Ein Interview von Dunkeltroll vom 07.09.2021 (31752 mal gelesen)
25 Minuten Interviewzeit wurden uns im Vorfeld zugestanden - aber Peavy [Gesang & Bass] hatte offenbar Bock, meldete sich über eine halbe Stunde früher als geplant, und so dehnte sich das Gespräch kurzerhand auf über eine Stunde aus, in der wir ausführlich auf das neue Album, die letzten Besetzungswechsel und das Musikgeschäft eingegangen sind. Und zum Abschluss gab Peavy noch einige interessante Ausblicke in die Zukunft preis.
Peavy, grüß dich! Wie geht's dir?
Peavy: Mir geht's gut. Ich bin viel am Quasseln, aber es macht Spaß!
Es gibt ja auch viel zu erzählen: Ihr habt die letzten Monate zwar nicht viele Konzerte gespielt, aber immerhin wart ihr August letzten Jahres auf dem Dong.
Peavy: Wir haben auch noch zwei oder drei andere Corona-konforme beziehungsweise Streaming-Konzerte gehabt, also ganz live-untätig waren wir auch nicht (lacht), und wir haben natürlich lange an dem Album gearbeitet - also war immer was zu tun.
Das Album ist richtig stark geworden! Ich kenne alle eure Alben, aber so vom Fleck weg abgeholt hat mich lange keins mehr, muss ich sagen.
Peavy: Danke! Das freut mach, also haben wir doch was gelernt (lacht). Wäre ja auch lächerlich, wenn man immer schlechter würde, dann macht man was falsch (lacht).
Was heißt schlechter: Manche eurer Fans stehen total auf die orchestralen Stücke, andere mögen es lieber deutlich straighter.
Peavy: Ja ich weiß, das sind alles Trademarks von uns, und ich denke, dass wir auf "Resurrection Day" alle stilistischen Elemente untergebracht haben, die uns über die Jahre ausgezeichnet haben, und ich hoffe auch, dass es recht homogen rüber kommt - auf den letzten beiden Alben ["Seasons Of The Black" (2017) und "Wings Of Rage" (2020)], standen die orchestralen Stücke ja jeweils als Block zusammen. Jetzt ist alles wieder etwas aufgelockerter, und wir haben erstmals wieder seit längerem einen richtigen Profi an die Orchestrierung ran gelassen, den Pepe Herrero aus Madrid. Er ist ein professioneller Arrangeur, der in Spanien mit allen Pop-Größen zusammenarbeitet. Den haben wir 2019 als Dirigenten für die "13"-Festivaltour gewinnen können, und sind seitdem eng befreundet. Als ich ihn gefragt habe, ob er Lust hätte, an "Resurrection Day" mitzuarbeiten, war er Feuer und Flamme. Ich hab ihm dann die Demos geschickt und ihm ansonsten alle Freiheiten gelassen; ein professionelleres Ergebnis kann man sich gar nicht vorstellen.
Das Orchester ist also echt? Das stelle ich mir in diesen Zeiten noch aufwändiger vor, als es sonst schon ist.
Peavy: Ja, Pepe hat das dann direkt auch mit seinen Leuten aufgenommen. Er hat da die besten Voraussetzungen, und man hört es ja auch, das ist schon noch geiler als auf den letzten Sachen. In Spanien gab es aber auch schon wieder einige große Livekonzerte; offensichtlich ist da ein bisschen mehr möglich als hier. Als wir alle noch nicht geimpft waren, war ich auch sehr, sehr vorsichtig. Das hatte mir auch mein Arzt eingeschärft, da ich einige Hochrisiko-Faktoren habe und es mich da richtig hätte umhauen können, und mein Leben und meine Gesundheit sind mir zu schade, um sie für irgendwelche Sperenzien zu riskieren. Deswegen bin ich auch nicht für die Aufnahmen mit nach Spanien gefahren, sondern wir haben mein Zeug und auch die Gitarren hier in Deutschland gemacht. Lucky hat allerdings in Spanien sein Schlagzeug eingespielt: Er musste dafür viele bürokratische Hürden nehmen und auch erst einmal in Quarantäne gehen. Aber in dieser Pandemie-Situation muss man halt Kompromisse machen. Langsam wird es ja besser: Wenn jetzt die ganzen Uninteressierten hoffentlich mal wach gerüttelt werden und sich vielleicht doch mal impfen lassen und wir eine gewisse Herdenimmunität erreichen, sollten Konzert wieder so möglich sein, dass es sich für alle Beteiligten lohnt. Diese Corona-Konzerte machen keinen Sinn: Leute, die in Strandkörben oder Autos sitzen, dass ist alles Quatsch. Wir haben das letztes Jahr auch versucht (lacht), aber nee, das funktioniert nicht. Aber ich bin guter Dinge, dass es jetzt besser wird.
Den Sommer über ist im Freien ja einiges möglich, aber Konzerte in Innenräumen werden noch mal eine andere Herausforderung.
Peavy: Wir haben ja für November/Dezember eine Tour angesetzt, das wird logischerweise alles Indoor stattfinden, und ich hoffe, dass die Leute da ein Einsehen haben, und das auch wieder ermöglichen, indem sie beim Impfen mitmachen. Ich weiß, dass man damit schnell wieder viele Leute auf die Palme bringt, aber man sollte sich mit dem Thema beschäftigen, und dabei nicht leichtfertig irgendeinen Quatsch glauben: Es ist schon ein Unterschied, ob irgendwer etwas auf YouTube behauptet, oder sich ein renommierter Wissenschaftler dazu äußert. Ich kann mir nicht erklären, warum heutzutage so viele Leute wissenschaftsskeptisch sind. Natürlich hat jedes Medikament auch Nebenwirkungen: Alles, was man zu sich nimmt, kann sich auch negativ auswirken. Inklusive Alkohol (lacht), der wirkt auch nicht bei jedem gut!
Und es kommt auch nicht jeder an, der sich morgens ins Auto setzt um zur Arbeit zu fahren.
Peavy: Genau: Auch das ist ein riesiges Risiko. Ich finde das Risiko von Impfschäden im Vergleich zu den Schäden, die die Krankheit hervorruft, absolut vernachlässigbar. Bei uns in der Band sind seit Mai alle durchgeimpft; was mich natürlich ein bisschen erschrocken hat: Hast du den Blog von MACHINE HEAD gelesen? Die hatten mitsamt ihrer Crew einen Impfdurchbruch auf der Tour; da scheint die Delta-Variante ziemlich durchzuknallen. Hoffentlich gibt es dafür demnächst noch einen besser angepassten Impfstoff. Die hatten zwar alle nur leichte Erkältungssymptome, mussten aber die Tour natürlich abbrechen und hatten dadurch einen beträchtlichen wirtschaftlichen Ausfall; das ist augenblicklich das größte Risiko dabei. Man ist da ja irgendwie auch Unternehmer und investiert sehr viel Geld. Hier in Deutschland gibt es da glaub ich noch eine Art Ausfallzahlung, wenn auf Grund von Restriktionen irgendwas nicht wie geplant durchführbar ist, aber man tourt ja nicht nur in Deutschland und bleibt da ganz schnell auf riesigen Kosten sitzen. Wenn du für mehrere Wochen 'nen Bus gemietet hast und stehst dann auf einmal vier oder fünf Tage irgendwo rum, weil du nicht einreisen oder spielen darfst, dann lässt sich das einfach nicht durchziehen; dafür ist so eine Tournee zu knapp kalkuliert.
Gehen wir mal ein paar Monate zurück: Am 1. Mai letzten Jahres wurde auf Magenta Musik 360 in der Reihe "Daheim Dabei" ein Konzert von RAGE gesendet, bei dem Stefan schon als Gitarrist dabei war und Marcos von den Kanaren gegrüßt hat. Für einen Außenstehenden lag zwischen dem Streaming-Konzert und der Nachricht, dass Marcos die Band verlassen hat, gerade einmal eine Woche.
Marcos und Peavy auf dem Ruhrpott Metal Meeting 2016
Peavy: Marcos musste bereits im Januar aus privaten Gründen unverhofft auf die Kanaren, wo auch seine Mutter lebt, zurück ziehen und seinen Standort hier in Deutschland aufgeben und war dort auf Grund des großen Lockdowns für einige Monate regelrecht eingesperrt. Die Überlegung, Stefan zusätzlich zu Marcos in die Band zu holen, hatten wir bereits Ende 2019: Die beiden spielen ja auch in Marcos' zweiter Band DIOLEGACY zusammen, und nach der Tour zur "Wings Of Rage", von der wir im Februar immerhin noch drei Wochen spielen konnten, wollten wir Stefan dann dazu holen. Während Marcos dann festsaß, hatten Lucky und ich schon angefangen Stefan einzuproben, als wir das Angebot für dieses Konzert bekommen haben; dadurch konnten wir es überhaupt annehmen - ansonsten wäre das zu kurzfristig geworden. Bei der Aufzeichnung haben wir Marcos dann dazu geschaltet, damit den Leuten klar ist, dass er auch noch dabei ist, aber im April hat Marcos mir dann schweren Herzens gesagt, dass er nicht mehr weiter zur Verfügung stehen kann: Er würde es nicht mehr schaffen, und die Band auch nicht aufhalten wollen. Ich glaube, er ist der Unglücklichste von allen in der ganzen Situation, da er damit seinen Kindheitstraum hat begraben müssen. Manchmal hat das Leben eben andere Pläne, kann ich da nur sagen. Ostern hatte ich dann den Jean schon eingeladen, und kurz darauf haben wir uns mal miteinander beschnuppert, sozusagen. Dann haben wir ja direkt auch das Video zu 'The Price Of War' aufgenommen, damit die Leute eine Vorstellung davon bekommen, wie das jetzt klingt, und die neuen Leute schon mal sehen konnten. Wir wollten da nicht einfach mit 'nem Foto raus gehen: "So, das sind die Neuen", und Arschlecken.
Unter welchen Gesichtspunkten habt ihr euch für 'The Price Of War' entschieden?
Peavy: Spontan einfach: Die Nummer haben wir da gerade schon geübt, die gefiel allen, passte einfach gut. Ich fand ihn auch immer etwas unterbewertet: Wir haben 'The Price Of War' ja auch vorher immer schon mal im Liveset drin gehabt, und der war immer etwas untergegangen, weil es von dem nie 'ne Single oder ein Video gab. Von daher fand ich es ganz passend, den mal zu nehmen.
Bei eurem Auftritt auf dem Dong wart ihr also schon zu viert?
Peavy: Ja, ab da ist alles zu viert gewesen. Wir waren auf dem Dong, noch auf zwei weiteren Strandkorb und Auto-Dingern, dann gab es ja noch das "Wacken World Wide", und wir haben selber noch so ein Streaming-Teil mit Publikum im Oktober gemacht, und dann war ja ganz zu. Da haben wir in Essen in der Kreuzeskirche gespielt. Das war geil; davon müssten auch noch Teile irgendwo im Netz stehen, schätz ich mal. "Rage Around The World" hieß der ganze Spaß, weil es halt auch weltweit im Stream zu gucken war. Die Leute vom Turock haben die Kirche als Veranstaltungsort genehmigt bekommen, nachdem sie der Stadt Essen ein überzeugendes Hygiene-Konzept vorlegen konnten, und dann durften da ein paar Shows stattfinden. Nach uns waren noch weitere geplant, aber die konnten sie dann nicht mehr umsetzten.
Wie ihr auf Stefan gekommen seid hast du ja schon erzählt - woher kennt ihr den Jean?
Peavy: Mit dem haben wir auch schon mal ein paar Shows zusammen gespielt. Der hat ja auch noch zwei andere Bands: eine heißt ANGELINC, die kommen aus Duisburg, mit denen haben wir schon ein paar kleine Festivals gemacht und zusammen gefeiert, daher erinnerten wir uns an Jean. Ich wusste, er ist ein guter Gitarrist, ein netter Kerl und so, und dann hab ich ihn einfach angerufen und gefragt ob er Bock hätte, sich einzubringen, und da war er natürlich nicht abgeneigt (lacht). Das hat dann auch super gut mit Stefan gepasst. Das ist ja auch immer so ein Ding, zwei Gitarristen: wenn die sich nicht ab können oder in Ego-Gerangel verfallen, kannst du es meistens nach 'ner Weile vergessen. Aber die beiden arbeiten sehr harmonisch miteinander, sind beide sehr entspannt und haben auch nicht wie viele andere Gitarristen das Bedürfnis, sich in den Vordergrund drängeln zu müssen (lacht). Sie wissen auch beide, dass sie bei RAGE nicht die Hauptrolle spielen: Die Band ist halt um mich herum aufgebaut, das war von vornherein klar. Es haben aber ja alle ihre eigenen Bands und Projekte die sie weiterhin machen; Jean neben ANGELINC noch RAGE & RUINS, das ist so Metalcore-Zeug, auch nicht schlecht was die da machen, und Stefan spielt nebenbei noch bei SCANNER [und Lucky singt bei TRI STATE CORNER], so dass sich keiner beschweren muss, dass er kreativ nicht zu Potte kommt. Abgesehen davon können sie sich natürlich auch bei RAGE uneingeschränkt mit einbringen, solange es zum Stil passt, was ja auf "Resurrection Day" auch geschehen ist: Bei allen Songs ist auch immer jemand anderes beteiligt. Sogar der Lucky hat bei drei Nummern beigetragen, was er die ganze Jahre zuvor aus mir unerfindlichen Gründen nicht gemacht hat (lacht). Vielleicht hat ihn das jetzt alles so inspiriert? Wir haben uns auch wirklich jetzt zu viert hingesetzt, jeder 'ne Gitarre, und einfach los gejammt, in der Anfangsphase zumindest, wo man sich noch treffen konnte. Hat Spaß gemacht (lacht)!
Du sagst, man könne nicht jedem Gitarristen einen Partner an die Seite stellen: Das ist jetzt die dritte Phase für RAGE mit zwei Gitarristen [Peavy lacht jetzt schon]. Als damals das - ich nenn es jetzt mal "Black In Mind"-Lineup [mit Spiros Efthimiadis und Sven Fischer an den Gitarren] - auseinander gebrochen ist: Hattest du damals erst mal wieder Bock drauf, mit nur einem Gitarristen zu arbeiten, oder wie war damals die Entscheidungsfindung?
Peavy: Ich hätte auch als Quartett weiter gemacht, aber der Victor Smolski wollte keinen zweiten Gitarristen neben sich haben, um das mal so platt zu sagen. Was ich auch ok fand, da er ja auch ein wirklich herausragender Gitarrist ist, mit dem sich alles umsetzen ließ, und so hatte ich da dann auch kein Problem damit. Und dann hatte ich mich über die Jahre wieder so an die Trio-Geschichte gewöhnt, dass wir, als Marcos dazu kam, gar nicht drüber nachgedacht haben, noch einen zweiten Gitarristen dazu zu holen. Wir hatten dann ja auf einer Tour [Ende 2015] sogar das ganze "Black In Mind"-Album gespielt, und den Markus von TRI STATE CORNER als Gast-Gitarristen dabei.
RAGE mit Markus in Burscheid, Dezember 2015
Peavy: Ich weiß gar nicht, warum wir nicht bereits damals auf die Idee gekommen sind, jemanden fest dazu zu holen. Vermutlich waren wir da ein wenig betriebsblind. Aber 2019 kam uns dann die Idee, einfach weil es live so viel einfacher ist, die Sachen umzusetzen. Stefan und Jean haben jedenfalls viel Spaß an der Konstellation, und ich denke, man hört es dem Album auch an, dass das gefruchtet hat.
Das tut man in der Tat! Für 'Traveling Through Time' habt ihr erstmals ein klassisches Stück adaptiert, richtig?
Peavy: Ja und jein (lacht). Die Inspiration beruht auf einem klassischen Thema aus der Renaissance von Giorgio Mainerio, einem Italienischen Kirchenmusiker, der der Nachwelt einen Zyklus von schönen Renaissance-Tänzen hinterlassen hat, die im italienischen Umfeld quasi schon Folklore sind. Bei ganz vielen Mittelalter-Szenen in irgendwelchen Filmen tauchen diese Themen immer wieder auf. Das ist so DER Mittelalter-Sound, von der Harmonieführung, von den Melodien, von der Rhythmik. Ich hab mit neun Jahren angefangen, klassische Gitarre zu lernen, und kannte dieses Stück schon ewig. Ich hatte mir vor Jahren schon Gedanken darüber gemacht, wie man dazu singen könnte, die Idee aber wieder verworfen, weil es nicht zu RAGE zu passen schien. Bei einer unserer Zoom-Sessions letztes Jahr hab ich das ohne großen Hintergedanken einfach mal angespielt, und Jean gefiel es sehr gut. Also hab ich ihm die Ideen, die ich dazu hatte, durchgegeben, und zwei Tage später kam er mit 'nem Demo an. Allerdings hat er das rhythmisch ganz anders gesetzt, so dass es eben nicht mehr wirklich dem Original entspricht, obwohl es immer noch dieselben Harmonien, dieselben Akkorde und dieselbe Melodie sind. Das fand ich dann allerdings noch interessanter als das Original, eben weil es auch was Eigenes hat, besser geflossen ist, und so auch besser zu RAGE passt. Auf der Grundlage haben wir das weiter ausgebaut, und ganz am Schluss kam dann noch die Orchestrierung von Pepe Herrero dazu, mit der er das Stück eigentlich wieder zu seinem Ursprung zurückgeführt hat; und jetzt hat es fast schon etwas Kinosoundtrack-mäßiges (lacht).
Kinosoundtrack-mäßig ist vor allem auch das Intro: Das klingt für mich nach einem Film mit großen Segelschiffen.
Peavy: Das ist GANZ geil geworden! Das ist die Melodie von 'Resurrection Day', und die hat der Pepe dann richtig geil arrangiert - der geht durch alle Tonarten mit dem Ding, hat er wirklich ganz toll hingekriegt! Film mit großen Segelschiffen (lacht), ja genau! So was ähnliches hat meine Frau auch gesagt, als sie es das erste Mal gehört hat. Lustig!
Ihr habt einen sehr geilen Gitarrensound auf der Platte - ich muss sagen, dass ich die "Wings Of Rage" in der Beziehung etwas dünn fand.
Peavy: Das ist unserem Dani González geschuldet, unserem langjährigen Live-Mischer, bei dem auch das Schlagzeug aufgenommen wurde; der hat jetzt auch den Mix vom ganzen Album gemacht. Wir haben da relativ lang dran rum geschraubt, und er hat da einen tollen Job gemacht: Es klingt alles sehr transparent und trotzdem voll auf die Fresse. Den Sound der "Wings Of Rage" fand ich auch sehr gut, aber wenn man jetzt das andere Ding hört, merkt man doch den Unterschied (lacht).
Das Cover-Artwork hingegen finde ich ein bisschen zu bonbonfarben und überdreht, kann das sein?
Peavy: Das ist von demselben Künstler, der auch das Cover der "Wings Of Rage" gemacht hat, der Stan Decker aus Frankreich. Ich hatte ihm nur das Bild, das ich beim Titelsong vor Augen hatte, am Telefon geschildert, und ihm bei der Umsetzung dann völlig freie Hand gelassen, und dann kam dann das bei raus. Es waren alle in meinem Umfeld schwer begeistert; ich selber bin ja nicht so ein optischer Mensch, der richtig Ahnung von so was hat, und hab dann auch nicht versucht denen das auszureden (lacht). Ich find's gut, ich weiß nicht ob's passend ist, aber ich bin nicht der alleinige Diktator, der hier alles bestimmt, und wenn alle so begeistert sind, gerade bei so einem Thema, bei dem ich mir nicht so sicher bin, dann verlasse ich mich auch auf meine Berater. Viele finden das Cover gut, manche nicht so, aber das ist natürlich auch Geschmackssache. Wir hatten sonst immer ein bisschen düstere Sachen, diesmal ist es ein bisschen greller, weil es eben auch ein wenig exklusiver rüber kommt.
Mit 'Black Room' habt ihr eine Ballade auf dem Album, bei der es vermutlich um Corona geht, die von der Thematik her aber auch Parallelen zu 'Shine A Light' vom Vorgänger hat. Stichwort: "Ein Licht in der Dunkelheit".
Peavy: Bei 'Shine A Light' geht es eher um Empathie und Mitgefühl für andere, 'Black Room' ist hingegen eine Skizzierung der kollektiven Depression. Aber die Zeile "We light a candle in diesem dunklen Zimmer" ist eigentlich super alt. Der ganze Song ist eigentlich total alt, zumindest in der Urfassung; der ist aus der "Ghosts"-Session von 1999. Ich hab den immer mal wieder angebracht und nie haben wir die richtige Form dafür gefunden, aber dank Stefan haben wir den jetzt erstmals richtig umgesetzt. Ich hab ihm das Ding auf der klassischen Gitarre vorgespielt, und er kam dann relativ schnell mit den Ideen, die mir nicht eingefallen sind (lacht), und hat das dann wunderbar zusammengefügt. Ich bin ganz froh, dass das Stück nach 22 Jahren endlich mal das Licht der Öffentlichkeit gesehen hat. Ich hab den Text zwar umgeschrieben, aber einige der Zeilen, gerade im Refrain, sind tatsächlich noch von der Originalfassung von anno Dunnemals.
Da ihr gerade 'Traveling Through Time' gemacht habt, eine kleine Quizfrage: Wie viele RAGE-Songs mit "Time" oder "Times" im Titel gibt es mittlerweile?
Peavy:(lacht) Keine Ahnung, wahrscheinlich 'ne ganze Menge! Hat aber nix miteinander zu tun - ich mach mir keine Gedanken, wie oft ich welches Wort benutze. Vielleicht klingt es gut, vielleicht lässt es sich gut singen, aber jedenfalls gibt es keinen tieferen Sinn dahinter.
Jedenfalls könntet ihr inzwischen die halbe Setliste damit bestreiten: 'Time And Place', 'Time Waits For Noone', 'Shadow Out Of Time', 'All This Time', 'In A Nameless Time', 'Back In Time', 'Times Of Darkness' und 'Time Will Tell'
Peavy: Das ist aber sehr nerdig jetzt (lacht)! Aber ich möchte nicht wissen, wie viele Titel irgendwie "You" oder "Darkness" drin haben (lacht).
Mit "Darkness" kommen wir wahrscheinlich auch weit, da kannst du dann die andere Hälfte der Setlist mit füllen! Ihr habt eine ganze Reihe von Konzerten und Festivals anstehen: Im September zum Beispiel das "Bullhead City" in Wacken und das "Rock Hard One Day".
Peavy: Und ich glaub auch noch mehr: Da sind noch einige Dinge, die wir noch gar nicht angekündigt haben, weil sie immer noch ein bisschen in den Sternen stehen. Noch ist ja "Full Metal Holiday" zumindest theoretisch angedacht (lacht)[wurde inzwischen auf 2022 verschoben], dann gibt es auch noch so 'ne Cruise auf dem Bodensee, wo ich hoffe, dass das was wird, aber man weiß das alles nicht. Beim "Bullhead City" scheint es sich um eine Testveranstaltung zu handeln, bei der auch von staatlicher Seite beobachtet wird, ob so was funktioniert. Das wär für uns natürlich super, wenn das klappen würde: Genau am Veröffentlichungstag, besser geht's nicht! Da wäre ich schon sehr traurig, wenn das nicht stattfinden kann. Beim Rock Hard bin ich sehr zuversichtlich, dass das hinhaut. Mal sehen: Vielleicht haben unsere Politiker da aber auch mal ein Einsehen, und richten ihre Entscheidungen nicht mehr nur an der reinen Tages-Inzidenz aus.
Die Fußball-Stadien sind ja auch irgendwie voll ...
Peavy: Ja klar, die machen ja auch immer ordentlich Druck, und da gibt's richtig Kohle hinter, da wird geschmiert ohne Ende; das Problem ist ja bei bei der Musikbranche, dass da einfach keine wirkliche Lobby hinter steht, und die Branche auch kein Sprachrohr in dem Sinne hat. Das ist ja traditionell eine Branche von tausenden von Einzelkämpfern, die irgendwie alle ihr eigenes Ding durchgezogen haben, deswegen fällt das immer so ein bisschen hinten runter. Hast du das Editorial vom Holger Stratmann im letzten Rock Hard gelesen? Was die Lokalpolitiker bei der Absage vom Party.san für Gründe angeführt haben, warum andere Kulturveranstaltungen stattfinden können, aber Metal und Rock-Konzerte nicht? Die Begründungen dafür sind so lächerlich: Weil die Leute lautstark mitsingen und keine Abstände einhalten. Das hätte die Stasi wirklich nicht besser formulieren können, so schreibt es auch der Holger, und bringt es damit ziemlich gut auf den Punkt. Viele lokale Politiker haben vielleicht auch Ressentiments gegen Metal-Konzerte und verstehen diese Szene nicht, während andere Dinge wie Sportveranstaltungen da leichter durchkommen. Sad but true (lacht).
RAGE 2021: Lucky, Jean, Peavy und Stefan
Eure eigene Tour startet dann im November, mit BONDED als Support.
Peavy: Wir haben drei Parts mit verschiedenen Vorbands: BONDED hauptsächlich für die deutschen Konzerte, LAST DAYS OF EDEN, die Band von unserem Mischer Dani González, und die dritte hab ich gerade nicht auf dem Schirm. Ich hoffe, dass die Konzerte ohne große Restriktionen über die Bühne gehen können, denn wenn die Zuschauerzahlen durch irgendwelche Abstandsregeln begrenzt werden, knicken uns die örtlichen Veranstalter weg. Also Daumen drücken und zum Impfen gehen (lacht)! Und ansonsten haben wir natürlich einen Plan B: dann wird das alles auf Mai verschoben, Lucky hat sich da schon die entsprechenden Termine geblockt. Also wer sich schon Tickets gekauft hat wird nicht leer ausgehen: Da wird es keinen Ärger geben, das kann ich garantieren!
Was hältst du eigentlich davon, dass eure Plattenfirma von Napalm Records gekauft worden ist?
Peavy: Erst waren wir so ein bisschen erschrocken, aber dadurch, dass SPV komplett freie Hand hat und autark weiter arbeiten kann, mach ich mir inzwischen keine wirklichen Sorgen mehr. Bei unserem Wechsel zu SPV ging es mir darum, dass ich mit jemandem arbeite, dem ich vertraue - bei SPV ist das der [Produktmanager] Olly Hahn. Dem vertrau ich da absolut blind und weiß, dass der einen super Job für uns macht und dass er absolut hinter uns steht. So wie das vorher bei Nuclear Blast der [damalige A&R-Chef] Andy Siry war, der ja dann leider gegangen ist. Die Plattenfirmen nehmen sich da nicht viel, was Promotion und Vertrieb angeht, aber man arbeitet da ja schlussendlich mit Menschen zusammen, und das war der ausschlaggebende Grund: mit Leuten zu arbeiten, denen ich vertraue. Der Wechsel von SPV zu Nuclear Blast damals war dadurch bedingt, dass SPV damals den Bach runter gegangen ist und nicht absehbar war, ob die Firma noch weiter existiert. In dieser Situation hab ich natürlich zuerst mal ans Wohl der Band gedacht, was der Olly auch nicht persönlich genommen hat. Und als vor zwei oder drei Jahren bei Nuclear Blast das Chaos ausgebrochen ist, weil sie von Believe gekauft wurden, und unser Plattenvertrag eh gerade ausgelaufen war, haben SPV und Olly, die sich inzwischen wieder sehr gut aufgestellt hatten, das beste Angebot unterbreitet. Und auch [Nuclear Blast-Gründer] Markus Staiger hat uns versichert, dass die Tür für uns immer offen steht.
Ich hatte dass eigentlich so verstanden, als hätten sich Nuclear Blast kaufen lassen, um einen starken Finanzpartner zu haben, ohne in finanziellen Schwierigkeiten gewesen zu sein.
Peavy: Waren sie wohl auch nicht, aber der Markus hat im Grunde das ganze Ding erst mal verkauft. Und da Believe ihren Sitz in Hamburg haben, und es eine Zeit lang im Raum stand, den Standort Donzdorf komplett aufzugeben, hat sich da am Personal schon einiges geändert. Und der Markus hat dann mit ein paar Bands, die er mit rüber geholt hat, jetzt sein neues Nuclear Blast gegründet: Die jetzige Nuclear Blast Tonträger GmbH, im Vertrieb von Rough Trade, bei denen jetzt auch die neue HELLOWEEN erschienen ist, hat ja nichts mehr direkt mit der früheren Firma zu tun, die den ganzen Backkatalog verwaltet und zu Believe gehört. Und der Andy arbeitet derweil wohl fulltime als Manager von POWERWOLF.
Hm, interessant! Und davon, dass Napalm jetzt hinter SPV stehen, habt ihr noch nichts mitbekommen?
Peavy: Nee, die haben sich da noch überhaupt nicht eingemischt. Ich war noch nie bei Napalm, aber ich kenn ja den [Napalm-Geschäftsführer] Thomas Caser von seiner Band VISIONS OF ATLANTIS, bei denen er Schlagzeug spielt. Mit denen sind wir mal in Korea getourt, da hab ich ihn kennen gelernt. Da hat er aber glaub ich noch nicht Napalm gemacht, das ist schon ewig her.
Ich frag auch deswegen, weil ich es ein bisschen Kacke fand, dass das Vinyl von "Resurrection Day" bei einer Spielzeit von gerade mal 50 Minuten als 2LP rauskommt, und dadurch preislich bei knapp 30€ liegt.
Peavy: Die Vermarktung unseres Albums obliegt leider nicht mir persönlich, da hab ich auch relativ wenig Mitspracherecht. Wir könnten jetzt natürlich auf die Barrikaden gehen, aber schlussendlich haben die Firmen halt ihre üblichen Methoden, wie sie so was vermarkten, und da stoßen wir dann halt auch schnell an unsere Grenzen. Ich bin froh, dass wir 'ne Vinyl haben, aber die Frage, wie genau die dann umgesetzt wird, geben wir ab. Wie lang ist das Album? Hab ich mir gar nicht so gemerkt, 50 Minuten?
50 Minuten und ein paar gequetschte Sekunden.
Peavy: Ich hatte immer noch die Spielzeit mit allen Stücken die wir gemacht hatten im Kopf, das war deutlich mehr (lacht). Wir haben da was raus genommen, und die übrigen Stücke werden wahrscheinlich nächstes Jahr auf einer EP erscheinen. Das ist alles noch nicht zu 100 Prozent geklärt, aber die werden wir natürlich auch noch bringen. Und dann gibt's da noch ganz viele Sachen, die bisher noch nicht mal ein Demo geworden sind, aber die auch schon im Raum stehen. An Ideen hapert es wirklich nicht (lacht)!
Apropos Ideen: 2024 ist mal wieder Jubiläumsjahr bei euch, das geht ja ganz schnell jetzt. Ihr hattet zu den vorhergehenden immer eine Veröffentlichung gemacht: "X Years in Rage", "From The Cradle To The Stage" zum 20., "The Soundchaser Archives" zum 30. Schon was im Hinterkopf, was zum 40. ansteht?
Peavy: Ich würde gerne ein richtiges Doppelalbum machen, zwei Alben, ich weiß noch nicht ob wir die zusammen machen oder getrennt, aber in dem Jahr zwei Alben machen, die auch thematisch ein bisschen unterschiedlich sind, und ich schreibe noch an der RAGE-History, an der Geschichte der Band. SPV haben schon direkt gesagt sie wollen es dann auch raus bringen, aber da hab ich noch etwas dran zu schreiben - bis 2015 hab ich's schon geschafft (lacht). Es gibt haufenweise Material, aber natürlich ist das nur die absolute Rohfassung, da muss ich dann noch mal irgend 'nen Profi dran lassen.
Hast du da auch Statements von Ehemaligen für eingeholt, oder hast du das noch vor?
Peavy: Soll alles noch kommen. Ich will auf jeden Fall schön allumfassend alles bringen, was irgendwie von Interesse ist. Aber das ist jetzt noch die Frühphase, deshalb kann ich noch nicht genau sagen, wie es dann ausfällt. Außerdem hoffe ich, dass es davon dann auch ein Hörbuch gibt, aber ich denke mal, dass SPV da auch für sind (lacht).
Da bin ich auf jeden Fall schon mal gespannt! Peavy: Vielen Dank für das Interview, du hast das letzte Wort an unsere Leser!
Peavy: Vielen, vielen Dank für Eure Unterstützung auch in den blöden Zeiten jetzt, für den vielen Support den wir erfahren, von Leuten die uns dann auch T-Shirts und so 'nen Kram abgekauft haben, was jetzt auch echt geholfen hat in dieser einkommensschwachen Zeit. Danke dafür, danke überhaupt für die Treue der Fans, und wir alle hoffen, dass wir möglichst viele von euch bald wieder bei richtigen Konzerten sehen können. Da träumen wir jetzt bald schon von (lacht). War doch 'ne recht lange Zeit ohne.