Thematik von Zeit und Vergänglichkeit, die das Album charakterisiert. "Zeit" ist damit im Grunde erst mal "nur" ein RAMMSTEIN-Album, welches sich in gewohnter Weise zwischen den ganzen Trademarks bewegt, die die Berliner so erfolgreich machen. Leise Töne, harte Klänge, plumpe Wortspiele und dennoch Texte, die fast jederzeit einmal mindestens doppelbödig sind, gegossen in eingängige Melodien und gekrönt von einem wirklich fabelhaften Cover. Die persönliche Einordnung in das musikalische Schaffen der Band wird aus meiner Sicht jeder und jede für sich selbst vornehmen müssen. Die Kritiken schwanken hier ebenso wie die Meinungen, die man etwa in den sozialen Medien sieht. Daher möchte ich tatsächlich nur für mich sprechen, wenn ich damit beschließe, dass mir jedenfalls "Zeit" sehr gut gefällt und mit jedem Durchlauf mehr gewachsen ist. Sollte es tatsächlich das letzte Album werden, ist es für mein Empfinden jedenfalls ein Abschied auf hohem Niveau. Reinhören lohnt sich für RAMMSTEIN-Fans und alle anderen jedenfalls ohne Frage. Gesamtwertung: 9.0 Punkte | |
Trackliste | Album-Info |
01. Armee der Tristen (3:36) 02. Zeit (5:22) 03. Schwarz (4:18) 04. Giftig (3:08) 05. Zick Zack (4:04) 06. OK (4:04) 07. Meine Tränen (3:57) 08. Angst (3:45) 09. Dicke Titten (3:39) 10. Lügen (3:50) 11. Adieu (4:38) | Band Website: www.rammstein.de Medium: CD, LP, Digital Spieldauer: 44:05 Minuten VÖ: 29.04.2022 |
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