Ein Interview von Eddieson vom 31.01.2019 (34753 mal gelesen)
Tobias Sammet ist ein viel beschäftigter Mann, vor allem, weil in zwei Wochen das neue AVANTASIA-Album "Moonglow" in die Läden geschoben wird. Zwischen all seinen Terminen nahm er sich aber trotzdem etwas Zeit, um sich mit mir über das neue Album, die anstehende Tour und die AVANTASIA-Fliegenklatsche zu unterhalten.
Hi Tobias! In circa zwei Wochen steht dein neues Output "Moonglow" in den Regalen. Wie fühlst du dich angesichts dessen?
Tobias: Ich habe nicht so viel Zeit, darüber nachzudenken, dass die Platte bald rauskommt. Eigentlich ist für mich die schönste Zeit, wenn ich ganz alleine und heimlich am Album arbeite. Wenn es dann abgegeben wird, fängt der ganze Stress an, Presse, Termine, Video-Shooting … Eigentlich sollte ich sagen, dass ich das liebe, damit sich die Presse nicht schuldig fühlt, wenn sie sich mit mir unterhält, zumal ich für die Begeisterung und das Interesse an meiner Musik wirklich dankbar bin. Aber im Prinzip funktioniere ich im Moment auf Autopilot und das lässt erst wieder nach, wenn ich mit Ronnie, Geoff, Bob, Jorn, Eric und der ganzen Meute auf Tour an der Hotelbar stehe.
Gospelsinger, eine Harfenspielerin und keltische Elemente sind neu für AVANTASIA. Dazu kommen natürlich die bekannten bombastischen Orchestrationen. 'The Raven Child' ist ein gutes Beispiel dafür. AVANTASIA ist also eine große Spielwiese auf der sich ein Musiker mal so richtig austoben kann?
Tobias: Absolut. Mehr Freiheit geht nicht, ich kann alles verwirklichen, was ich will, und niemand redet mir rein. Das mag egoistisch klingen, und ist es im Prinzip ja auch, aber es ist für mich die gesündeste und erfüllendste Form des Musikmachens. Und solange dabei Sachen rauskommen, die mich selbst so begeistern wie "Moonglow", sehe ich auch große Chancen, dass die Fans ihren Vertrauensvorschuss nicht bereuen und ich hoffentlich noch ein paar verrückte Sachen auf diesem Level machen darf.
Es gehört zu AVANTASIA, dass du mit vielen Gastmusikern, überwiegend Sängern/Sängerinnen zusammenarbeitest. Hattest du während des Songwritings zu "Moonglow" schon im Kopf, wer welchen Song singen soll oder wann hat sich das ergeben?
Tobias: Oft weiß man schon beim Schreiben, wer was singen wird. Man bastelt an einem Song und hat Geoff Tate, Bob Catley oder Michael Kiske im Hinterkopf. Und da ich in erster Linie aus der Sicht eines begeisterungsfähigen Fans an die Sache rangehe, der ich natürlich selbst bin, stimuliert die Vorstellung, dass diese großartigen Sänger einen Song singen, den ich gerade schreibe, meine Kreativität. Manchmal schreibt man aber auch was, während man nur eine grobe Richtung der Stimme im Sinn hat, aber noch nicht festgelegt ist, wer das am Ende singen könnte. Das ergibt sich dann nachher bei einem Spaziergang durch den Wald, oder unter der Dusche.
Mille ist beim Song 'Book Of Shallows' dabei und somit ist er der erste Sänger aus dem Extrem-Metal-Bereich für AVANTASIA, wenn ich das richtig im Kopf habe. Wie hat Mille auf die Anfrage reagiert, Teil eines AVANTASIA-Albums zu sein?
Tobias: Mille und ich sind schon lange befreundet, mögen uns privat und haben beruflich großen Respekt vor dem anderen. Wir haben in den letzten Jahren schon oft drüber gesprochen, dass er doch irgendwann, wenn es sich denn anbieten sollte, auch mal bei AVANTASIA dabei sein muss. Wie ich vorhin schon sagte, AVANTASIA ist eine große Spielwiese und es gibt kaum Grenzen, mein Musikgeschmack prägt die stilistische Vielfalt von AVANTASIA, deswegen war es für mich auch gar nicht so eine gewagte Sache, Mille einzuladen. Ich hatte den Part nicht explizit für Mille komponiert, der Song entwickelte sich in diese Richtung und irgendwann wusste ich: An dieser Stelle muss Mille dabeisein. Er hat sich die Nummer angehört und dann sofort zugesagt.
Wie kommen die Kontakte überhaupt zustande? Ich denke, einige Telefonnummern wirst du im Handy haben und da reicht ein kurzer Anruf. Bei Hansi Kürsch zum Beispiel. Aber wie läuft das bei anderen Künstlern? Und hast du dir auch schon mal Absagen eines Künstlers abgeholt?
Tobias: Die Szene ist klein, man kennt sich oder man kennt irgendjemanden, der irgendjemanden kennt. Mit Hansi und Mille bin ich schon seit Jahren befreundet, mit anderen auch. Und dann gibt es halt auch Zufälle. Alice Cooper zum Beispiel konnte ich auf dem kurzen Dienstweg fragen, weil ich mit Eric Singer befreundet bin, der ja bevor er bei KISS einstieg, lange für Alice getrommelt hatte. Im Studio meinte Eric, dass wir dafür Alice fragen sollten. Irgendeinen Weg gibt es immer, und natürlich gibt es auch immer mal wieder Leute, die keinen Bock oder keine Zeit haben, oder wie im Falle Meat Loaf auch ihre Karriere einfach mal zwischendurch beenden. Aber ich will AVANTASIA auch nicht zu so einer Trophäen-Sammlung machen, ich bin sehr glücklich mit dem harten Kern, den ich jetzt für dieses Album und die Tour am Start habe, das sind allesamt Weltsänger, die Besten auf ihrem Gebiet. Sie verleihen den Songs etwas Magisches, und darauf alleine kommt es an.
Stell dir vor, eine Fee kommt vorbei und erfüllt dir den Wunsch mit einem Künstler zusammenzuarbeiten, den du schon lange auf deiner Wunschliste hast, es bisher nie geklappt hat. Welcher Künstler wäre das?
Tobias: Eine Fee wird da nicht reichen, Freddie Mercury. Wie großartig das wäre ...
Du sagst, dass "Moonglow" dein bis dato persönlichstes Album ist. Gleichzeitig erzählst du auf dem Album eine vielschichtige Geschichte von einem dunklen Wesen in einer grellen Realität, dass sich dann wieder in die Dunkelheit zurückzieht. Wo besteht da die Verbindung? Und kannst du etwas mehr über das textliche Konzept auf "Moonglow" erzählen?
Tobias: Ich hatte und habe zunehmend Probleme damit, mich zu verbiegen, damit andere mich nicht für sperrig oder kauzig halten. Verstehe mich nicht falsch, ich halte mich nicht für etwas Besonderes oder die missverstandene Wurst, aber ich finde es manchmal grotesk, wie man der Vorstellungen anderer von dem, was man selbst sein sollte, am besten zu entsprechen hat. Es war mir als Kind schon suspekt, dass Zustände und Eigenschaften und Verhaltensweisen als Norm ohne Fragen akzeptiert wurden, während das eigene Verhalten, die eigenen Träume oder Vorstellungen manchmal als abnormal gebrandmarkt wurden. Diese Erfahrungen habe ich schon als junger Mensch machen müssen, weil ich Probleme damit hatte, etwas vorzugeben, was ich nicht bin, Erwartungen zu erfüllen. Auf der Platte geht es um die Ansichten oder die Gefühlswelt eines Homunkulus, der in ein Umfeld hineingeschaffen wird, in dem es für ihn keinen Platz gibt. Ein Umfeld, mit dem er sich arrangieren will, wobei er aber nicht mit dem Druck umgehen kann, den die Erwartungen an ihn mit sich bringen. Und somit zieht er sich zurück und schafft sich seine eigene Realität in der Dunkelheit, die ihm Schutz bietet, die ihn für die anderen ein Stück unsichtbar machen soll, die ihm aber auch ein Tor in eine andere Welt öffnet. Ich habe eine düstere Welt geschaffen, eine fantastische Welt, die direkt einer Geschichte der Schwarzen Romantik entliehen sein könnte, und dieser Rahmen diente als perfekter Nährboden, meine eigenen Gefühle da reinzupacken. Wenn Du 28 Jahre Musik machst, musst Du manchmal ein dickes Fell haben, weil Du zunächst gar nicht merkst, wie die Erwartungen, dass Du etwas Bestimmtes in einem bestimmten Rhythmus ablieferst, sich zu einem immensen Druck zusammenbrauen. Ich musste für mich die bewusste Entscheidung treffen, mein Leben von diesen Erwartungen freizumachen, weswegen ich auch 2018 erstmals in meiner Karriere keine Konzerte spielte.
Neben ausladenden Stücken von über neun bis elf Minuten. Gibt es auch kürzere Songs, wie zum Beispiel den Titeltrack, der für mich eine gewisse Radiotauglichkeit aufweist (nicht abwertend gemeint). Spukt das manchmal auch im Hinterkopf rum, dass ein Song ja auch mal eine breitere Masse ansprechen soll und das Radio da eine gute Möglichkeit bietet?
Tobias: Nein, beim Kreativprozess eigentlich nicht. Aber Du merkst natürlich an einem gewissen Punkt, dass sich diese Nummer besser für einen Rock-Radio-Sender eignet, als eine 15-minütige Speed Metal-Nummer. Das liegt in der Natur der Sache, wobei wir nie eine Radioband waren.
Mit 'Maniac' gibt es eine Coverversion, der ursprünglich aus dem 80er-Tanzfilm "Flashdance" stammt. Warum hast du dich gerade für den Song als Coverversion entschieden?
Tobias: Das war eine reine Schnapsidee, ich wollte diese Nummer covern, zunächst mal bin ich davon ausgegangen, dass wir sie unter Umständen nichtmal als Bonustrack benutzen würden. Im Idealfall wäre sie stark genug geworden, um vielleicht als B-Seite für Japan Verwendung zu finden. Aber dann entwickelte sich das Ding so gut, dass ich zu Sascha sagte: Wir packen da jetzt Eric Martin drauf, und dann ist das 'ne waschechte AVANTASIA-Nummer. Und so kam das dann, manchmal muss man auch Dinge, die nach dem großen Regelbuch der Heavy Metal-Operette überhaupt keinen Sinn ergeben, einfach nur weil's geil ist.
Du begibst dich ja demnächst auf eine umfangreiche Tour mit dem neuen Album. Was können die Fans von den kommenden Shows erwarten?
Tobias: Wir werden wieder an die drei Stunden spielen, wir werden viele Songs von "Moonglow" spielen, aber auch gut zwei Stunden Best -of-Programm einstreuen. Das ist halt der große Vorteil, wenn Du ohne Supportband und mit neun Sängern auf Tour bist, es gibt kaum Grenzen. Klar, bei Festivals geht das nicht, da spielt man dann kürzer, aber auf einer eigenen Hallentour können wir unseren Ideen freien Lauf lassen. Es wird ein tolles Line-up sein, eine schöne Bühne, viele Shows sind ausverkauft oder auf dem Weg dorthin, wir freuen uns alle auf diese Sache! Es wird groß!
Ich habe mich mal etwas im AVANTASIA-Shop umgesehen und wenn es einen Preis für das außergewöhnlichste Merch geben würde, dann wärst du sicherlich mit der AVANTASIA-Fliegenklatsche nominiert.
Tobias: Das war meine Idee, kein Verkaufsschlager, leider. Aber scheiß drauf, es war ein großer Spaß und je milder die Sommer werden, desto mehr Fliegen haben wir, hoffe ich. Für irgendwas muss der Klimawandel ja zu gebrauchen sein. Es gibt Leute, die wetten auf Ernteschäden, im Vergleich dazu ist es, denke ich, politisch und moralisch noch gerade so korrekt, zu hoffen, dass es 200 Fliegengeplagte mehr gibt, die diese Scheiß-Fliegenklatschen kaufen, damit es Platz im Lager gibt. Man hat mich dafür damals ausgelacht. Na ja, ich denke zu Recht.
Vielen Dank für deine Zeit und das Interview. Für das Album und die kommende Tour wünsche ich dir viel Erfolg und überlasse dir die letzten Worte.
Tobias: Ich freue mich auch auf die Tour, wie gesagt, dann stehe ich neben Geoff Tate und trinke einen Wein, und habe diesen Presse-Wahnsinn hinter mir! [lacht]