Interview mit Marrok von Anomalie

Ein Interview von Zephir vom 10.11.2024 (2802 mal gelesen)
Seit nunmehr zehn Jahren verfolge ich das Schaffen der Österreicher ANOMALIE, die mit "Riverchild" ihr mittlerweile fünftes Vollalbum veröffentlicht haben und sich nach wie vor in keine Schublade der Metal-Genres pressen lassen. Dass es sich bei ANOMALIE seit jeher im Kern um ein Soloprojekt handelt, wie sich dieses in den vergangenen Jahren weiterentwickelt hat und wie die Arbeit an "Riverchild" lief, berichtet der Mastermind Marrok im ausführlichen Interview.

Hallo und erst einmal ganz herzlichen Dank, dass du dir die Zeit nimmst, ein paar Fragen zu beantworten. Ich hoffe, es geht dir gut und du bist kurz nach dem Release eures neuen Albums "Riverchild" zufrieden!

Marrok: Hi, alles gut hier, wie erwartet ein ziemlich intensiver und anstrengender Herbst, was aus meiner Sicht definitiv nicht als Beschwerde zu verstehen ist, denn die Gründe für den vollen Terminkalender sind ja durchwegs positiv!

Ich sage "eures" Albums, aber momentan ist mir gar nicht ganz klar, ob ANOMALIE eine Band ist oder ob es sich eigentlich um ein Soloprojekt handelt. Auf "Riverchild" hast du außer den Drums alle Instrumente selbst gespielt, ist das richtig?

Marrok: Im Entstehungsprozess ist ANOMALIE seit Tag eins durchgehend per Definition ganz klar mein Solo-Projekt und das hat sich auch bis heute nicht geändert. Im Studio hat mich dann wie bereits auf allen bisherigen Alben seit "Refugium" mein Drummer Lukas begleitet, denn auch wenn ich es sehr gut verstehe, Drums zu komponieren und dabei auch bereits früh im Songwriting-Prozess extrem genau auf sämtliche Details achte, so muss ich auch ganz ehrlich sagen, dass ich mir bei Weitem nie genug Zeit genommen habe, um als Schlagzeuger ausreichend Spielpraxis zu sammeln um das Instrument auch den hohen Ansprüchen entsprechend einspielen zu können. Ich bin sehr froh, dass ich seit mittlerweile zehn Jahren mit Lukas den idealen Partner an meiner Seite habe, um meine, sagen wir einmal, oft sehr sturen Ideen ideal umsetzen zu können. Und er ist daher in seiner Funktion definitiv auch ein sehr wichtiger Teil dieses Projekts.

Wart ihr nicht zwischenzeitlich auch mal zu einer voll besetzten Band herangewachsen, oder hatte ich das falsch verstanden?

Marrok: Wie schon erklärt schreibe ich alle ANOMALIE-Songs seit den Anfangstagen im Alleingang, jedoch ging es mir nie darum, in der dem Songwriting nachfolgenden Umsetzung um jeden Preis alles selbst umsetzen zu müssen, denn es gibt in meinem Freundeskreis immer einige Leute, die technisch gesehen eindeutig bessere Instrumentalisten sind als ich es möglicherweise je sein werde. Und für mich stand immer schon die bestmögliche Umsetzung meiner Kompositionen klar im Vordergrund. Aus dieser Philosophie ergab sich für die Alben "Refugium" und "Visions" ein erweitertes Studio-Line-up mit Langzeit-Live-Drummer Lukas Schlintl und unserem damaligen Bassisten Thomas Dornig, dem ich speziell auf "Refugium" die Freiheit gab, manche Stellen am Bass etwas umzugestalten, falls mir seine alternativen Ideen zusagten - was den Songs an solchen Stellen sicherlich guttat, da er ein wahnsinnig talentierter Bassist ist, der stets songdienlich ohne Ego und unnötigem Geltungsdrang als Teil des großen Ganzen agiert hat. Als uns damals mein alter Freund und Tontechnik-Studienkollege Peter Schiendorfer aus eigentlich tontechnischem Interesse zu einer Studio-Session in Deutschland begleitet hat, hat sich daraus spontan auch noch eine Percussion-Session mit seiner Beteiligung entwickelt, da ich ihn als Drummer und Percussionist ebenfalls sehr, sehr schätze und es mir immer Freude bereitet hat, andere Musiker an meiner musikalischen Vision und Reise teilnehmen zu lassen. Ich werde zwar auch weiterhin alleine an zukünftigen ANOMALIE-Alben schreiben, aber in der physischen Umsetzung sind weitere Gäste auch in Zukunft natürlich denkbar, ich folge wie immer einfach spontan meinem Bauchgefühl.

Das erste Album von ANOMALIE erschien vor genau zehn Jahren, 2014. Wie hat sich deine musikalische Arbeit im Laufe dieses Jahrzehnts entwickelt oder auch verändert? Gibt es Aspekte, die du nun anders siehst als früher?

Marrok: Wenn man es ganz genau nimmt, sind die Songs auf dem ersten Album ja noch deutlich älter, denn das Projekt entstand 2011 bereits als Ansammlung von Ideen, die ich schon zuvor noch als Teenager geschrieben hatte. Ohne Budget und damals auch noch ohne eigene Fähigkeiten, Songs selbst aufzunehmen, vergingen einfach noch ein paar Jahre, bis das Album letzten Endes 2014 erschien - während der Nachfolger "Refugium" bereits fast fertig komponiert war. Um auf deine eigentliche Frage jedoch ganz konkret einzugehen: Zwischen damals und heute hat sich eindeutig sehr, sehr viel verändert und das auf sämtlichen Ebenen! Ich war ein sehr unerfahrener junger Musiker mit recht limitierten stimmlichen, instrumentalen und tontechnischen Skills, mitten in meiner sowohl menschlichen als auch musikalischen Findungsphase, quasi im Sturm und Drang meines Lebens. Heute blicke ich auf bereits mehr als ein halbes Jahrzehnt als Vollzeit-Musiker zurück, arbeite nebenher auch seit gut zehn Jahren als professioneller Live-Tontechniker mit anderen Künstlern auf weltweiten Tourneen und frage mich alle paar Wochen, wie das alles eigentlich passieren konnte, da ich solch einen Lebensweg doch sehr lange als unrealistisches Wunschdenken abgestempelt hatte. Durch all meine seit den Anfangstagen angesammelten Erfahrungen auf und neben der Bühne, aber auch als Musiker im Studio hat sich natürlich meine Herangehensweise als Komponist und Sänger auch beständig weiterentwickelt. Ein paar Dinge sind jedoch völlig gleich geblieben: Ich versuche mit ANOMALIE noch immer einzig und allein meinen eigenen stetig wachsenden Ansprüchen gerecht zu werden, versuche mich selbst irgendwie zu beeindrucken und Musik zu machen, die ich vor ein paar Jahren so einfach noch nicht hätte schreiben und performen können. Mein Antrieb und meine idealistische Ur-Motivation ist also noch exakt am selben Level wie damals und ein paar Elemente meiner Kern-Philosophie werden sich wohl auch nie ändern, vor allem der Ansatz, sich künstlerisch nicht auf vergangenen Erfolgsrezepten auszuruhen, sich nicht nach externen Erwartungen zu richten und einfach den eigenen Instinkten zu vertrauen, wenn es beispielsweise um etwas gewagtere neue Stilmittel oder Songwriting-Entscheidungen geht. Ich könnte es sowieso nie allen gleichermaßen recht machen und ehrlich gesagt ist es sowieso Challenge genug, mich selbst Album für Album zufriedenzustellen, ein Task, der mit dem Alter scheinbar immer schwieriger wird. [lacht]

Das neue Album "Riverchild" hast du wieder selbst produziert. Gemischt und gemastert wurde nicht mehr im Studio E, sondern wie bereits der Vorgänger "Tranceformation" im Woodshed Studio in Landshut. Weshalb bist du von der Klangschmiede Studio E dorthin gewechselt?

Marrok: Die Entscheidung, vor "Tranceformation" das Studio zu wechseln, hatte kaum greifbare Gründe, denn ich schätze Markus Stock als Mensch, Studio-Techniker, Produzent und Musiker immer noch sehr und war mit seiner Arbeit für ANOMALIE immer sehr zufrieden. Es war einfach ein Punkt erreicht, der sich musikalisch nach dem nächsten Band-Kapitel anfühlte und nachdem ich ein paar Alben lang konstant mit denselben Leuten sowohl im Studio als auch was Artworks und Grafiken betrifft, kooperiert habe, war es schlicht an der Zeit, etwas frischen Wind reinzubringen. Es hat viele Vorteile mit Menschen zu arbeiten, die man bereits gut kennt und die bereits genau wissen, was meine musikalische DNA ausmacht, doch mit der Zeit kann diese Eingespieltheit auch einen bremsenden Effekt haben, wenn es darum geht sich weiterzuentwickeln. Und genau diesem Effekt wollte ich entgegenwirken, was mit dem Wechsel zu Victor im Woodshed Studio auch wunderbar funktioniert hat!

Jetzt muss ich aber zum neuen Album selbst kommen, das mich ehrlich begeistert hat. Schon als ich den Titel "Riverchild" gelesen hatte, bin ich sofort neugierig geworden. Der Promotext verrät, dass es irgendwie um deine Kindheit an der Donau geht, aber das sagt erst einmal alles und nichts … welche Rolle spielt deine eigene Biographie für die Platte?

Marrok: Um ganz ehrlich zu sein hatte ich bereits über ein Jahr lang ein komplett anderes thematisches Konzept samt anderem Albumtitel im Kopf und musste mir dann, sobald alle Songs instrumental fertig geschrieben waren, eingestehen, dass ich für dieses ursprünglich angedachte Thema schlicht und einfach nicht die passende Musik geschrieben hatte. Danach hing ich erst mal ein paar Wochen lang etwas in der Luft, denn ich war nicht wirklich darauf vorbereitet, mich inhaltlich mitten im Entstehungsprozess noch mal völlig neu zu orientieren. Ich konnte noch nie eine gewisse Stilrichtung für ein ANOMALIE-Album vorab bewusst bestimmen und darauf basierend Songs schreiben, ich sehe immer selbst erst, wohin die Reise eigentlich geht, wenn ich schon einen großen Teil des neuen Materials geschrieben habe. Diese Band ist und war schon immer ein rein intuitives Projekt, welches sich wenig bis gar nicht steuern lässt. Nachdem ich mich dann bereits leicht frustriert nach einigen Wochen voll wenig überzeugender Ideen bezüglich einem passenderen Album-Thema nahe meines Hauses an meinen "Stammplatz" direkt ans Donau-Ufer setzte und mit dem Blick aufs Wasser die instrumentale Vorproduktion im Ohr hatte, kam mir mit einem Schlag glasklar die Grundidee rund um "Riverchild" - und wenige Minuten später hatte ich mit Stift und Notizblock verstärkt begonnen, konkrete Songtitel, Inhalte und so weiter niederzuschreiben, während ich immer noch dort am Fluss saß. Ich verbrachte fast mein ganzes Leben sehr nahe der Donau, denn bereits mein Elternhaus lag nur ein paar Minuten mit dem Fahrrad vom Flussufer entfernt. Und wie bereits erwähnt wohne ich mittlerweile noch viel näher dran als damals, ich könnte beispielsweise jetzt gerade in unter einer Minute den Rest dieses Interviews an ebenjenem Ort am Wasser zu Ende führen ... wenn es nicht gerade so eiskalt und nass draußen wäre! [grinst]

Kannst du erklären, wer oder was mit "Riverchild" gemeint ist?

Marrok: Der Titel hat für mich mehrere Bedeutungen. Einerseits verbinde ich damit eine fiktive, unverfälschte, und daher in meiner Wahrnehmung und künstlerischen Vorstellung irgendwie kindliche Energie, die speziell nachts und in der morgendlichen Dämmerung am menschenleeren Ufer sehr präsent ist und sich als textliche Verkörperung der "Seele des Stroms" sehr gut in die lyrische Umsetzung des Albums hat integrieren lassen. Es war schon schwer genug, dieses kaum greifbare Gefühl und die emotionale Wirkung dieses Ortes hier am Wasser in genügend treffende Worte zu fassen, um damit sinnvoll Songs füllen zu können, daher versuche ich erst gar nicht, in Interviews noch mal andere Worte dafür zu finden - um wahrscheinlich einfach nur weniger on-point nochmals wiederzugeben, was sich bereits in den Texten des Albums lesen lässt. Der Begriff "Riverchild" trifft parallel dazu jedoch auch noch ganz persönlich sowohl auf mich selbst als auch auf meine Freundin zu, die, im gleichen Jahr geboren, damals mehr als tausend Kilometer flussabwärts ihre prägenden Kindheitsjahre entlang desselben Stroms verbrachte und nun heute hier mit mir ihr Leben mit mir teilt und mich definitiv durch ihren Beitrag zu meinem täglichen Leben seit Jahren auch als Musiker indirekt beeinflusst. Somit hat der Albumtitel auch direkten Bezug zu meinem engsten Privatleben, da wir uns beide in diesem Begriff sofort wiederfinden.

Würdest du "Riverchild" als Konzeptalbum bezeichnen? Es fühlt sich für mich sehr stark nach einem an.

Marrok: Das kommt sehr darauf an, wie man den Term "Konzeptalbum" definiert. In meiner Wahrnehmung sind Konzeptalben in sich geschlossene musikalische Werke mit einem kohärenten inhaltlichen Ablauf, der sich über die Grenzen einzelner Songs hinaus betrachten lässt. Demnach sprechen wir hier laut meiner persönlichen Interpretation des Begriffs nicht von einem Konzeptalbum per se, jedoch beziehen sich trotzdem alle Tracks auf dasselbe übergeordnete Thema, wenn auch aus sehr verschiedenen Blickwinkeln und basierend auf sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Grund-Inspirationen. Daher sind auch alle Texte in sich geschlossen ohne direkte Verbindung oder gar Fortsetzung in anderen Songs des Albums.

Ich würde am liebsten nach jedem einzelnen Song und seiner Bedeutung fragen, aber das führte an dieser Stelle sicher zu weit. Wenn du das Album kurz und knapp jemandem nahebringen wolltest, gäbe es da einzelne Songs, die du besonders hervorheben würdest? Welche wären das und warum?

Marrok: Jeder einzelne Track hat seine ganz eigene Geschichte und tiefgehenden Wurzeln, es würde daher tatsächlich den Rahmen sprengen, auf all diese Details einzugehen. Der wohl intensivste Inhalt des Albums findet sich diesmal jedoch schon im allerersten Song, da es sich bei 'Mother Of Stars' um die vertonte Verabschiedung meiner Mutter handelt, die leider im Sommer 2022 im Alter von nur 60 Jahren den Kampf mit einem bösartigen Krebs-Tumor in ihrem Kopf verloren hat. Ihr Einfluss auf mein Leben macht mich zu dem, der ich heute bin, und hat somit indirekt enormen Einfluss darauf, wie ich mich als Musiker ausdrücke, auch wenn Musik nie ihre Welt war. Leider musste ich mich in den letzten zehn Jahren von einigen engen Verwandten und Freunden der Familie verabschieden und wenn es um tiefgehende Emotion geht, drücke ich mich einfach am effektivsten in musikalischer Form aus. Daher hatte ich ihr ein Piano-Requiem zu ihrer Beerdigung und eben den Song 'Mother Of Stars' als friedliches Lebewohl geschrieben, um ihr auf meine Art für alles zu danken, was sie für mich getan hat, um heute der Mann zu sein, der ich bin!

Mir ist nicht bekannt, dass es auf diesem Album Gastsänger gegeben hätte. Sind alle Vocals von dir eingesungen? Auch die Kehlkopfgesänge in 'An Unforgiving Tide'?

Marrok: Ganz genau, diesmal hatte ich ganz einfach an keinem Punkt die Eingebung, dass ein Song die Stimme eines befreundeten Musikers bräuchte, somit gibt es auf "Riverchild" einfach keine Gastbeiträge. Mir ging es bei Features noch nie darum, Leute einfach nur an Bord zu holen, um noch zusätzliche Namen in der Promo droppen zu können. Die Gast-Vocals auf anderen ANOMALIE-Alben entstanden immer spontan, während ich an Lyrics arbeitete. Manchmal hatte ich beim Schreiben plötzlich die Stimme eines anderen Musikers oder einer Musikerin im Kopf und wenn ich dabei an jemanden dachte, den ich persönlich kenne und schätze, dann fragte ich einfach mal an, ob Interesse daran besteht den Song gemeinsam aufzunehmen. Denn alternativ hätte ich wohl sowieso versucht, selbst so ähnlich zu klingen wie eben diese Stimmen in meinem Kopf. Diesmal kam ich in keine solche Situation und habe in den letzten Jahren sehr viel Zeit investiert, um aus meinem sehr vielseitigen stimmlichen Potenzial noch mehr rausholen zu können als in der Vergangenheit, was mir auf "Riverchild" sicherlich geglückt ist und mit dazu beigetragen hat, dass ich auf externe Unterstützung verzichtet habe.

Ich finde es gar nicht so einfach, den Stil von ANOMALIE zu erklären. Wie würdest du ihn beschreiben?

Marrok: Deine Aussage zählt zu den größten Komplimenten, die man mir machen kann, daher erstmal vielen Dank an dieser Stelle! Zu einer Antwort lasse ich mich damit jedoch nicht bewegen, sorry. Ich konzentriere mich einfach darauf, die Musik zu machen, die sich für mich gut, ehrlich und richtig anfühlt. Wie man das Ergebnis dann nennt oder beschreibt, ist mir ziemlich egal und daher überlasse ich das auch liebend gern der Außenwelt!

Fallen dir andere Bands ein, mit denen du dein eigenes Schaffen vergleichen könntest, oder hast du musikalische Vorbilder?

Marrok: Ehrlich gesagt nein, zumindest nicht im Big Picture. Ich erfinde natürlich das Rad nicht neu mit dem, was ich als ANOMALIE mache, ich koche auch nur mit den Zutaten, die es in der einen oder anderen Form bereits gibt, eh klar. Es gibt aber durchaus einige andere Bands und Künstler, denen ich einen sehr ähnlichen Zugang beziehungsweise eine ähnliche Grundphilosophie "unterstelle", Musik, wo man sofort eine gewisse eigene DNA heraushört, eine gewisse Ernsthaftigkeit, Ehrlichkeit und Eigenständigkeit spürt. Und solche Kollegen inspirieren und motivieren mich natürlich in gewisser Weise. Allerdings möchte ich dann nicht genau so klingen wie deren Stil, sondern sie motivieren mich in ihrer Weise nochmals mehr an meiner eigenen Stilistik zu feilen, um meine eigene Art des musikalischen Ausdrucks weiter qualitativ zu verbessern. Interpreten, die ich dabei im Kopf habe, müssen daher absolut nichts mit unserem Genre zu tun haben, denn diese Art der Inspiration funktioniert quer durch sämtliche Musikrichtungen. Zusätzlich zur Musik steh ich auch drauf, wenn man sieht, dass jemandem das künstlerische Gesamtbild wichtig ist, sei es in Form von passenden Artworks, Merch-Designs, Bühnenproduktionen oder Sonstigem. Um ein paar Beispiele zu nennen: SOAP&SKIN, BÖLZER, PORCUPINE TREE, ULVER, PORTISHEAD, ALICE IN CHAINS, SCHAMMASCH, MISÞYRMING, DOLCH, AGNES OBEL, MADRUGADA, ZACK HAMSEY, WOVENHAND, KATATONIA, KALANDRA, CHRI JONES, TAAKE, MORCHEEBA …

Würde ich zusammenfassen "Extreme Metal mit folkloristischen Anleihen", dann würden viele vermutlich sagen: "Ach, Pagan Metal meinst du?" - Aber diese Schublade passt nicht so wirklich. Wie stehst du dazu?

Marrok: Das erste Mal, als ich ANOMALIE im Zusammenhang mit den Worten Folk oder sogar Pagan gelesen habe, ich denke das war 2017 rund um die Veröffentlichung von "Visions", wusste ich zuerst mal gar nicht, wie ich damit umgehen soll - da ich damit im Metal-Kontext sofort eine Reihe von furchtbar peinlichen Pseudo-Vikinger- und Germanen-Bands im Kopf habe, die ich mit ihrem lächerlichen Gehabe einfach nicht ernst nehmen kann. Auf den zweiten Blick muss man allerdings sagen, dass diese Bands, speziell zu ihrem Popularitäts-Peak in den Nuller Jahren, den ursprünglichen Kern der ernst gemeinten und oft sehr interessanten Folk-Musik und deren Künstlern komplett in den Dreck gezogen haben und es für Menschen wie mich seither unnötig schwer gemacht haben, andere Arten von Musik - auf die eine Assoziation mit paganen und folkloristischen Stilmitteln absolut treffend wäre - nicht sofort mit unangenehmem Beigeschmack wahrzunehmen. Aber ehrlich gesagt ist das doch alles komplett egal, ich habe mich damit abgefunden, dass musikalische Eigenständigkeit und damit einhergehende künstlerische Qualität aus kommerzieller Sicht nicht unbedingt einen Vorteil darstellt, denn es hat sich schon oft bewiesen, dass in der breiten Masse, auch wenn es "nur" die breite Masse eines Metal-Genres betrifft, eine klare Zuteilung in bestehende Schubladen wesentlich einfacher und leichter zu verkaufen ist, als wenn man Musik macht, die sich schwer beschreiben lässt. Das trifft nicht nur auf Verkaufszahlen von Tonträgern oder Streaming-Statistiken zu, sondern auch, wenn es um das Booking von Live-Shows geht. Es haben schon öfters Veranstalter von sehr passenden Events ANOMALIE nicht gebucht, aus Sorge, es könnte nicht so zum restlichen Programm passen, speziell bei eigentlich aus meiner Sicht passenden Black Metal-Shows, während ich Angebote für Gigs bekam, wo wir eindeutige Fremdkörper wären und vor Publikum spielen sollten, das wohl nur bedingt verstehen würde, was wir da eigentlich machen. Speziell wenn Veranstalter gar nicht so genau wissen, was ich hier eigentlich mache und uns einfach als Nebenprojekt von HARAKIRI FOR THE SKY abstempeln im Glauben, ANOMALIE klinge quasi genauso. Solang die Rahmenbedingungen eine ordentliche Show zulassen, bin ich generell sehr offen für verschiedenste Arten von Line-ups, versteh mich da jetzt bitte nicht falsch, aber ich spüre einfach laufend auch die Nachteile davon, wenn man musikalisch etwas zwischen den Stühlen sitzt.

Soweit ich herausfinden konnte, ist Ende Dezember eine "Riverchild"-Releaseshow in München geplant, gemeinsam mit VINSTA und NEBELKRÄHE aus Bayern. Kennt ihr euch gut? Wie habt ihr euch für den Gig zusammengefunden?

Marrok: Unsere Landsleute von VINSTA kennen wir seit ein paar Jahren recht gut, ich hatte die Band damals auch schon als Support zur "Meare"-Release-Show von HARAKIRI FOR THE SKY eingeladen, wo sie damals ihr allererstes Konzert gespielt haben. Letztes Jahr waren sie dann auf meinem eigenen Festival zu Gast, dem Transcending Visions Fest in Graz, und haben gezeigt, wie sehr sie in der Zwischenzeit durch die gewachsene Erfahrung als Live-Band nochmals gewachsen sind, das war sehr stark! Menschlich wie musikalisch einfach eine richtig coole Band, daher freut es mich sehr, auch weiterhin immer wieder mit ihnen die Bühne zu teilen! Die Show in München hat in diesem Fall Moritz von NEBELKRÄHE in Kooperation mit der Venue eingefädelt. Man kennt sich seit vielen Jahren durch seine Arbeit bei Metal1.info, daher waren die Kommunikationswege natürlich sehr einfach und direkt. Wir haben sehr gute Erinnerungen an die Münchner Backstage Halle und werden dort auch zum ersten Mal unsere neue Bühnenproduktion zur Schau stellen sowie zusätzlich zu den beiden bereits in Zürich gespielten neuen Songs noch zwei weitere Lieder von "Riverchild" erstmalig live spielen. Das Konzert hat demnach bei uns einen sehr hohen Stellenwert und so etwas wie Meilenstein-Charakter.

Wird es noch weitere Live-Auftritte mit ANOMALIE in Deutschland geben?

Marrok: Eine weitere Album-Release-Show kann hoffentlich demnächst angekündigt werden, da ich versucht habe, zumindest noch eine weitere Deutschland-Show weiter nördlich oder östlich zu realisieren. Und es sieht gut aus, dass dieses Konzert auch wie erhofft klappen wird. Wir haben sehr viele Hörer in Deutschland und hoffen daher natürlich auf ein paar weitere passende Gelegenheiten in absehbarer Zukunft. Sofern es unser Terminkalender zulässt, sind wir jederzeit gesprächsbereit!

Gibt es für zukünftige Auftritte eine feste Besetzung? Oder anders gefragt, wer wird voraussichtlich bei den nächsten Gigs mit auf der Bühne sein?

Marrok: Ich versuche die Live-Besetzung immer so konstant wie möglich zu halten, und das funktioniert zum Glück overall ganz gut. Wir hatten bis auf einzelne Ausnahmen ein sehr konstantes Line-up in den ersten Jahren - bis hin zur weltweiten Covid-Zwangspause. 2020 kam es dann zu einer Reihe von unvorhergesehenen Besetzungswechseln, da ich quasi meine gesamte Saiten-Fraktion wechseln musste. Ich verstehe mich immer noch sehr gut mit unseren Ex-Mitgliedern, es kam einfach zufällig fast zur selben Zeit bei mehreren meiner Leute zu verschiedenen privaten Veränderungen, die zum jeweiligen Ausstieg führten. Lukas ist ja zum Glück schon seit zehn Jahren am Schlagzeug dabei und seit 2021 haben wir bis auf einen weiteren Wechsel an der Gitarre wieder ein beständiges Line-up, bestehend aus den drei Gitarristen Andreas Pozdena (GATES OF SLEEP, KONFESSION), Dennis Meier (ILL TIDINGS) und Marco Hainzl (TULSADOOM) sowie Arijan Rezaie am Bass.

Mit welchen anderen Bands bist du derzeit noch beschäftigt?

Marrok: Ich bin weiterhin als Live-Gitarrist und Manager bei HARAKIRI FOR THE SKY dauerhaft involviert und bringe in ein paar Monaten noch das Debüt-Album meiner neuen, punkig beeinflussten, sehr geradlinigen und offensiven Black Metal-Band ANTIKVLT via Immortal Frost Productions auf den Markt! Das erste Album für diese neue Band habe ich erst mal im Alleingang geschrieben und produziert, mittlerweile habe ich hier allerdings Daniel Johansson (DRACONIAN, Ex-WORMWOOD) fest als Drummer ins Boot geholt sowie zwei meiner Freunde der bayrischen AOP-Kollegen GROZA als Live-Mitglieder am Start. Auf Dauer ist es auf jeden Fall genug, ANOMALIE auch weiterhin alleine zu betreiben und diese neue Band personell etwas offener zu gestalten. Ich freue mich auch, mal wieder in direkter Zusammenarbeit mit jemand anderem Musik zu schreiben!

Ich danke dir für deine Zeit, das war es von meiner Seite. Gibt es noch etwas, was du unserer Leserschaft mitgeben möchtest?

Marrok: Vielen Dank für deine Zeit und die Unterstützung! Es ist schön zu sehen, dass offensichtlich viele Menschen da draußen gerade eine Connection mit "Riverchild" aufbauen und sich in dem Album selbst wiederfinden können. Wir sehen hoffentlich bald viele von euch auf diversen Konzerten, denn wir tun unser Bestes, mit diesem Album wieder deutlich öfter aufzutreten als in den letzten paar Jahren!

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