Tanzwut - Schreib Es Mit Blut

Review von BlindWarlock vom 10.07.2016 (8879 mal gelesen)
Tanzwut - Schreib Es Mit Blut TANZWUT kann man mit ihren 19 Jahren im Business (allein unter diesem Namen) ohne Zweifel zum "alten Eisen" zählen, und es ist vermutlich jeder, der (deutschsprachigen) Folk hört, wohl mindestens einmal über den Namen gestolpert. Entstanden zu großen Teilen aus Ehemaligen von CORVUS CORAX hat die Band seit ihrer Gründung sowohl den Folk- als auch den Metalbereich - immer wieder aufgemischt, nicht zuletzt durch ihren ganz eigenen Stil, den sie keinen Zwängen beugt außer den eigenen. Es verwundert aber wohl auch nicht, wenn die Band mehr und mehr Neuzugänge in der Fanbase verbuchen kann. Ihren Stil zeichnet schließlich vor allem aus, dass ihre Musik auf vielen Ebenen agiert - und sich mehr als die meiste andere Musik ihrer lyrischen Wurzeln erinnert. TANZWUT produzieren, trotz ihrer peppigen, tanzbaren Musik nicht einfach nur Klang und Gesang, sondern Kunst nach eigener Vorstellung mit einem gehörigen Maß an Dichtkunst.

Gerade einmal ein Jahr liegt zwischen "Schreib Es Mit Blut" und der letzten Rock-Scheibe "Freitag der 13.". Wo letzteres allerdings ein wenig an Individualität hat missen lassen wartet "Schreib Es Mit Blut" zwar auch immer noch mit einem vertrauten Klang auf, der ein wenig an den Vorgänger erinnert, baut diesen jedoch in jedem Lied zu einem besonderen Erlebnis aus, bei dem man gedanklich zwischen Marktplatz und Festivalcrowd hin- und hergerissen wird. Es finden sich aus zu vielen Bereichen Einflüsse, Industrial trifft auf Flötenklänge, Balladen wechseln sich mit Partyhymnen ab, und alles wird getragen von (im positiven Sinne) eigensinniger Komposition, Dudelsäcken und Marktmusik.

Was für mich jedoch bei dieser Scheibe besonders heraussticht ist die Dichtung. Ich nenne es bewusst nicht einfach "Songwriting", da man bei jedem Lied spätestens beim genaueren Hinhören tiefer gehende Gedanken finden kann. Zudem ist schon der Titel der Platte ein vielversprechendes Indiz dafür, dass man hier sehr viel Spielraum für Interpretationen hat, wenn man denn Freude an so etwas findet. In jedem Fall findet sich das Bild der Unterschrift mit Blut, die spätestens seit Faust Pakte mit Dämonen besiegelt, in den meisten Tracks wieder. So werden alle möglichen Arten von "Dämonen" besungen, die die Menschen heute, früher und in Zukunft bekämpfen und in sich tragen. So werden Schwermut ('Stille Wasser'), Fernweh und Neugier bzw. Entdeckergeist ('Neue Ufer' und 'Steig Ein'), Feigheit und Rache ('Reiter Ohne Kopf') besungen, und stellenweise gehen die Themen auch mit biblischen Sünden konform, wie etwa Stolz und Zorn ('Hahnenkampf') oder Habsucht ('Reicher Als Ein König'). Letzteres ist dabei als positiv besungenes Beispiel gegen die stetig wachsende Gier der Menschheit nach Macht, Geld, und einfach "mehr" von Allem zu verstehen und stellt gleichzeitig infrage, wie weit sich Freiheit eigentlich in Geld aufwiegen lässt.

Einen innerlichen Ablauf findet man in den Tracks nicht wirklich, aber der Sinnzusammenhang durch den Bezug zum "Menschen" hält das Album in seinen 14 Tracks (+Bonus) gut zusammen. Als besonderes, künstlerisches Highlight fiel mir dabei 'Chaos' auf. Das Intro, das sich stark an Industrial und EBM anlehnt, klingt zwar schon ähnlich wie 'Schreib Es Mit Blut' oder 'Bruder Leichtsinn' und noch nicht so eigenwillig wie die Orgelpfeifen aus 'Reiter Ohne Kopf', aber das schnelle Vermischen mit Geigen, Sackpfeifen und Dudelsäcken lässt schnell auf eine experimentelle Kreation schließen. Auch der Gesang wirkt in den Strophen gehetzt, gedrängt, wie ein Fanatiker der vom Ende der Welt predigt, nur um im Refrain von trockener, kühler Nüchternheit durchbrochen zu werden und das volle Ausmaß des 'Chaos' zu erläutern. Präziser kann man wohl die aktuelle Weltlage musikalisch nicht verdichten.

Man bekommt mit "Schreib Es Mit Blut", was man von TANZWUT erwartet. Gesellschaftskritik, künstlerischen Aufwand, musikalische Expertise und zugleich tanzbare Melodien und ordentliche Kost für die Ohren. Wie schon oben beschrieben versuchen sich die Spielleute immer wieder an Neuem, vermischen, was sie als passend empfinden und fügen sich keinen Konventionen. Sie machen, was sie für gut halten und schaffen es hier deutlich, damit zu überzeugen. Eine Einordnung lässt sich damit kaum schaffen, da TANZWUT wohl eher selbst eine Kategorie eröffnen, mit der man einen Stil vergleichen könnte. Zusammen mit der überwältigenden, dichterischen Expertise, die man für den künstlerischen Genuss sicherlich nutzen kann, bei Weitem aber nicht muss, findet sowohl der Gelegenheitshörer als auch der eingefleischte Fan und Analyst seine Freude am Gesamtwerk. Für jeden, der wenigstens ein bisschen Interesse an der Mittelalter- und Folk-Schiene hat wärmstens zu empfehlen, egal ob nur zum Abtanzen oder zum kritisch Auseinandernehmen.


Gesamtwertung: 9.0 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Schreib Es Mit Blut
02. Steig Ein
03. Bruder Leichtsinn
04. Chaos
05. Reiter Ohne Kopf
06. Geteert Und Gefedert
07. Stille Wasser
08. Reicher Als Ein König
09. Hahnenkampf
10. Wenn Ich Tot Bin
11. An Den Klippen
12. Bleib Bei Mir
13. Wer Wir Sind
14. Neue Ufer
15. Stille Wasser feat. Liv Kristine (Digipak Bonus)
Band Website: www.tanzwut.com
Medium: CD
Spieldauer: 55:43 Minuten
VÖ: 08.07.2016

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