Ein Artikel von Opa Steve vom 20.07.2019 (27459 mal gelesen)
Beim Durchstöbern unserer Ticketsammlung ist mir aufgefallen, dass ich zu einigen Konzis doch noch ganz bizarre Detailerinnerungen habe. Bei anderen wiederum wusste ich gar nicht mehr, dass ich überhaupt da war. Also dachte ich mir, dass ich ein paar Erinnerungen mal mit euch hier teile ??. Vielleicht outen sich ja noch ein paar andere alte Säcke als damalige Mitbesucher ??. Den Start macht ein Gig, der gar nicht mal zu meinen ältesten gehört. Aber es ist angesichts der Entwicklung von Blind Guardian schon eine nette Erinnerung, dass auch sie sich mal in Jugendzentren kleiner Käffer ihren Ruf erspielen mussten. Ich saß übrigens auf dem Morgenklo vor der Berufsschule, als ich beim Blättern im regionalen Ankündigungsblatt vom Gig erfuhr, und fiel fast von der Schüssel (bizarre Detailerinnerungen, ich habe nicht zuviel versprochen). Die JBS "Strandgut" war unter kirchlicher Leitung und wurde von vielen Ehrenamtlichen betrieben, die von Konzertmanagement eigentlich keinen Plan hatten. Und ich werde nie vergessen, dass der Pastor den Saal betrat, als Blind Guardian mit dem "Inquisition"-Intro loslegten. Im Publikum waren auch extrem viele "Normalos", weil in Boppard endlich mal was los war. Royal Oak im Vorprogramm waren damals übrigens regional sehr aktiv und man dachte irgendwie, dass sie mal weiterkommen würden. Irgendwie hat es sich dann verlaufen. Ich weiß aber noch, dass ich den Gitarristen wegen seiner B.C. Rich-Klampfe damals beneidete. Von den restlichen Bands hab ich keinen blassen Schimmer mehr.
Dieses mal eine Band, die in der Koblenzer Region bis heute bei vielen Metalheads in positiver Erinnerung ist, nämlich PYRACANDA. Nach wenigen Jahren und zwei Releases (die übrigens im März 2019 kurz vor der bekanntgegebenen Reunion nochmal veröffentlicht wurden) war's das auch schon und ein Teil von PYRACANDA ging in ILEX auf und Gitarrist Sven Fischer wechselte zu RAGE. Wann genau dieser Gig war, kann ich leider nicht mehr sagen, aber was man heute als formidablen "JUZ-Liveclub Andernach" überregional kennt, war zu Beginn der 90er noch ein besseres Wohnzimmer in der Innenstadt. Die Getränkepreise waren unglaublich günstig, die Stimmung familiär. Ein Kollege überredete mich damals, unbedingt zu diesem Gig mitzukommen, da er die Jungs noch von der Schule kannte. PYRACANDA beeindruckten durch ein tightes Set und überraschten mit einer MADONNA-Coverversion von 'La Isla Bonita', welches als Thrash-Granate eine absolut gute Figur machte. Hansi Nefen bewies trotz des eingeschränkten Platzes sportliche Frontmann-Qualitäten. Ich hatte die Band nach diesem überzeugenden Gig noch 2-3 mal gesehen und es hätte gut was Größeres draus werden können.
Ein Abend wie ein Iron Man Wettbewerb. 10 Jahre Nuclear Blast, das war natürlich noch nicht mit den Nuclear Blast von heute zu verwechseln. Gehobenes Co-Headliner-Niveau würde man in heutigen Relationen sagen, denn IN FLAMES hatten seinerzeit gerade erste Achtungserfolge mit der "The Jester Race". Was mit "Clayman" und der "Reroute To Remain" danach noch starten würde, konnte an diesem Abend noch niemand absehen. DIMMU BORGIR hatten gerade den Mainstream-Durchbruch mit "Enthrone Darkness Triumphant" und CREMATORY als Headliner wirken aus heutiger Sicht auch eher nostalgisch. Aber warum blieb mir dieser Abend so in Erinnerung? Weil es heiß war. Nicht nur heiß, sondern so richtig heiß. Draußen knallte der Hochsommer. Das Bürgerhaus Stollwerk liegt zudem sehr parkunfreundlich und wir bummelten diverse Hinterstraßen ab und parkten schlussendlich illegal und trotzdem weit weg. Und im Bürgerhaus war es noch heißer. Die Hütte war rappelvoll bis in den Eingangsbereich und auf der Empore drängten sich die Besucher. Man zog aus, was irgendwie ging (zur Freude der meisten anwesenden Männer), und der Höhepunkt war, als Shagrath tatsächlich in stilechtem Bühnenoutfit inkl. Ledermantel seinen Gig durchzog. Das war schon selbstverletzend, und nach dem Gig ist er backstage tatsächlich erst mal kollabiert. Von CRACK UP ist mir noch mehr im Gedächtnis als von IN FLAMES, obwohl ich zu "Clayman"-Zeiten später ein großer Fan der Band wurde - interessant, wie die Aufmerksamkeit damals justiert war. DIMMU BORGIR waren unter den gegebenen Umständen echt noch spitze, und von CREMATORY weiß ich auch nur noch, dass wir nach ein paar Songs schon gefahren sind.
Auch ein Konzert, welches ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Aktuell im Wehrdienst war ich stolz wir Bolle, einen Gebrauchten mein Eigen zu nennen, der mich täglich zur Kaserne brachte. Ja, liebe junge Leute, das war nicht wie heute, wo man nach dem Abi einen schicken Kleinwagen nebst albernem Aufkleber fährt und TROTZDEM noch Geld für 'ne Smartphone-Flat und Netflix übrig hat. Mit Jobs und meinem kompletten Ersparten war das zäh erarbeitet, und mit dem Wehrsold kam ich gerade über die Runden. Aber ich hatte eine Karre und genoss den irren Luxus, damit nicht nur zur Kaserne zu fahren, sondern auch mal zu TANKARD. Warum ich die ganze Zeit über dieses Auto schreibe, wird unten noch aufgelöst. Nebenbei war das die Zeit vor Internet, PCs oder gar Navis. So eine Reise nach Bonn war schon ein Abenteuer. Bonn war noch Bundeshauptstadt und brummte. Die Route in entfernteren Städten hat man sich am örtlichen Buchladen grob aufgrund Faltplänen eingeprägt - unvorstellbar, und jede Fahrt war ein Abenteuer. Daher waren wir froh, schon in einem Industriegebiet auf einen Headbanger zu treffen. Wir tauften ihn spontan "Asterix", weil er genauso aussah. Die Richtung musste aber stimmen, und wir kamen stolz an der Halle an. Support waren DEATHROW und zeigten den geschätzten 200 Besuchern, dass dieser Abend laut werden wird. Verdammt laut! Der ganze Abend war ein Fest, und TANKARD setzten noch einen drauf. Sie waren so unglaublich laut, dass es auf der gleichen Tour später zu mehreren Hörstürzen im Publikum kam und die Band wohl auch wegen Körperverletzung verklagt wurde. Egal, wir moshten und hatten den Spaß des Jahres. Das Unglück nahm dann nach dem Konzert seinen Lauf. Erst sprang die Kiste (Vergaser) wegen der feuchtkalten Nacht nicht an und ich öttelte fast die Batterie leer. Dann schafften wir die Hälfte der Strecke, und auf der A61 gab es durch ein umgestürztes Wohnmobil eine Kettenreaktion und ich rauschte ungebremst in den Golf vor mir. Zweimal Totalschaden. Bei allen vier Insassen zum Glück keine ernsten Verletzungen. Nun stand ich da, Karre zersägt, echter Lohn noch Monate entfernt. Shit happens. Das war das erste und letzte Konzert 1989. Kleine Anekdote am Rand: An der Unfallstelle hielt ein schickes Auto mit netter Fahrerin, die ihre Hilfe anbot. Sie hatte nämlich so was Luxuriöses wie ein Autotelefon, über das wir Polizei unsere Familien erreichen konnten. Später stellte sich heraus, dass es sich dabei um Gudrun Landgrebe handelte. Gudrun, wir waren damals zu sehr durch den Wind, um noch Danke zu sagen. Hole ich hiermit nach 30 Jahren nach.
Das hier war zwar nicht mein erstes Konzert, ist aber das älteste Ticket, welches ich heute noch besitze. Da latscht man als 17-Jähriger mit Freunden durch ein Kaff namens Boppard, und am Bahnhof sehen unsere müden Augen plötzlich was von METALLICA und VENOM. Wir gehen näher ran und können es kaum glauben. WARLOCK, SAVAGE GRACE, RUNNING WILD waren alles Helden des aufstrebenden Metals, und das fast vor der Haustüre, auf dem vermutlich legendärsten und geilsten Open-Air-Gelände Deutschlands: der Loreley. Also Tickets geordert, bei Eltern die nächtliche Abholung klargemacht, und früh morgens in den Zug. Dafür konnte man mal zwei Stunden Mathe blau machen (ja, Samstags war damals noch Schule - meine Entschuldigung lautete später "Ohrenschmerzen"). Auf dem Fußweg zum Gelände bewunderte ich zum ersten Mal die Massen an Alkoholleichen, die schon um 9 Uhr morgens neben leeren Kanistern im Gebüsch lagen. Auch waren mitten im Kalten Krieg Unmengen amerikanischer Soldaten im Hunsrück und Westerwald stationiert, weswegen man sehr oft Englisch beim Einlassgedränge hörte. Die 80er waren spürbar wilder und aggressiver im ganzen Habitus, aber auf dem Gelände wurde es dann total entspannend und einer der geilsten Tage meines Lebens. Die bekloppten Bailey Brothers machten Umbauanimation als DJ und mit Luftgitarre bewaffnet. Doro Pesch war noch nicht die Grande Dame des Metals, sondern ein junges Mädel, welches bei ihren Ansagen keinen Hehl aus dem Arbeitermilieu machte, aus dem sie sich bis zu ihrem heutigen Status die folgenden Jahre noch herausarbeiten würde. RUNNING WILD zündeten schon zur Mittagswurst Pyros und ließen es richtig krachen, während TYRAN PACE eher durch die Treue zum peinlichen 80er Outfit glänzten. Besonders köstlich waren auch die Ansagen von Metal Manni zwischen gebrüllten Plattheiten und versagender Stimme, wenn er den "Hammer" verlieh oder Bands ankündigte. Auf SAVAGE GRACE war ich auch gespannt wie ein Flitzebogen. Diese hatten allerdings ihren Sänger kurz vor dem ersten Europa-Gig gekickt und 8000 Zuschauer wurden Zeuge, wie Chris Logue den Gesang bis zum Fremdschämen verkackte. Leider dachte er wohl ab diesem Tag, dass er Sänger sei, weswegen man über die kommenden Jahre der Band besser den Mantel des Schweigens deckt. Fun Fact am Rande: Wahnsinns-Drummer Dan Finch entdeckte nach dem Gig seine Liebe zum Wein vom Rhein und gab sich im Tal wohl ordentlich die Kante. Am nächsten Tag erwachte er mitten in den Obstfeldern, in denen er sich auf dem Rückweg verlaufen hatte, und erreichte gerade noch pünktlich seinen Abflug der Band. Bei den Headlinern hingegen gab es bis zum Schluss Rabatz. Die jungen Wilden aus der Bay Area und die jungen Wilden aus Newcastle waren sich nicht einig, wer nun der einzig verdiente Headliner sein dürfe. VENOM gewannen mit ihrer Forderung nach Pyros, Laser und Feuerwerk, sonst würden sie nicht spielen. Aufgrund der aufgeheizten Stimmung ließ der Veranstalter Hundertschaften mit Wasserwerfern aus Wiesbaden anrollen, denn man befürchtete bei einer Absage von VENOM massive Ausschreitungen. Dazu kam es aber nicht. Während man im Rheintal angesichts der Polizeiarmee von Kriegszuständen ausging, hatten wir auf dem Gelände die Zeit unseres Lebens und erlebten, wie METALLICA als Co-Headliner den Felsen in Grund und Boden spielten. Die junge Band gab sich fannah und auf der Bühne explosiv. In Höchstgeschwindigkeit wurden die Hits der ersten beiden Alben gespielt und 'Disposable Heroes' als Ausblick auf das in Bälde erscheinende "Master Of Puppets"-Album geboten. Der Rest ist Geschichte. Ein Jahr vor Cliff Burtons Tod wurden wir Zeuge, wie sich eine der größten Metal-Bands des Planeten ihren legendären Ruf erspielte. Und dann kamen VENOM. Mit Pyros, Laser und Feuerwerk. Und vor allem einer Menge Krach. Musikalisch weit abgeschlagen, aber mit dickem Ego und fetter Show. Wie Cronos vor der PA damals beim Basssolo stehen konnte, ist mir bis heute ein Rätsel. 1985 standen noch regelrechte Boxenwände rechts und links der Bühne. Und mein Tinnitus nach diesem Abend dauerte rekordverdächtige zwei Wochen. Was ein Tag!
Wer nicht bis zum nächsten Fivepack hier warten möchte, kann auch gern unsere Facebook-Seite abonnieren. Dort werde ich die einzelnen Tickets schon vorab in meinen Beiträgen vorstellen. Demnächst geht's weiter!