Interview mit Karl von Memoriam

Ein Interview von Eddieson vom 19.03.2021 (29314 mal gelesen)
Es ist immer ein Vergnügen mit Karl zu sprechen. So nutze ich natürlich die Möglichkeit, ihm zum kommenden MEMORIAM-Album "To The End" freien Lauf zu lassen, damit er mir alles Mögliche dazu zu erzählen kann. Von Artwork-Konzept über Pre-Production bis zu den nächsten Alben ist somit alles dabei.

Hi Karl, lass uns kurz über die aktuelle Covid-19-Situation in England sprechen. Wie sieht es da bei euch aus?

Karl: Die was? Was meinst? Covid-19? Nie gehört. [lacht] So was bekommen wir hier auf unseren kleinen Brexit-Inseln nicht. [lacht weiter] Naja, was soll ich sagen? Es ist eine verdammt schwierige Situation, die viel Verwüstung hinter sich lässt. Sowohl bei den vielen verschiedenen Leuten als auch global gesehen natürlich. Das letzte Jahr ist für uns sehr erfolgreich gestartet. Nach dem Erfolg des letzten Albums hatten wir eine Menge Konzerte gebucht, die wir gerne gespielt hätten. Wir hatten Shows in London, in Dänemark im März - und eine Woche nachdem wir die gespielt hatten wurde das Leben, wie wir es kennen, komplett runtergefahren und so ist es heute noch. Eine sehr herausfordernde Zeit für jeden von uns. Wir gehen ja nicht mehr für eine längere Zeit auf Tour, aber wir spielen eigentlich jedes Wochenende irgendwo zwei bis drei Shows. Und das nun nicht mehr zu können, ist natürlich schwer für uns. Die ganzen Konzerte wurden dann verschoben vom letzten Jahr auf dieses Jahr. Das Impfprogramm hier in England läuft an und damit gibt es dann natürlich auch ein Licht am Ende des Tunnels. Hier gehen alle davon aus, dass es gegen Ende des Sommers wieder einigermaßen normal mit Konzerten und so weiter losgehen kann. Aber, wer weiß was da noch alles kommt. Wir haben schon einige Konzerte gebucht und hoffen vor allem, dass die klappen. Ja, es sind schwierige Zeiten, aber was sollen wir machen? Wir müssen einfach abwarten und schauen, was passiert. Wir sind alle Menschen und werden irgendwie mit der Situation umgehen können. Aber, und das darf man auch nicht vergessen, es hat auch was Gutes. Wir haben dadurch eine Menge Zeit gewonnen, um uns vorzubereiten und eine Pre-Produktion zu machen. Normalerweise läuft es ja so, dass man eine Menge Konzerte spielt, dann stoppt das alles kurz, das neue Album wird gemacht und schon geht es wieder los mit Konzerten. Aber diesmal hatten wir sechs Monate Zeit um uns vorzubereiten. So was hatten wir noch nie. Jetzt hatte ich plötzlich Monate Zeit, um die Texte zu schreiben - normalerweise habe ich drei Wochen. Oder ich schreibe die Texte, während im Studio schon aufgenommen wird. Kommt auch nicht selten vor, aber diesmal hatte ich wesentlich mehr Zeit dafür. Ich hatte also die Möglichkeit, mehrere Versionen von Texten zu entwerfen. Ich konnte sogar ins Studio gehen und ein Demo aufnehmen, was ich vorher noch nie gemacht habe. Ich habe noch nie ein Vocal-Demo aufgenommen. Ich konnte also verschiedene Sachen ausprobieren. Als wir dann im Oktober ins Studio gegangen sind lief es natürlich alles viel besser, eben weil wir genau wussten, was und wie wir es haben wollten. Also, so anstrengend und blöd diese Zeit auch gerade ist, wir haben darin ein großartiges Album geschrieben und das ist etwas sehr Positives, was man daraus ziehen kann.

Dem kann ich mich nur anschließen. Das Album ist wirklich großartig geworden.

Karl: Das ist ein völlig natürlicher Prozess. Es benötigt immer einige Alben, bis man sich als Band komplett aufeinander eingespielt hat und eine eigene Identität gefunden hat. Wir hatten natürlich auch viel Druck von außen. Alle wissen wer wir sind, wo wir herkommen, da sind die Erwartungen der Leute draußen natürlich extrem hoch. Für die einen sind wir nicht nah genug an den Bands, in denen wir vorher gespielt haben, für die anderen sind wir viel zu nah an den Bands, in denen wir gespielt haben. Aber wir haben versucht dies zu vermeiden, wir haben versucht unsere eigene Identität zu erspielen, unser eigenes Ding zu machen. Manchmal funktioniert das, manchmal eben auch nicht. Ich denke, mit unserem letzten Album "Requiem Of Mankind" haben wir letztendlich gefunden, wer wir sind. Das sind MEMORIAM. Ich glaube, der fehlende Schlüssel war die Produktion im Studio und mit Russ Russel haben wir die fehlende Verbindung gefunden. Auf dem letzten Album haben wir also die Formel für uns gefunden. Wir hätten nun natürlich wieder ins Studio gehen können und einfach alles noch mal genau so wiederholen, aber wir mögen es, neue Dinge zu probieren, kreativ zu sein. So haben wir zwar auf dem letzten Album aufgebaut, aber auch neue Sachen probiert, die Grenzen etwas verschoben und so ist das Album vielfältiger geworden - und das ist der Schlüssel. Vielfältigkeit. Da sind eine Menge stilistisch unterschiedliche Songs auf dem Album, die wir so noch nicht hatten. Es ist so ein bisschen wie eine Reise, die einen in verschiedene Richtungen führt. imgright

Da bin ich voll und ganz bei dir. Auf "To The End" haben es mir vor allem zwei dieser außergewöhnlichen Songs angetan. 'Mass Psychosis' und 'As My Heart Grows Cold'.

Karl: Oh ja, vor allem 'Mass Psychosis' hat ja einen starken Industrial-Charme und ist ja dadurch komplett anders als das, was wir sonst immer gemacht haben. Der Song wurde sehr von KILLING JOKE beeinflusst, die übrigens einer meiner absoluten Lieblingsbands ist. Scott weiß das natürlich und hat extra so einen Song geschrieben. Auch der abschließende Song, 'As My Heart Grows Cold', welches mein Lieblingssong ist, ist völlig anders geworden. Der Song ist episch, leicht melancholisch und das habe ich vorher noch nie gemacht. Textlich handelt er von den Erfahrungen, die man so im Leben macht und bildet als Ganzes ein sehr starkes Ende für das Album. Ich finde aber auch, 'Each Step (One Closer To The Grave)' ist komplett neu. Das ist ja schon ein Doom-Song. Man sieht also, es gibt viel zu entdecken und das macht es zu dem Album, welches es nun geworden ist.

Korrigier mich, wenn ich da falsch liege, aber "To The End" ist der erste Teil einer neuen Trilogie.

Karl: Da liegst du völlig richtig. Schon auf den ersten drei Alben hatten wir ja im Artwork ein Konzept. Die von Dan Seagrave erstellten Cover haben eine Geschichte erzählt. Das Konzept der Band ist ja aus der Dunkelheit entstanden. Durch den Verlust von Martin "Kiddie" Kearns wurde die Band ja erst gegründet, um eben mit diesem Verlust umzugehen. Die ersten drei Album handelten also davon, mit Trauer und Leid umzugehen, sie sind also sehr düster. Artworkmäßig ist der Sarg eine zentrale Sache auf allen drei Alben. Auf dem ersten Album wird er getragen, auf dem zweiten Album liegt er dann auf diesem Sockel und beim letzten Album wird er in die Erde gelassen. Diese Alben handeln somit vom Tod. Das ist ja jetzt nicht außergewöhnlich für eine Death Metal-Band. Aber so sind wir auch schon am Ende angekomen und wir dachten darüber nach, wie es mit der Geschichte weitergehen kann. So bin ich dann dazu gekommen, das Leben der Figur zu beschreiben, die auf den ersten Alben in dem Sarg liegt. Auf dem neuen Album sieht man diese zentrale Figur also noch am leben und wie er eine glühende Kugel bei sich hat, die das Leben symbolisiert - und auch das Leuchten im Hintergrund steht für die Hoffnung auf eine Zukunft. Damit treten wir also ein in die neue Trilogie, welche ein Prequel zu der vorherigen Trilogie ist und den Kreislauf des Lebens beschreibt. Diese Szene hier auf dem neuen Cover zeigt also die Szenerie vor dem "For The Fallen"-Cover, wo der Sarg dann getragen wird. Hier führt der Hauptcharakter seine Armee in den letzten Krieg. Auf den nächsten Coveralben gehen wir dann weiter zurück, um das Leben des Hauptcharakters weiter zu entdecken. Es ist also noch Leben in MEMORIAM und in den nächsten zwei bis drei Jahren werden wir dies weiter fortsetzen und den Hauptcharakter noch etwas näher kennenlernen.

Wow, das klingt fantastisch. Diese Idee des Coverkonzepts finde ich wirklich großartig.

Karl: Yeah. Dan Seagrave und seine Arbeit an den letzten drei Alben ist natürlich der Schlüssel dafür gewesen. Natürlich haben wir darüber nachgedacht mit einem anderen Künstler zu arbeiten, aber würde dieser diesen Standard halten können? Wir wollten sichergehen, den Standard und den Flow für MEMORIAM zu behalten und so haben wir mit Dan weitergearbeitet und darüber sind wir sehr glücklich. Ich habe ihm erst im August oder September von meiner Idee erzählt, Kreislauf des Lebens, Album-Trilogie und so weiter, Dan hatte sechs Wochen Zeit. Er ist ein vielbeschäftigter Mann - aber schau, was er aus der Idee in der kurzen Zeit gemacht hat. Auch er ist sehr froh darüber in diesen Prozess involviert zu sein, ein Teil davon zu sein, so kann er seiner Kreativität freien Lauf lassen.

Ich bin echt begeistert von dieser Idee und natürlich von der Umsetzung von Dan. Ich bin gespannt auf die nächsten Cover.

Karl: Wir können mit keinem anderen Künstler mehr arbeiten. Dan ist für immer an uns gebunden. [lacht

Wie weit sind denn die kommenden Alben? Sind einige Songs schon fertig? Die Texte im Kopf schon geschrieben oder wie weit seid ihr?

Karl: Also, wir wissen auf jeden Fall wo es hingehen soll. Konkrete Pläne haben wir aber noch nicht. "To The End" ist ja noch nicht mal veröffentlicht. Die Ideen sind da, Scott hat auch schon einige Riffs in Petto, aber die hat er immer irgendwo. Wir nennen ihn auch den Million-Dollar-Riff-Mann. Er schreibt immer irgendwelche Sachen. Ich denke, in den nächsten 12 Monaten werden wir dann das zweite Album der Trilogie haben. Wir wollen diesen Flow gerne aufrechterhalten. Wir sind uns alle bewusst, dass wir älter werden, das Leben kurz ist und wir das nicht für immer machen können. Wir wollen so viel erreichen wie uns möglich ist und dabei natürlich nicht den Spaß an der Sache verlieren. Das ist der Schlüssel. Es ist schön zu sehen, dass die Leute das mögen, was wir machen. Aber das Wichtigste ist, dass wir das für uns machen und eine schöne Zeit haben. Darum sollte es gehen, in jeder Band. Egal, ob ihr jede Woche ein Demo aufnehmt, wenn es euch Spaß macht, dann macht es weiter so. Das ist der Schlüssel.

Im Vorfeld hast du gesagt, dass du keine Fragen über BOLT THROWER beantworten willst und das respektiere ich natürlich. Der Split mit BOLT THROWER ist nun auch schon fünf Jahre her und die Zeit ist gekommen, MEMORIAM aus dem Schatten von BOLT THROWER und BENEDICTION herauszustellen. Glaubst du, dass das möglich ist?

Karl: Diese Verbindung wird immer da sein. Die Leute werden uns immer irgendwie mit unseren vorherigen Bands vergleichen, das ist unser Erbe. Ich bin ja auch nicht beschämt darüber, was wir in unserer Vergangenheit erreicht haben, aber es ist schon etwas irritierend wenn wir das immer wieder hören. In den letzten fünf Jahren haben wir hart gearbeitet uns selbst zu entwickeln und als eigenständige Band gesehen zu werden, das versuchen wir weiter mit MEMORIAM. Die Zeit ist halt jetzt uns darauf zu fokussieren. Die Vergangenheit ist vorüber, die Zeit ist jetzt und wir schauen in die Zukunft - und darum geht es uns. imgleft

Okay. Ich habe mich heute mal etwas in eurem BigCartel-Shop umgesehen und bin auf diese hübschen Batik-Shirts mit dem Panzer-Aufdruck gestoßen.

Karl: Ja, auch daran ist Covid-19 schuld. Geschuldet ist das alles einem Projekt meiner kleinen Tochter Victoria, sie ist acht Jahre. Wir haben uns einige Dinge letzten Sommer überlegt, die wir mit ihr machen können, damit es nicht langweilig wird. Da kam dann auch das Batiken von Shirts bei raus. Und aus einem Spaß heraus habe ich ein paar wenige für die Band an einem Wochenende gemacht, hab es dann auch auf Facebook und Twitter gepostet und darauf folgte ein so positives Feedback, dass es nun etwas kommerzieller geworden ist. Aber jetzt ist langsam Schluss damit, ich kann nicht die ganze Zeit Shirts batiken. Das Schöne daran ist aber, dass nicht alle Shirts gleich sind, sondern jedes Shirt hat seine eigene Individualität. Man hat ja keinen Einfluss darauf, wie das Shirt am Ende aussieht. Es ist aber auch ein schöner und kreativer Prozess, den ich auch gerne mit meinen Kindern mache, der mich aber auch gut auf Trab hält. Die Leute scheinen es zu mögen und es ist ja nun mal auch ein bisschen anders als die üblichen Standard-Death Metal-Shirts.

In unserem letzten Interview, welches ungefähr zwei Jahre her ist, hast du mir von eurem TROIKADON-Projekt erzählt und wie weit ihr damit seid. Nun sind zwei Jahre vergangen, wie weit seid ihr jetzt damit?

Karl: Wir sind exakt genau so weit. [lacht] Das Problem ist, dass Kam ziemlich beschäftigt ist mit seinen verschiedenen Projekten und natürlich MASSACRE, Dave hat natürlich mit BENEDICTION viel zu tun, gerade weil auch das letzte Album so überaus gut angekommen ist und ich habe ja mit MEMORIAM auch ein wenig um die Ohren. Es ist also unheimlich schwierig uns alle unter einen Hut zu bekommen. Covid-19 macht die Sache natürlich auch nicht einfacher, aber irgendwann wird es weitergehen, nur keiner weiß genau wann.

Karl, du hast mir viel erzählt und uns eine Menge Infos zum kommenden Album gegeben, vielen Dank dafür.

Karl: Es ist mir immer ein großes Vergnügen mit dir zu sprechen und hoffen wir, dass diese Covid-19-Situation bald Geschichte ist, wir uns face-to-face treffen und ein Bier zusammen trinken können. Ich danke dir und deinem Fanzine für das Interview und die Unterstützung von MEMORIAM.

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