Interview mit Schwadorf von The Vision Bleak

Ein Interview von Jukebox vom 02.11.2010 (21542 mal gelesen)
Nach dem Erscheinen des hervorragenden Albums "Set Sail To Mystery" im April diesen Jahres, folgt nun mit etwas Verspätung die Tour von THE VISION BLEAK. Ich traf einen äußerst sympathischen und offenen Markus Stock alias Ulf Theodor Schwadorf vor dem Auftritt in Frankfurt, der sich im Tourbus geduldig meinen Fragen stellte:

Markus, wie kam es dazu, dass ihr die Tour jetzt erst relativ spät spielt, nachdem das Album ja nun schon über ein halbes Jahr alt ist?

Schwadorf: Wir haben im Frühjahr schon einen Teil der Tour in Europa gespielt, zum Beispiel mit Gigs in England, Frankreich, Italien usw., und das jetzt ist eben sozusagen der zweite Teil der Tour, der sich jetzt eben nur auf Deutschland beschränkt.

Zwischenzeitlich habt ihr wohl auch noch einige Festivals gespielt, oder?

Schwadorf: Kleinere Festivals waren dabei, und ich denke, dass nächstes Jahr wieder die größeren Festivals dran sind, wobei es da noch keine wirklich konkreten Pläne gibt.

Wie verlief die Tour denn bisher?

Schwadorf: Heute ist ja erst der fünfte Gig, und bisher war auf jeden Fall schon Licht und Schatten dabei. Es waren sehr gute Konzerte dabei, aber gestern Abend zum Beispiel in Vorchdorf in Österreich war es doch etwas mager. Ich weiß zumindest, dass ich da nicht mehr hin muss. Das war einer der obskursten Gigs unseres Lebens. Es waren circa hundert zahlende Gäste da, und während allen Bands waren nur vielleicht fünfzig im Publikum, die aber auch ständig nur rein und raus gelaufen sind. Das war echt seltsam, denn ich kenne das eigentlich so, dass, wenn jemand fünfzehn Euro Eintritt bezahlt hat, er sich auch die Show ansehen möchte und vor der Bühne steht. Aber gestern das war schon sehr bizarr.

Wie kam die Konstellation mit den anderen Bands zustande? Habt ihr euch die Bands ausgesucht, oder hat sich das anderweitig ergeben?

Schwadorf: Ich hab ja die letzte Platte von AHAB gemischt, und das ist auch eine Band die wir alle sehr mögen. Und SCHWARZER ENGEL wurde von unserem Booker mit auf die Tour genommen, um eben auch kleinere, aufstrebende Bands zu unterstützen. Unter uns allen herrscht ein gutes Klima und es gibt auch keinerlei Egoprobleme, von daher ist alles super.

Bereitest du dich persönlich irgendwie speziell auf eine Tour vor?

Schwadorf: Ich versuche auf jeden Fall mehr Gitarre zu spielen als üblich, denn wenn ich mich im Studio den ganzen Tag mit Musik beschäftige, hab ich abends privat nicht unbedingt auch noch Lust mich damit zu befassen. Daher versuche ich eben vor der Tour, wieder vermehrt zu spielen, um mir die Songs wieder genau einzuprägen, damit sie auf der Bühne einfach ganz automatisch funktionieren, ohne darüber nachdenken zu müssen. Wir versuchen vor der Tour auch so oft wie möglich zu proben, was sich bei uns manchmal recht schwierig gestaltet, da die Musiker in ganz Deutschland verstreut leben. Wir proben dann einfach in Blöcken, z.B. wird dann an einem Samstag mal sechs bis sieben Stunden lang geprobt, da sonst die langen Anfahrtswege keinen Sinn machen würden. Unser Schlagzeuger kommt beispielsweise aus Berlin, der Gitarrist aus Nürnberg und der Bassist aus Erfurt, das ist natürlich alles schon ziemlich verstreut.

Wie lassen sich eure Songs mit den vielen Details live umsetzen?

Schwadorf: Das geht nur mit Hilfe der modernen Technik. Wir verwenden dazu Sampler, die eingespielt werden. Bei einer Band unserer Größe wäre alles andere auch unrealistisch. Natürlich würden wir auch gerne mit Streichern usw arbeiten, aber damit bräuchtest du dann nicht in Frankfurt im Nachtleben auftreten.

Habt ihr euch wieder etwas Spezielles für die Bühnenshow einfallen lassen?

Schwadorf: Ehrlich gesagt nicht, da wir einfach auf relativ kleinen Bühnen spielen. Aber wir haben zumindest neue Bühnenklamotten.

Tobias Schönemann alias Allen B. Konstanz, der im Hintergrund sitzt: Wir haben auch dickere Bäuche bekommen. Früher haben wir ja alle zwei Jahre eine neue Platte gemacht, und dazu dann eben auch neue Bühnenoutfits bekommen. Da hat das Intervall noch gestimmt, aber inzwischen müssten wir mit unseren Bäuchen eigentlich jedes Jahr eine neue Platte machen, weil wir sonst mit den Klamotten nicht nach kommen.

Wie bekommst du das mit deinem eigentlichen Job unter einen Hut?

Schwadorf: Ich hab ja mein eigenes Studio, welches sozusagen mein Brötchenlieferant ist, und wenn eine Tour ansteht, bleibt das Studio einfach in der Zeit geschlossen. Ich muss die Aufnahmetermine halt außenrum planen, ansonsten würde das gar nicht funktionieren.

"Set Sail To Mystery" ist ja jetzt schon seit einigen Monaten veröffentlicht. Wie siehst du das Album jetzt mit etwas Abstand? Würdest du alles wieder genauso machen, oder würdest du doch gerne das ein oder andere daran ändern?

Schwadorf: Ich hab inzwischen schon an so vielen Platten gearbeitet, dass ich einfach mit einer Platte abschließe, wenn sie fertig ist und diese große Nachbetrachtung gar nicht mehr mache. Ich bin zufrieden mit der Platte so wie sie ist und denke auch gar nicht mehr groß drüber nach, was ich hätte anders machen können. Das wäre meiner Meinung nach auch ein völlig sinnloser Gedankengang, denn es gibt immer das ein oder andere, was man vielleicht gerne anders gemacht hätte, aber sich damit zu sehr zu beschäftigen, verschließt einem eher den Blick nach vorne. Natürlich muss man auch aus einigen Dingen lernen, aber "Set Sail To Mystery" ist ja nicht die erste Platte, die wir gemacht haben, und von daher bin ich absolut zufrieden damit. Normalerweise hör ich mir ein Album auch erst nach circa einem halben oder sogar dreiviertel Jahr zum ersten Mal wieder an, aber dadurch dass wir ja auf Tour waren und sind, hören wir die Songs ohnehin täglich live.

Wie waren denn die Reaktionen auf das Album bisher?

Schwadorf: Eigentlich durchweg positiv, ähnlich wie bei den Alben davor auch. Natürlich gibt es immer wieder Leute, wie zum Beispiel die Fans aus der Gothic-Szene, die sich wünschen, dass wir wieder mehr in die Richtung des ersten Albums gehen, die Metalfans wünschen sich, dass wir eher was im Stil von "The Wolves Go Hunt Their Prey" machen, aber du kannst es nie allen recht machen und musst letztendlich auf dich selbst hören und nicht immer nur den Erwartungen der Leute entsprechen wollen. Ich möchte mich nicht komplett davon frei sprechen, dass mich die Erwartungen auch beeinflussen, aber vielleicht eher auf eine subtile Art und Weise. Wenn beispielsweise 20 Leute zu dir kommen und sagen dass die letzte Platte gut war, aber…..aber……aber….., dann machst du dir darüber natürlich Gedanken. Aber wichtig ist immer, dass man tut, was man selbst für das Richtige hält. Wir sind beide Musiker, die viel aus dem Bauch heraus machen, und nicht irgendwelche Baustein-Songs aufbauen wie aus dem Lehrbuch. Wenn sich etwas aus dem Bauch heraus gut anfühlt, dann machen wir das auch genau so. Ein gutes Beispiel dafür ist da das Intro von der neuen Platte. Für mich selbst ist das eigentlich gar kein Intro, sondern ein eigenständiger Song, und es gibt wahrscheinlich viele Leute, die uns empfohlen hätten, dieses Stück nicht als erstes auf die Platte zu nehmen. Aber für uns hat sich das genau richtig angefühlt, also haben wir das Stück als erstes auf die Platte genommen, und da lassen wir uns auch von niemandem reinreden.

Eure Texte bestehen ja oft aus kleinen Geschichten, die durch verschiedene Literatur inspiriert wurden. Gibt es etwas, das dir immer wieder begegnet und was du immer wieder in deine Texte verarbeitest?

Schwadorf: Ein immer wiederkehrendes Thema ist bei uns eben die Reinheit, die auf das Böse trifft, zum Beispiel in 'Wolfmoon' oder 'I Dined With The Swans', in welchem der Schwan als Sinnbild für das Reine steht, welches befleckt wird. Ich weiß nicht woher das kommt, aber das ist ein Thema das immer wieder aufkommt, auch damals schon bei EMPYRIUM. Scheinbar ist das ein Thema, welches mich stark beschäftigt. Ansonsten hat jede Geschichte, die wir erzählen, für mich einen doppelten Boden. Es sind nicht nur blanke Horrorgeschichten, sondern es gibt immer mehrere Ebenen wie man die Texte verstehen kann. Wenn du zum Beispiel 'Descend Into Maelstrom’ als Horrorgeschichte liest, wird jemand durch einen Strudel im Meer nach unten gezogen und schafft es irgendwie, wieder raus zu kommen. Auf einer anderen Ebene betrachtet kennt aber jeder diesen Strudel, der einen seelisch nach unten zieht, und es liegt an einem selbst, sich daraus wieder zu befreien und mutige Entscheidungen zu treffen.

Sprichst du damit aus speziellen persönlichen Erfahrungen?

Schwadorf: Jeder Mensch macht seine Erfahrungen im Leben, und keinem geht es immer gut oder immer schlecht. Ich glaube der Grund, warum ich mich selbst viel mit so düsteren Themen beschäftige, ist, dass ich im Kopf eigentlich ein recht gesunder Mensch bin. Auf der einen Seite gibt es eben diesen Abgrund, der einen Menschen auch interessant macht, den ich auf eine künstlerische Art und Weise auslebe, und nicht auf irgendeine krankhafte Art. Und auf der anderen Seite gibt es eben den gesunden Menschenverstand. Und ich finde auf diese Weise eben die innere Balance zwischen diesen beiden Dingen. Dadurch, dass ich durch die Musik praktisch meinen Abgrund ausleben kann, bin ich ausgeglichener. Und diese Art der Balance ist es, die man im Leben einfach finden muss, was aber einige Leute nicht schaffen.

Wie entstehen bei dir neue Songs? Ergibt sich das beispielsweise auf Tour im Bus, oder setzt du dich gezielt hin um neue Stücke zu schreiben?

Schwadorf: Auf Tour klappt das bei mir eigentlich gar nicht. Manchmal ist es tatsächlich so, dass man sich bewusst hinsetzt und sagt "Jetzt schreib ich einen neuen Song", aber meistens kommt das einfach total unerwartet. Du sitzt zum Beispiel abends mal da, nimmst dir die Gitarre und merkst plötzlich, dass du da was Gutes hast. Damit fängst du dann an zu arbeiten. Aber geplant ist das eher selten, wobei das, wie gesagt, auch schon funktioniert hat.

Entsteht bei dir erst die Musik, oder erst der Text?

Schwadorf: Auch das ist völlig unterschiedlich. Aber in 90 Prozent der Fälle steht erst die Musik, und dann folgt erst der Text. Oft gab es aber auch schon zu Beginn einen Titel oder ein Thema für einen Song, nach dem dann erst der Text ausgearbeitet wurde.

Vor Kurzem wurde ja bekannt dass du EMPYRIUM wiederbelebt hast. Wie kam es dazu?

Schwadorf: Das war eigentlich ein ganz profaner Grund: Prophecy Productions haben uns gefragt ob wir Bock hätten für eine Compilation ("Whom The Moon A Nightsong Sings") einen Song zu schreiben, und nach einer kurzen Bedenkzeit hab ich gesagt "Ok, lass es uns probieren". Es hat dann einfach wieder Spaß gemacht, und es hat sich wieder richtig angefühlt, woraufhin wir entschieden haben, wieder mehr daraus zu machen. Das Gefühl war einfach wieder da. Der neue Song ('The Days Before The Fall') auf der Compilation hat zwar viele Trademarks von den alten EMPYRIUM, aber es ist ja trotzdem irgendwo auch wieder was Neues.

Denkst du, dass das die Arbeit mit THE VISION BLEAK irgendwie beeinflussen wird, oder dass es da Überschneidungen geben könnte?

Schwadorf: Das muss einfach gut organisiert werden. Ich hab ja auch nicht vor, mit EMPYRIUM jetzt zehn Alben und eine Welttournee über drei Jahre zu machen. Ich möchte auch nicht, dass da jetzt zu viele Erwartungen entstehen, oder dass das Ganze zu sehr aufgeblasen wird. Wir machen einen Schritt nach dem anderen, es entsteht ein Song nach dem anderen, bis wir ein vollständiges Album haben. Aber es gibt dafür jetzt keinen Zeitplan an den wir uns halten müssten.

Ich persönlich hab mich oft gefragt, in welcher Stimmung man sein muss, um beispielsweise einen Song wie 'Ode to Melancholy' zu schreiben. Kannst du dich daran noch erinnern?

Schwadorf: Schwierige Frage, das ist schon lange her. Damals war ich ja gerade mal neunzehn Jahre alt, und gerade die Stücke auf "Songs of Moors and Misty Fields" sind entstanden, als ich total in so einer Sturm und Drang-Phase war, wo man alles aus sich raus lassen und sich mitteilen will. Ich denke, dass es genau das ist, was viele Leute an den alten EMPYRIUM so unglaublich anspricht: dass man einfach merkt, dass da jemand ist, der einfach mal alles von sich geben will. Das ist und war aber auch typisch für die Jugend. Der neue Song zum Beispiel ist zwar auch emotional, aber eben auch reifer. Einen Song wie 'Ode to Melancholy' könnte ich heute gar nicht mehr machen, weil diese Zeit einfach nicht mehr da ist. Wenn du dann versuchen würdest, sowas zu reproduzieren, würde das zur Farce werden, es wäre zu verkrampft.

Fehlt dir irgendwo vielleicht auch diese Art "Spielwiese", auf welcher du diese Art der Emotionen auslassen kannst? Diese melancholische, teilweise depressive Stimmung kannst du ja bei THE VISION BLEAK nicht wirklich ausleben.

Schwadorf: Ich selbst fand EMPYRIUM eigentlich nie wirklich depressiv. Es gibt einen großen Unterschied zwischen depressiv und melancholisch. Depressiv ist immer irgendwo auch negativ besetzt, wogegen man Melancholie auf eine gewisse Art und Weise auch genießen kann. Es ist ähnlich wie bei THE VISION BLEAK, man muss versuchen da eine Balance zu finden. Ich bin eben ein recht gesunder und eigentlich auch fröhlicher Mensch, und dadurch, dass ich mich eben früher viel mit dieser dunklen, beziehungsweise tiefer gehenden Seite und dem inneren Abgrund beschäftigt habe, die einem das Leben nun auch mal hin und wieder bietet, hab ich eben auch als Künstler die Balance gefunden, die man zum Leben braucht.

Denkst du, dass es mit EMPYRIUM auch Live-Auftritte geben wird, oder schließt du das eher aus?

Schwadorf: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es Live-Auftritte geben wird, aber das hängt natürlich auch von den Angeboten ab, die wir bekommen. Es ist ganz klar ein ganz anderer finanzieller Aufwand, der da gestemmt werden muss, denn bei EMPYRIUM musst du auf jeden Fall mit Streichern und allem Pipapo aufwarten, denn sonst wirst du den Erwartungen einfach nicht gerecht. Die Erwartungen bei EMPYRIUM sind einfach riesengroß. Ich sehe jeden Tag auf Tour Leute, die mit EMPYRIUM-Shirts rumlaufen, und ich weiß wie viel das den Leuten bedeutet. Und wenn man sich dann nach so vielen Jahren dazu entschließt, einen Live-Gig zu machen, dann muss der natürlich auch richtig gut sein.

Nervt es dich, wenn du immer wieder auf diese alte Zeit angesprochen wirst?

Schwadorf: Es schmeichelt einem natürlich, wenn du gesagt bekommst, wie viel die Musik jemandem bedeutet, aber manchmal ist es schon auch etwas nervig.

Wie sieht es mit deiner Aktivität in den verschiedenen anderen Bands aus? Bist du da nach wie vor aktiv?

Schwadorf: Mittlerweile sind meine Aktivitäten eigentlich auf THE VISION BLEAK und eben wieder EMPYRIUM beschränkt. NOEKK mit Thomas Helm ist nur ein Projekt, in dem wir Musik machen, wenn wir wirklich Zeit dafür haben. Er singt an der Münchner Staatsoper, und wenn er mal Zeit hat und ich zufällig auch im Studio etwas Zeit habe, dann treffen wir uns halt mal zwei Wochen im Studio, und machen einfach ein Album. Da steckt also absolut keine Planung dahinter. Und bei AUTUMNBLAZE mache ich inzwischen gar nichts mehr.

Markus, vielen Dank dass du dir die Zeit genommen hast, meine Fragen zu beantworten. Die letzten Worte an unsere Leser gehören dir!

Schwadorf: Ja, ich hab auch zu danken, und ich hoffe auf jeden Fall dass die Leute, die es noch nicht getan haben, "Set Sail To Mystery" anchecken.

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