Interview mit Timo Kotipelto von Stratovarius

Ein Interview von Elvis vom 19.06.2016 (18346 mal gelesen)
Unglaublich, aber wahr: STRATOVARIUS sind tatsächlich schon drei Jahrzehnte im Geschäft. Zur Feier der neuen Compilation "Best Of" nahm sich Sänger Timo Kotipelto persönlich die Zeit, sich von Bleeding4Metal mal ein bisschen auf den Zahn fühlen zu lassen und eine kleine Retrospektive zu veranstalten. Viel Spaß!

Hallo Timo, Glückwunsch zu einer schon solch langen Karriere und vielen Dank, dass Du Dir Zeit genommen hast, uns einige Fragen zu beantworten. Ich kann kaum glauben, dass Ihr das schon seit über 30 Jahren macht. Hättest Du das jemals erwartet als Du damals angefangen hast?

Timo Kotipelto: Vielen Dank! Als ich 1994 zur Band stieß hätte ich wirklich niemals erwartet, dass es so lange gehen würde. Ich wollte an sich nur singen und sonst nichts. Jetzt sind es schon mehr als 20 Jahre, die ich dabei bin und fast schon genauso viele Alben.

"Best Of" ist ein sehr bodenständiger Titel für Eure neue Compilation, wie ich finde. Wer war an der Tracklist beteiligt und hat diesen Titel ausgesucht? Würdest Du sagen, es handelt sich um ein echtes "Best Of" der Songs von STRATOVARIUS oder würdest Du es eher als Gelegenheit sehen, einen ersten Eindruck zu gewinnen, was einen auf den Alben erwartet?

Timo Kotipelto: Wir haben jetzt 15 Studioalben mit STRATOVARIUS auf dem Buckel und ich denke, es war ein guter Zeitpunkt, um diese Compilation zu veröffentlichen. Die Songs haben das Label, Jens und ich ausgesucht, ich habe dann die Reihenfolge der Tracklist festgelegt. Dabei habe ich mich gefragt, "Wenn wir all diese Songs live spielen würden, wie sähe die Set List wohl aus?". Das sehe ich als das einzig wahre "Best Of" an. In der Vergangenheit haben wir so was wie "Chosen Ones" veröffentlicht, aber da war nie so viel Abwechslung dabei.

Kannst Du uns ein bisschen was zu dem neuen Song auf "Best Of" erzählen?

Timo Kotipelto: 'Until The End Of Days' wurde ursprünglich für "Eternal" aufgenommen. Als wir mit unserem Label sprachen, einigten wir uns darauf, den Track für "Best Of" aufzuheben. Geschrieben hat ihn unser Bassist Lauri Porra.

Was war Deiner Meinung nach das beste Konzert, welches Du jemals gespielt hast?

Timo Kotipelto: Leider bin ich nie zu 100% zufrieden mit dem, was ich tue, aber ich hatte schon das ein oder andere Mal was, wo ich nah dran war (lacht). Letzte Woche hatten wir zum Beispiel eine sehr schöne Show in Pilsen, Tschechien. Hoffentlich wird das in Kürze in Kouvola, Finnland, auch so laufen.

Hattest Du schon mal SPINAL TAP-Momente auf oder neben der Bühne?

Timo Kotipelto: Die passieren allen Bands, die irgendwie touren (lacht). Einmal hab ich mir z. B. die Hand auf der Bühne verbrannt und ein anderes Mal fing die PA Feuer. Solche kleinen SPINAL TAP-Momente passieren an sich bei jeder Tour.

Stell Dir vor, jemand der sich für STRATOVARIUS interessiert und keinen einzigen Song wirklich kennt, kommt zu Dir und fragt Dich, welchen Song Du empfehlen würdest, um ein Gefühl für die Band zu bekommen. Gibt es so was wie einen Song, der STRATOVARIUS für Dich auf den Punkt bringt, eine Art Quintessenz Eurer Musik?

Timo Kotipelto: Ich denke, man könnte einen guten Eindruck von unserer Musik bekommen, wenn man sich Songs wie 'Black Diamond' oder 'Hunting High And Low' anhört. Da würde ich anfangen und danach mal vor und mal zurück in unserem Back Catalogue.

Jetzt stell Dir vor, dieser potentielle neue Fan möchte gern ein Album wissen, bei dem er einsteigen sollte, welche(s) würdest Du empfehlen? Und warum?

Timo Kotipelto: Da würde ich mehrere Alben empfehlen: zunächst einmal "Visions" und "Episode" aus den 90ern und dann "Eternal" als unser aktuellstes Album. So bekommt man einen guten Eindruck von unserer Musik und wie sie sich in den letzten 20 Jahren entwickelt hat.

Und umgekehrt: welche Alben würdest Du dafür gerade nicht empfehlen und warum?

Timo Kotipelto: Auf jeden Fall die ersten drei Alben, schon allein weil ich darauf nicht singe (lacht). Ich bin auch kein großer Fan unseres selbstbetitelten Albums von 2005.

Was waren aus Deiner Sicht einige echte Highlights während der über drei Jahrzehnten STRATOVARIUS?

Timo Kotipelto: Davon gab es wirklich viele, die ersten Welttourneen zum Beispiel! Na ja, an sich ist es immer ein Highlight, wenn wir irgendwo in einem Land erstmalig auftreten, wo wir bislang noch nie gespielt haben (ok, heute kommt das nicht mehr sonderlich oft vor, da wir schon so viele Länder bespielt haben). Natürlich war es toll, als wir unsere erste goldene Schallplatte für "Visions" bekamen (das erinnert mich irgendwie daran, dass ich vielleicht irgendwann die goldenen Schallplatten mal an die Wand hängen könnte), aber am meisten mag ich es immer noch, live zu spielen.

Gab es denn im Gegenzug auch ein paar echte Tief- oder Rückschläge?

Timo Kotipelto: Natürlich hatten wir auch solche. Aber ich versuche, mich nicht groß an schlechte Zeiten zu erinnern und stattdessen lieber an die coolen Momente zu denken.

Welche alten und vielleicht sogar neuen Bands haben Dich auf Deinem musikalischen Weg inspiriert und begleitet?

Timo Kotipelto: RAINBOW, DIO, IRON MAIDEN, DEEP PURPLE und AC/DC.

Die Welt hat sich seit Mitte der 80er drastisch verändert. Würdest Du heute noch diesen Karriereweg einschlagen? Welche Unterschiede siehst Du und welche Vor- und Nachteile kommen Dir spontan in den Sinn?

Timo Kotipelto: Als ich bei STRATOVARIUS einstieg, fragten mich einige Leute – sogar einige meiner Freunde – warum ich unbedingt diese Art von Musik singen wollte. Da würde ich doch niemals in der Lage sein, meinen Lebensunterhalt damit zu bestreiten. Nun ja, mir ging es niemals um das Geld, sondern darum, was ich wirklich tun wollte. Zu der Zeit war Grunge ja grade ganz groß und man erwartete, dass er Metal über kurz oder lang töten würde. Tja, Grunge starb nach ein paar Jahren, aber wir sind immer noch da … Heute würde ich genau dasselbe tun. Ich würde auf mein Herz hören, egal um welche Musikrichtung es sich handeln würde. Heutzutage ist es sogar noch schwerer, Musik zu machen und gleichzeitig davon seine Miete zu bezahlen. Früher haben die Leute mehr Alben gekauft. Metalbands sind meiner Meinung nach in der glücklichen Lage, dass sie sehr loyale Fans haben, die tatsächlich verstehen, wie wichtig es ist, ihre Lieblingsband zu unterstützen, damit es auch in Zukunft noch neue Musik von ihr gibt. Was auf jeden Fall schwerer als vor 20 Jahren ist: heutzutage noch eine Karriere mit einem echten Instrument hinzulegen!

Wenn Du nicht zu STRATOVARIUS gestoßen wärst, welchen Weg und welche Karriere hättest Du im Leben ansonsten vielleicht eingeschlagen?

Timo Kotipelto: In der Schule habe ich mich ziemlich für Geschichte interessiert. Ich habe auch ein bisschen Radioarbeit gemacht, bevor ich Musik studiert habe. Also wäre ich vermutlich irgendwo in einem dieser Bereiche.

Welchen Ratschlag würdest Du einem aufstrebenden jungen Musiker über das Musikbusiness und darin seinen Karriereweg zu gehen, mit auf den Weg geben?

Timo Kotipelto: Wenn es darum geht, Musik mit echten Instrumenten zu machen, musst Du hart arbeiten, ein bisschen Talent haben und am besten auch ein paar Connections. Gute Songs helfen natürlich auch. Es kann ein langer Weg sein, aber wenn Dein Herz Dir sagt, es zu tun, dann tu es! Wenn Du ein gut klingendes Metalalbum machen möchtest, stell Dich schon mal drauf ein, einen Haufen Geld und viel Zeit hineinzustecken. Sofern Du es einfacher haben möchtest, versuch’s lieber mit einer anderen Musikrichtung (lacht).

Was denkst Du über Musikpiraterie und das Internet in diesem Zusammenhang?

Timo Kotipelto: Daran können wir nicht viel ändern. Fakt ist, dass in den letzten zehn Jahren die Plattenverkäufe und damit die Einkommen der Bands drastisch gesunken sind. Doch ich glaube, dass die Leute, die die Musik wirklich genießen, für diese auch bezahlen. Von daher ist es mir an sich egal, ob jemand zwei Millionen MP3s auf seiner Festplatte hat. Die Zeit, sich die alle anzuhören, hat derjenige eh nicht und vermutlich wird er auch nicht die Schönheit der Songs begreifen. Da geht es doch mehr darum, Kram anzuhäufen (lacht).

GENE SIMMONS hat gesagt, "Rock ist tot." Würdest Du ihm zustimmen oder nicht?

Timo Kotipelto: Trends kommen und gehen. Rock ist nicht tot, aber vermutlich nicht so populär wie vor 20 Jahren. So geht’s nun mal im Leben.

Was ist der größte Traum, den STRATOVARIUS Dir erfüllt hat? Hast Du noch ein paar Träume übrig und wenn ja, welche und warum?

Timo Kotipelto: Ich war in der Lage, vor vielen Menschen auf der ganzen Welt zu singen. Ich habe viele Länder und Städte gesehen und so viele Menschen getroffen. Mein Traum ist es, all das weiterführen zu können: großartige Songs schreiben, gute Alben machen und ausgezeichnete Touren fahren.

Gibt’s noch eine Band, mit der Du gern mal auf derselben Bühne stehen würdest und es bislang noch nicht geschafft hast?

Timo Kotipelto: Hm, vielleicht AC/DC ...

Wenn Du ein Traum-Line Up für ein Festival zusammenstellen könntest, welches wäre das und wo fände das Festival statt?

Timo Kotipelto: Hm, wir supporten IRON MAIDEN am 29. Juni in Finnland. Das ist schon ziemlich nah dran (lacht).

In den letzten Monaten hat die Metalgemeinde ebenso wie die Musik im Ganzen einige großartige Musiker und echte Legenden verloren, ich denke nur an LEMMY KILMISTER, DAVID BOWIE oder PRINCE. Wenn Du Dir eine Allstar-Band zusammenstellen könntest, egal ob die Musiker noch leben oder schon von uns gegangen sind, wie sähe diese aus?

Timo Kotipelto: Oh, das ist wirklich sehr schwierig! Ein mögliches Line-Up könnte sein: Vocs - Ronnie James Dio, Bass - Steve Harris, Guit - Ritchie Blackmore, Gary Moore, Drums - Cozy Powell oder Bonzo Bonham, Keys - Jon Lord oder Jens Johansson

Viele der großen alten Bands beehren weiterhin die Bühnen dieser Welt, doch manche, wie z. B. BLACK SABBATH oder jüngst auch MANOWAR, kündigen an, dass der Vorhang zum letzten Mal fallen wird und machen eine Abschiedstournee. Wie lange kannst Du Dir vorstellen, mit STRATOVARIUS unterwegs zu sein? Wann würdest Du persönlich aufhören?

Timo Kotipelto: Solange unsere Fans die Musik mögen, wir Spaß dabei haben und es immer noch bringen können. Ich glaube nicht, dass es im Musikbereich ein Rentenalter gibt, die ROLLING STONES hören ja scheinbar auch niemals auf (lacht).

Stell Dir – sofern Du kannst – mal Dein Leben nach der Musik vor. Was würdest Du tun (unterstellt, dass Du Dir um Geld keine Gedanken machen müsstest)?

Timo Kotipelto: Ich werde mich mit einem Buch in mein Cottage verziehen und auf den See schauen. Ok, hoffentlich habe ich dann Freunde und Familie, mit denen ich Zeit verbringen kann. Vielleicht schreibe ich ja eine Autobiographie (lacht).

Denkst Du, es ist heute noch notwendig, sich in ein Studio zu begeben und neue Alben einzuspielen oder glaubst Du, es genügt, nur noch Shows zu spielen, wie es viele Veteranen im Musikbusiness nur noch tun?

Timo Kotipelto: Klar wäre es einfacher, bloß von Zeit zu Zeit auf Tour zu gehen und alle zwei Jahre mal einen neuen Song rauszuhauen. Aber wir haben immer noch Spaß daran, Alben zu machen und scheinbar wollen auch unsere Fans, dass wir Alben machen und nicht nur touren.

Welche Frage würdest Du gern mal gestellt bekommen, aber kein Interviewpartner hat sie Dich je gefragt?

Timo Kotipelto: Ich glaube, die meisten Fragen, die ich gerne gehört hätte, wurden mir tatsächlich schon mal gestellt (lacht).

Vielen Dank für Deine Zeit, Timo! Die letzten Worte gehören natürlich Dir!

Timo Kotipelto: Ich danke ebenso! Auch all den Leuten, die uns unterstützt haben, indem sie unsere Alben gekauft und sich uns live angeschaut haben! Wir werden bald anfangen, neue Songs zu schreiben und hoffentlich im nächsten Jahr ein neues Album am Start haben.

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