Interview mit Fernanda von Nervosa

Ein Interview von Eddieson vom 25.01.2017 (34749 mal gelesen)
Kurz nach der Show im Osnabrücker Bastard Club traf ich mit Fernanda (b,voc). Es war kalt und nass, doch die Bandchefin zeigte sich trotzdem sehr offen und äußerst gut gelaunt, und so plauderten wir u. a. über die Band, Brasilien und Sexismus im Metal.

imgcenter

Hi Fernanda! Wie geht es dir?

Fernanda: Danke, sehr gut und dir?

Danke, mir auch. Die Show war super.

Fernanda: Vielen Dank.

Es war für mich das erste Mal, dass ich NERVOSA gesehen habe.

Fernanda: Wirklich?! Ich hoffe, dass wir bald wiederkommen, dann hast du vielleicht noch öfter die Gelegenheit.

Sehr gerne. Ist es jetzt das zweite oder dritte Mal, dass hier in Europa seid?

Fernanda: Es ist sogar schon das vierte Mal. Das hat mich eben selber überrascht. Es ist wirklich schon das vierte Mal. Das erste Mal war 2015. Letztes Jahr waren wir im Sommer hier und dann nochmal mit DESTRUCTION und jetzt ist es dann das vierte Mal.

Genau. Und jetzt ist es der zweite Teil der Tour mit DESTRUCTION. Ist es immer noch aufregend?

Fernanda: Ja, natürlich! Wir sind sehr froh, dass wir wieder dabei sind. Die einzige Band von der ersten Tour. Da waren ja noch FLOTSAM & JETSAM und ENFORCER dabei. Die andere Tour war wirklich super. Wir hatten eine Menge Spaß und für uns war es die erste große Tour, mit Tourbus und allem Drumherum. Wir haben viel gelernt. Es war einfach eine tolle Erfahrung. Und das jetzt noch mal zu erleben ist natürlich super. Heute ist die zweite Show, aber wir sind da schon etwas entspannter. Wir wissen jetzt schon etwas mehr, wie es läuft, wie es beim Packen der Sachen abläuft und so weiter.

Wie ist es für euch, eine All-Female-Band aus Brasilien zu sein. Metal ist immer noch von Männern dominiert. Die meisten Metalheads sind zwar relativ offen, aber Sexismus und Rassismus gibt es trotzdem. Wie geht ihr damit um?

Fernanda: Da hast du schon recht. Es ist ein Fakt, dass Metal von Männern dominiert wird. Wir können aber gut damit umgehen. Am Anfang war es natürlich schwer, weil wir auch aus Brasilien kommen. Brasilien hat ein großes Sexismus-Problem, obwohl es auf der anderen Seite sehr konservativ und religiös ist. Für Frauen ist es auch heute noch schwer, vor allem, wenn man im künstlerischen Bereich tätig ist oder eben im Metal. Wie gesagt, am Anfang war es schwer. Klar, auch da sind die meisten Metalheads sehr offen, aber es gibt immer dieses eine Prozent, das schlecht über uns redet. Wir würden mit den Promotern schlafen, damit wir Shows spielen können, und so ein Scheiß. Aber im Grunde ist uns das egal. Uns zeigt das mehr über diese Leute. Es ist ja auch nur ein kleiner Teil von Leuten. Der Großteil respektiert uns. Mit der Zeit haben aber die meisten Leute gesehen, das wir zwar Mädels sind, aber auch Metalheads. Und wir lieben es Metal zu spielen und das sehen die Leute.

Der beste Weg ist auch, solche Leute zu ignorieren.

Fernanda: Genau, sie zu ignorieren ist der beste Weg. Gerade in Zeiten von Internet ist es das Problem, dass wenn du mehr darauf eingehst, desto mehr Aufmerksamkeit bekommen solche Idioten. Dadurch fühlen sie sich möglicherweise bestätigt. So ist Ignoranz in diesem Falle der beste Weg. Auch die Touren helfen uns dabei. Wir sind bessere Musiker geworden, haben mehr Erfahrung gesammelt und wissen, was wir tun. Wir versuchen denen einfach keinen Grund zu geben, schlecht über uns zu reden. Was gibt es für einen Grund? Wir sind doch coole Mädels. Wir spielen Metal. Das ist doch wirklich cool, oder? imgleft

Ja, auf jeden Fall. Sag mal, ist es wichtig für dich, dass ihr eine All-Female-Band seid und bleibt oder hätte ein Mann auch eine Chance auf einen Posten bei euch?

Fernanda: Mir ist das wichtig. Ich war immer eine Unterstützerin von Frauen in der Kunst oder im Metal. Es gibt so viele Frauen da draußen, die Metalheads sind und ich denke, wir brauchen mehr Frauen in Bands. Ich glaube, wir können dadurch andere Mädels oder Frauen beeinflussen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der es auch Sexismus gibt und Frauen fühlen sich vielleicht oftmals nicht ermutigt, weil sie Angst haben oder weil ihnen eingeredet wird, dass sie das nicht können. Je mehr Frauen spielen, desto mehr fühlen sich vielleicht andere Frauen inspiriert, das zu versuchen. Ich kann mich noch genau an meine Gefühle erinnern, jedes Mal, wenn ich GIRLSCHOOL oder DORO live gesehen habe. Wenn die das schaffen, dann schaffe ich das auch. Ich glaube, es ist wichtig, wenn es ein All-Girl-Thrash-Metal-Trio gibt, dann hilft das vielleicht auch anderen Frauen.

NERVOSA ist eine Band, die es gerne auf den Punkt bringt. NERVOSA ist das portugiesische Wort für "Wut".

Fernanda: Wenn man es genau übersetzt, dann bedeutet es "Frau in Wut".

Okay, das wusste ich nicht. Jedenfalls ist die Musik auf "Agony" sehr straight, das Album heisst "Agony" und die Lyrics reden auch nicht um den heißen Brei. Es scheint euch also sehr wichtig zu sein.

Fernanda: Absolut. Wir sind sehr straight. Wir wissen, was wir wollen, das war schon von Anfang an so. Es ist uns wichtig, weil wir so sind. Die Texte sollen ehrlich sein. Das ist der Weg, mich auszudrücken. Als wir angefangen haben, ist alles in den Hintergrund getreten und die Band in den Vordergrund. Es ist nicht so, dass wir das unbedingt zeigen müssen, so ist es nicht, aber wir fühlen so. Wir machen das einfach so, und ich denke, das hat uns bis hier hin gebracht. Und so ist es auch mit den Texten. Ich nutze die Texte, um mich auszudrücken. Gerade wenn man in Brasilien lebt, was nicht immer einfach ist. Wir sehen jeden Tag Sachen, die uns zum Wahnsinn bringen, die uns sauer machen. Wir saugen das alles auf, es wird immer mehr und dann ist es an der Zeit ein neues Album zu schreiben. Und dann spucken wir alles aus, was uns sauer macht. Ich finde das sehr wichtig, weil es Leute gibt, die identifizieren sich damit. Ich habe natürlich nichts gegen Fantasie-Texte oder so, aber wir wollen lieber über die Realität schreiben, weil sich die Leute damit mehr identifizieren können und auch wenn sie damit nicht einverstanden sind, denken sie doch darüber nach. Und das ist mir wichtig.

Du hast es ja eben am Rande schon angesprochen, deshalb müssen wir die Probleme in Brasilien auch noch ansprechen. Viele Leute in Europa wissen, dass es dort Probleme gibt, wissen aber eigentlich nicht genau, wo das Problem liegt.

Fernanda: Es gibt dort so viele Probleme. Nicht nur in Brasilien, sondern in gesamt Latein-Amerika. Das größte Problem ist die soziale Ungerechtigkeit. Wir haben eine Menge sozialer Probleme. Hier in Europa gibt es natürlich auch reiche und arme Leute, aber gesamt gesehen ist es alles eher durchschnittlich. In Brasilien gibt es diese riesen Villen von reichen Leuten und dann die Favelas. Dann hast du da Leute, die eine Million im Monat verdienen und andere, die nicht mal 200 Dollar im Monat zusammen kriegen. In Brasilien gibt es zum Beispiel 20 Millionen Arbeitslose. Das ist mehr als in manchen Ländern in Europa Menschen leben. Das ist doch Wahnsinn. Über all dem stehen aber die Politiker, die absolut korrupt sind. Nicht nur in Brasilien, sondern in ganz Süd-Amerika. Es gibt dort diese Kultur, dass sie den Leuten das Geld aus der Taschen ziehen müssen, obwohl sie uns ja eigentlich helfen sollten. Neben den ganzen korrupten Politikern und so weiter ist es für Metal-Bands dort auch einfach schwer. Man muss eine Menge Geld für einen Proberaum bezahlen, die Instrumente sind extrem teuer, man muss sie importieren. Es ist kaum möglich für brasilianische Bands zu reisen, weil die Tickets so verdammt teuer sind. Du siehst, das Problem ist wie ein Schneeball. Aber weißt du, ich mag Brasilien trotzdem. Die Menschen dort sind toll, das Land ist schön und ich hoffe einfach, dass die Menschen dort bald noch glücklicher sind.

Lass uns noch schnell über etwas schöneres reden. Was wird 2017 für NERVOSA bringen?

Fernanda: Wir haben ja gerade "Agony" veröffentlicht. Danach sind wir viel getourt, aber wir haben das Gefühl, wir müssen noch mehr tun. Letztes Jahr haben wir nur sechs oder sieben Shows in Brasilien gespielt, das muss mehr werden. Nach dieser Tour werden wir uns also auf mehr Shows in Brasilien konzentrieren, generell auf Süd-Amerika. Im Sommer kommen wir wieder nach Europa. In der zweiten Jahreshälfte ist dann Mexico und Nord-Amerika dran. Du siehst, es dreht sich alles ums Touren. Und im nächsten Jahr starten wir dann das Songwriting für das nächste Album.

Süd-Amerika hat doch eine große Metal-Szene.

Fernanda: Ja, die ist verdammt groß. Brasilien ist groß, es gibt dort viel zu entdecken und wir haben eine große Fangemeinde da. Es ist immer ein Vergnügen in Latein-Amerika zu spielen. Die Fans dort sind einfach verrückt. Wir möchten nicht nur in Europa und Nord-Amerika spielen, natürlich sind uns die Fans hier auch wichtig, aber wir wollen auch Zuhause spielen.

Ich danke dir für das Interview, Fernanda und die letzten Worte gehören dir.

Fernanda: Als erstes möchte ich mich bei dir bedanken. Die Metal-Szene lebt nicht nur von den Bands und den Fans, sondern auch von den Promoter und den Journalisten, die uns helfen unsere Musik zu verbreiten. Also, vielen Dank. Und an alle, die das lesen. Respektiert die Bands, auch wenn ihr sie nicht mögt, supportet eure Szene und haltet die Metal-Flagge weiter hoch!

Besucher-Interaktion

Name:
Kommentar:
(optional)
Meine Bewertung:
(optional)
(Hinweis: IP-Adresse wird intern mitgespeichert; Spam und Verlinkungen sind nicht gestattet)

Artikel über soziale Netzwerke verbreiten