Schwerbehinderte auf Festivals Teil 1: Ein Überblick

Ein Artikel von Kex vom 29.11.2011 (11538 mal gelesen)
Eine Gruppe, die den meisten Metalheads wohl gar nicht so auffällt, sind behinderte Menschen auf Festivals. Je weniger die Unterschiede zum Tragen kommen, desto eher ist ein Grundgedanke der Metalszene verwirklicht: Musik gemeinsam feiern und dabei auf Herkunft, Lebensumstände etc. pfeifen und leidenschaftliches Mitfiebern während des Auftritts der Lieblingsband einfach teilen. In der Heil- und Sonderpädagogik wird dies mit dem Begriff der "Inklusion" beschrieben: Alle gemeinsam, durchmischt und ohne Unterschied. Diese Serie soll aufzeigen, was seitens der Veranstalter von Festivals unternommen wird, um uns ein gemeinsames Festivalerlebnis zu ermöglichen. Oft sagen wir "Menschen sind behindert" und nutzen das Wort wie eine Eigenschaft. Man könnte aber auch etwa im Falle eines Rollifahrers sagen: "Dieser Mensch wird behindert". Bedingungen schaffen, die Behinderungen abbauen ist also auch eine wichtige Aufgabe der Organisatoren.

Wer gilt eigentlich als Schwerbehindert und braucht eventuell eine Begleitperson? Die Art der Behinderung ist in einem Ausweis gekennzeichnet. Dieser wird erst dann erstellt, wenn eine Behinderung sich auf mehr als 50%, also über die Hälfte des alltäglichen Lebens auswirkt. Gemessen wird dies auch in "Grad der Behinderung" (GdB) auf einer Skala zwischen 20 und 100, ab 50 spricht man von einer schweren Behinderung oder moderner ausgedrückt von einem "schweren Handicap". Besteht ein Anspruch auf eine Begleitperson zur Unterstützung, ist dies mit einem großen B gekennzeichnet. Anspruch darauf haben Menschen, die eine so genannte "erhebliche" oder "außergewöhnliche Gehbehinderung" oder aber das Merkmal "hilflos" eingetragen haben. Letzteres ist ein Nachweis für den Bedarf einer Begleitperson zur Verrichtung von Alltagshandlungen. Automatisch eingetragen wird dieses Kennzeichen vor allem bei Blinden, Querschnittsgelähmten, Ohnhändern oder erheblich Sehbehinderten, aber auch bei geistigen Behinderungen. Festivalbetreiber ermöglichen es oftmals, dass Begleitpersonen ein Festival kostenfrei besuchen können.

Welche Barrieren entstehen auf dem Festivalgelände? Gerade bei Rollifahrern und Blinden ist einleuchtend, dass sowohl der Untergrund zum Zelten, wie auch die Wege zu den Bühnen schnell zum Erlebnis mit ungewissem Ausgang werden können. Nicht jeder Metalhead möchte wegen seiner Einschränkung gleich den Weg ins Hotel suchen müssen, was meist in Begleitung auch nicht notwendig ist. Festivalbetreiber bemühen sich oftmals darum, Campgrounds in der Nähe der Bühnen einzurichten. Auf dem Summer Breeze Open Air 2011 lag dieser Campingplatz direkt zwischen VIP-Bereich und Sanizelt mit Ausgang zu den Duschen hin. Insgesamt waren somit alle Laufwege möglichst kurz. Auf dem Wacken Open Air 2011 wurde dies in Abwandlung ähnlich gehandhabt. Dort gab es einen separaten Bereich, dessen Zäune aber nach Befüllen des Campgrounds abgebaut werden sollten. So sollte eine Absonderung vom restlichen Campground vermieden werden. Der Abbau erfolgte in diesem Jahr nicht vollständig, was zu Irritationen der Besucher führte. Veranstalter müssen dabei nicht nur den Platz für die Besucher selbst, sondern auch deren Begleitpersonen einkalkulieren. Dies mag an Hand der verkauften Tickets und angemeldeten Begleiter noch recht simpel erscheinen, führt aber zu weiteren Hindernissen etwa in der Bedarfsplanung für Tribünen für Sehbehinderte. Diese sollen auch Rollifahrern trotz Tieferliegens eine gute Sicht ermöglichen. Aber wer hat nun welchen Musikgeschmack und was machen, wenn die Tribüne voll ist? Da es zwar das B und das H als Kennzeichen gibt, aber auch andere Merkmale wie aG, G, Bl oder Gl gibt, müssen Securities an den Tribünen sich gut auskennen. Wer darf rein, wer nicht? Lässt man Begleitpersonen auch rauf oder müssen diese Gewehr bei Fuß am Zugang warten? Gleiches gilt für die Anzahl an behindertengerechten Toiletten. Eine Besondere Herausforderung stellt die Angliederung an Fließklos oder Duschen dar. Der Zugang muss ebenerdig sein, darf aber nicht verschlammen. Bei Anmeldungen ist auch nicht unbedingt ersichtlich, wer alles ein Rolliklo braucht und wer nicht.

Die Vielzahl an Kennzeichnungen hat auf dem diesjährigen Wacken Open Air zu Verwirrung beigetragen, was unter anderem zu Vorschlägen führte, wie Sonderbändchen angelehnt an VIP-Bänder mit zugewiesenen Zugangsbereichen. Dies wird allerdings seitens der gehandicapten Festivalbesucher abgelehnt, denn dadurch entsteht eine Besonderung durch das Festivalband, die nicht gewünscht wird. Verständlich ist der Wunsch danach, dass sich alle Beteiligten ausreichend informieren, um eine reibungslose Organisation zu ermöglichen. Vorfälle wie abwertende Rufe über Zäune ins Camp kommen durchaus vor, weshalb der Wunsch danach, so unauffällig wie möglich und mit so wenig Hilfestellungen wie nötig untergebracht zu werden, mehr als nachvollziehbar ist.

Die Organisatoren von Festivals haben so einiges zu planen. Da die Zahlen von Jahr zu Jahr variieren, müssen die Flächen für Campgrounds und Tribünen ständig dem Bedarf angepasst werden. Teil 1 sollte euch einen groben Überblick verschaffen, Teil 2 wird beleuchten, was so alles schief gehen kann und wie seitens der Veranstalter reagiert wird.

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