Das Urheberrecht - Oder: Schon wieder ein Kommentar über die Piratenpartei?
Ein Artikel von Opa Steve vom 29.06.2012 (15035 mal gelesen)
Ehrlich gesagt habe ich lange überlegt, ob ich die aktuellen Diskussionen zum Urheberrecht, die durch die Landeserfolge der Piratenpartei wieder angeheizt wurden, extra in einem Special kommentieren soll. Zu inflationär und festgefahren war die Diskussion, die durch die Medienwelt rauschte. Aber zur Zeit ist ja Sommerloch, die Wahlen sind erst mal vorbei, und das Urheberrecht ist mal wieder aus den Schlagzeilen verschwunden. Zeit also, nochmal nachzulegen.
Wenn man von geforderten Reformen des Urheberrechts spricht, gibt es derlei eine Menge. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die grundsätzlich mitverdienen wollen. Das sind in erster Linie die Verwertungsgesellschaften. Allen voran die GEMA. Diese plant gerade radikale Tariferhöhungen, glänzt durch eine 3-Klassen-Gesellschaft ihrer Mitglieder und damit durch ein unter demokratischen Gesichtspunkten zweifelhaftes internes Beschlussverfahren. Ähnlich wie die GEMA hat aber auch die Kunstindustrie ein hartes wirtschaftliches Ansinnen: sie verdient durch die Vermarktung von Kunst Geld. Anders als die GEMA kann sich die Musikindustrie aber nicht auf eine Monopolstellung berufen und muss sich den Gesetzen des Markts stellen.
Danach folgen die Kunstschaffenden, die Autoren, Komponisten und Songwriter. Deren Interessen lassen sich nicht ohne Weiteres über einen Kamm scheren. Schließlich wollen die einen einfach nur kreativ sein, die anderen möchten damit auch etwas verdienen. Dem Großteil gemein ist aber: Künstler können fast nie von ihrer Kunst allein leben. Dies ist wenigen Glücklichen vorbehalten, die es ganz nach oben geschafft haben (oder geschafft wurden), oder die sich selbst wie ein Wirtschaftsunternehmen über Jahre harter Arbeit aufgebaut haben. Diese benötigen Industrie und Konsument gleichermaßen, damit ihr Geschäftsmodell aufgeht und stehen sodenn irgendwo in der Mitte.
Auf der anderen Seite steht der Konsument. Auch ihn kann man nicht über einen Kamm scheren. Vom beinharten Die-Hard-Fan, der jede Sonderedition am Erscheinungstag sowie massig Merchandise kauft, bis hin zum Geiz-Ist-Geil-Typen, der in Kunst nichts Ideelles sieht, grundsätzlich nur billig kauft, und am Liebsten gar kein Geld für irgendwelche Werke ausgibt.
Wie man sieht, sind in der Kultur die Interessen deutlich mannigfaltig. Nun darf man aber nicht vergessen, dass auch für Musik bzw. Kultur im Allgemeinen die rechtlichen Spielregeln gelten, wie für alles andere auch. Und hier kommt die Politik ins Spiel. Denn diese stellt die Rahmenbedingungen. Und die sind nicht immer einfach, geschweige denn, dass die Politik in der Lage wäre, alle Interessen gleichermaßen glücklich zu machen. Das fängt im BGB bei der Vertragsfreiheit und -bindung an und hört im Dschungel des Urheberrechts auf. Dieses versucht nämlich genau, den Spagat zwischen den Interessen des Künstlers, des Konsumenten, und der undinglichen Sache eines Werks zu vollbringen. Es sichert dem Urheber nämlich die Verfügungsgewalt über seine Leistung zu, das Recht auf Entlohnung, und dem Konsumenten u.a. die Möglichkeit, nach der gebotenen Charakterisierung dieses immateriellen Guts entsprechend Handlungsfreiheiten im privaten Umfeld zu genießen.
Die Piratenpartei und das netzaffine Publikum, aus welchem diese einst entsprang, propagiert zur Zeit laut eine Verschiebung des Urheberrechts zu Gunsten des Konsumenten. Nicht nur das - sie befürwortet die Entkriminalisierung einer Weitergabe und Öffentlichmachung zu privaten Zwecken. So lautet es zum Urheberrecht: "Daher fordern wir, das nichtkommerzielle Kopieren, Zugänglichmachen, Speichern und Nutzen von Werken nicht nur zu legalisieren, sondern explizit zu fördern". Den Grund sehen sie zum einen lapidar im Scheitern der Kontrollmechanismen, zum anderen aber auf einer gesellschaftsmoralischen Ebene: "um die allgemeine Verfügbarkeit von Information, Wissen und Kultur zu verbessern, denn dies stellt eine essentielle Grundvoraussetzung für die soziale, technische und wirtschaftliche Weiterentwicklung unserer Gesellschaft dar.". Der vereinfachte Slogan "Freiheit für Wissen und Information" klingt erst einmal gut, und die Szene freut sich im Fahrwasser schon auf fröhliche Vielfalt mit kostenlosen Medien. Ein Schlaraffenland? Die Piratenpartei druckst sich aber um einen konkreten Punkt herum: Wenn Werke straffrei zur privaten Nutzung verbreitet werden dürfen, treten die Anbieter damit in Konkurrenz zu kostenpflichtigen Angeboten. Dies würde faktisch das Aus für eine wirtschaftliche Nutzung von Werken bedeuten. Denn ehrlich: wenn ich mir das neuste METALLICA-Album umsonst ziehen darf, warum sollte ich es mir kaufen? Der echte Fan und Supporter würde jetzt sagen: um die Band zu unterstützen, und wegen dem schönen Cover und Booklet. Ja, so sehe ich das auch. Für mich hat Musik aber auch einen ideellen Wert. Ich möchte gute Musik sammeln. Und ich bin Ü40 und nicht mit ständig zunehmenden mobilen Gigabytes an Speicher sowie einem Netz aufgewachsen , wo man sich zunehmend nicht der Information, sondern eher dem Informationsrauschen hingibt. Diese Generation ist aber längst herangewachsen und stellt die Konsumenten von morgen. Die sind es längst gewohnt, dass alles nur einen Knopfdruck entfernt ist, möglichst umsonst, doch mindestens möglichst billig und ohne das Haus zu verlassen. Anstelle von Wertschätzung tritt zunehmend die Masse einer pervertierten Konsumgesellschaft. Zugegeben - für diesen Zustand kann die Piratenpartei nichts. Aber sie fördert ihn mit ihrer kurzsichtigen Perspektive. Wer glaubt, dies wäre eine Welt voller frei nutzbarer Blockbuster und fetter Alben, der kann nicht bis drei zählen. Wenn man sich die heute am meisten getauschten Werke auf einschlägigen Seiten anschaut, findet man "Wrath Of The Tyrants", "Project X", "The Avengers", "Men In Black 3" usw.. Bei Musik sind es MAROON 5, internationale Top-Ten-Zusammenstellungen, ADELE, KAYNE WEST, JUSTIN BIEBER etc.. Es ist klar: getauscht wird, was gerade hip ist. Und dabei wird eins klar: diese gefragten Werke sind keine Garagenproduktionen unbekannter Newcomer, sondern kommerziell ausgerichtete Werke mit entsprechender Investitionskraft dahinter. Man muss sich wirklich fragen, wer noch bereit ist, begeisternde Blockbuster wie "The Avengers" (220 Mio. $) oder einen 6-wöchigen Studioaufenthalt für eine Band zu finanzieren, wenn das Werk anschließend neben der kommerziellen Verwertungskette legal von Hans Schmidts Homepage zu ziehen ist? Spätestens hier wird klar: mit dieser Forderung der Piratenpartei wird die Welt der Werke und der Breitenunterhaltung (ja, Urheberschaft sagt über den intellektuellen Anspruch nicht viel aus) auf alle Fälle ärmer werden. Denn die Forderung zerstört genau das Geschäftsmodell, welches heute die illegale Torrentz-Szene mit Futter versorgt. Die Kinos werden sterben, weil niemand mehr einen teuren und aufwändigen Film finanzieren möchte, an dem er später nichts verdienen kann. Größere Tourneen von Bands werden aussterben, weil keine Band mehr ihre Kunst als Lebensunterhalt betreiben kann und sich die Gigs dann eben auf paar Urlaubstage neben dem Job beschränken müssen. Was wird also übrig bleiben? Independent-Kunst würde mehr in den Fokus rücken, der kommerzielle Mainstream zurückgehen. Das ist ja per se nichts Schlechtes. Aber ist diese Entwicklung angesichts der stets hohen Nachfrage nach kommerziellen Unterhaltungswerken noch demokratisch zu legitimieren? Sind Netzgemeinde und Piratenanhänger denn so Arthaus-affin, dass sie Kunstlieder oder französischen Bar-Jazz, chilenische Sozialismus-Dramen oder Haneke plötzlich dem "Terminator" und IRON MAIDEN vorziehen? Die oben zitierten Tausch-Hits sprechen da in großen Zahlen eine ganz andere Sprache. Ob diese Gemeinde dann auch bereit wäre, den Ausfall an direktem Verwertungseinkommen durch vermehrte Konzertbesuche und Merchandise zu kompensieren? Denkbar wäre es - aber es ist äußerst unwahrscheinlich, dass in der Zeit nach den Piraten sich alle Konsumenten auf die "Vielzahl von innovativen Geschäftskonzepten" stürzen, so wie es die Piratenpartei recht unkonkret und beschwichtigend darlegt. Vielleicht danken es ja Millionen von Menschen, indem sie zukünftig regelmäßig neue "Terminator"- und IRON MAIDEN-Shirts kaufen, nachdem Studio bzw. Label dankenswerterweise die Werke als feinste Master nicht in den Laden, sondern direkt kostenlos ins Netz gestellt hat. Möge sich jeder selbst eine Meinung zu dieser Frage bilden. Ich habe erhebliche Zweifel.
Auf gut Deutsch: man malt sich eine Wolke, um anschließend festzustellen, dass diese einen nicht tragen kann.
Verlassen wir mal den rein hedonistischen Aspekt der freien Verbreitung. Schließlich hat die Piratenpartei noch den hehren Anspruch formuliert, dass die Welt dadurch besser würde: freier Zugang zu Information, freies Wissen, Förderung der kulturellen Vielfalt. Das klingt alles gut und wünschenswert. Allerdings muss ich hierzu zuerst einmal feststellen, dass künstlerische Werke weder zwangsläufig mit Wissen gleichzusetzen sind, noch als lebenswichtige Information gelten können. Kulturgeschichtlich allerdings sind sie in der Tat erhaltenswert! Doch hier empfehle ich den Piraten einen Blick ins Urheberrecht: der Abschnitt 6 im UrhG widmet sich in mehreren Paragrafen den Schranken des Urheberschutzes. So ist die Verwendung von Werken für Bildung und Forschung längst vorgesehen. Auch das Argument, dass Werke durch die heutigen Urheber- und Verwerterrechte künstlich knapp gehalten werden könnten, zieht bei genauer Studie des UrhG §53(4.b) nicht. Ist nämlich ein Werk seit mehr als 2 Jahren vergriffen, darf man sich eine Kopie anfertigen oder sogar anfertigen lassen, was eine erhebliche Erweiterung der ohnehin eingeräumten Privatkopie (die den Besitz - nicht zwangsläufig Eigentum - einer legalen Vorlage voraussetzt) darstellt.
Man kann daher guten Gewissens sagen: die vorgeschobenen Ziele der Piratenpartei, Kulturvielfalt und freien Informationszugang durchsetzen zu wollen, sind mit dem so oft gescholtenen Urheberrecht längst erreicht. Was bleibt, ist die nachträgliche Legalisierung einer Praxis der unbegrenzten Verbreitung über das Netz, die - wie ich oben darlegte - der gleichen Interessengruppe von Konsumenten im Endeffekt mehr schadet als nutzt. Und die Piratenpartei macht einen großen Fehler, der ihrem basisdemokratischen Gedanken vollständig zuwider ist: sie spricht nur für eine Seite - nicht für die andere. Der Wille der Urheber bleibt hierbei völlig außen vor. Denn heute schon hat jeder Urheber die freie Entscheidung, im Sinne der Piratenwelt zu handeln. Jeder Urheber kann seine Werke frei nach Creative Commons zur Verfügung stellen, was auch viele Bands heute schon machen, die eben nicht davon leben wollen. Wenn sich aber ein Urheber entscheidet, seine Werke als Lebensunterhalt zu verkaufen, genauso wie der Nachbar die Brötchen, dann sollte man auch diesen Willen akzeptieren. Man muss es ja nicht kaufen! Aber unter'm Strich hat der Urheber den undankbarsten Verdienst, den man sich vorstellen kann: seine geschaffenen Güter sind immateriell und lassen sich nun mal vervielfältigen. Damit ist er von der Fairness derer abhängig, die sich nach Besitzerlangung selbst entscheiden können, ob sie das Werk selbst verbreiten, oder dem Urheber seine Einkünfte für seine Leistung belassen. Daran wird kein Gesetz etwas ändern können. Aber es wäre das falsche Zeichen, diese Fairness jetzt auch noch durch eine bequeme Bankrotterklärung der Legislative einzureißen. Da gibt es wesentlich wichtigere Punkte im Urheberrecht, die einer Reform bedürfen. Wie z.B. die Monopol-Rolle der Verwertungsgesellschaften und die unselig lange Schutzdauer für Werke. Aber das ist ein anderes Thema....