Die besten Album-Triples der Rock- und Metal-Geschichte: VOIVOD

Ein Artikel von Opa Steve vom 17.06.2020 (32762 mal gelesen)

VOIVOD


Für die einen sind die Kanadier die stetigen Drittligisten (was angesichts der Verkaufszahlen vielleicht sogar stimmen mag), für andere sind sie eine der innovativsten und faszinierendsten Bands auf dieser verrückten Kulturkugel, mit der wir stoisch Jahr für Jahr um die Sonne eiern und nach neuen Inspirationen gieren. Ich gestehe sofort: Ich gehöre zur letzten Gruppe. VOIVOD begleiten mein musikalisches Leben seit 1984. Mit "War And Pain" und "Rrröööaaarrr" sprengten VOIVOD in der Aufbruchstimmung des Metals die Genres und irritierten zum einen durch ihre kompromisslose Soundgestaltung, zum anderen durch ihre Haken schlagenden Songs und den Wahnwitz in ihrem vermeintlichen Krach. Dazu war das Konzept eines hybriden Wesens, das von Album zu Album stets mutiert und aus dem apokalyptischen Krieg zuerst ins Weltall und dann in unbekannte Dimensionen vordringt, für die Metal-Szene extrem verwirrend. Diese SciFi/Cyborg/Endzeit-Story aus der Feder ihres Drummers/Designers Away passte nicht in die von Grusel und Party geprägte Szene. Und zusammen mit dem punkigen Schmutz der ersten beiden Alben spalteten VOIVOD schon von Anbeginn die Szene, obwohl aus der heutigen Perspektive schnell klar wird, wie visionär Songs wie 'Thrashing Rage' damals schon waren, als Prog in dieser Härte undenkbar und Crossover noch nicht erfunden war.

VOIVOD wurden aber nicht nur aufgrund ihres extremistischen Musikverständnis zur Legende, sondern es kamen noch zwei Faktoren hinzu: Erstens die in der Musikwelt seltene Symbiose eines visionären wie grundsympathischen Bandleaders (Drummer Away) und seines kongenialen Sidekicks Piggy an der Gitarre, der mit seinem einzigartigen Stil Akzente setzte, die in den Achtzigern noch als revolutionär galten. Zweitens die Tatsache, dass Stillstand in der Historie von VOIVOD ein Fremdwort ist. Die Band hat sich stets weiterentwickelt, ihren Stil von Album zu Album gemorpht, wie es der Protagonist ihrer Story, der "Voivod", ebenfalls durchlebte. Auch waren sie durch den fehlenden kommerziellen Durchbruch öfter angezählt, um dann doch wie der Phönix aus der Asche wieder zu erscheinen. Und als ich mich Mitte der 90er schon damit abgefunden hatte, dass das lange zurückliegende Konzert mit POSSESSED und DEATHROW im Mainzer "Elzer Hof" das letzte Mal gewesen sein könnte, folgten plötzlich Clubtour auf Clubtour und Album auf Album. Der Tod Piggys 2005 traf die Band und Fans dann ins Mark und es wurde lange wieder still um VOIVOD, da sich Away auch schon vorher stark um die Pflege seines Weggefährten kümmerte, als dieser schwer an Krebs erkrankte. Auf den folgenden beiden Alben wurden Piggys Demo-Aufnahmen von seinem Laptop posthum zu fertigen Songs umgestaltet, und mit "Target Earth" geschah das Undenkbare: Mit Chewy holte die Band einen Gitarristen an Bord, der Piggys einzigartigen Gitarrenstil schon so lange studiert hatte, dass er das Vermächtnis seitdem in seinem Sinne fortführen konnte. VOIVOD lives!

In diesem Special konzentriere ich mich auf das Triple, welches damals die Metalwelt aufrüttelte, indem die Band bewies, dass sie problemlos den Wandel von einer krachigen Extreme Metal-Combo zu einer der faszinierendsten Bands ohne stilistische Grenzen vollziehen kann, ohne ihre Trademarks wirklich aufzugeben. Die Alben "Killing Technology", "Dimension Hatröss" und "Nothingface" wurden von 1987 bis 1989 aus dem Ärmel geschüttelt und zeugen von der unbändigen kreativen Kraft der Band, mit der sie im Jahrestakt Geschichte geschrieben hat. Nicht der einzige Höhepunkt in den fast 40 Jahren ihres Bestehens, aber mit Sicherheit die wichtigste und wegweisendste Epoche.

Die Alben


imgright"Killing Technology" (1987)
Die erste Metamorphose. Der brutale Sound der ersten beiden Alben wurde beibehalten, aber deutlich kontrollierter eingesetzt. VOIVOD gastierten im geteilten Berlin und produzierten zum ersten Mal mit Harris Johns. Das Ergebnis ist leider wohl der schlechteste Sound, den VOIVOD jemals auf Vinyl brachten. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Songs allesamt in ihrem SciFi-Prog-Extreme-Gemisch allesamt Weltklasse sind. Während der Opener 'Killing Technology' und der Rausschmeißer 'Cockroaches' noch viel vom dissonanten Spirit der ersten beiden Kracher haben, entwickelt die Band ihr Gespür für wilde Songstrukturen deutlich weiter. Mit 'Tornado' und 'Order Of The Blackguards' hat dieses Album schon zwei unsterbliche Songs mit im Gepäck, die trotz aller Härte genügend Platz für überraschende Entwicklungen und einige einfach mitreißende Passagen haben. Wenn es aber eine Referenz für dieses Album gäbe, dann kann diese nur 'Tornado' heißen, welches trotz der hohen Klasse des Rests über allem thront. Alle 20 Sekunden ändert sich das Thema, der Song schraubt sich wie ein Wirbelwind in immer höhere Sphären und haut sechs Minuten lang einen Höhepunkt nach dem nächsten raus und schafft es dabei, sich fast nie zu wiederholen. So einen Song schreibt man als Band nur, wenn man so richtig brennt. Und das nimmt man VOIVOD auf der ganzen Scheibe ab.


imgright"Dimension Hatröss" (1988)
Die zweite Metamorphose. Wieder von Harris Johns in Berlin eingetütet, ist der Sound deutlich differenzierter, die Harmonien nicht mehr so derb. Dennoch spielt sich Piggy an der Gitarre richtig frei und nutzt die gewonnene Klarheit, um zu beweisen, wie geil Akkorde klingen können, die man in keiner Tabulaturtabelle findet. Mit 'Tribal Convictions' entdecken VOIVOD zum ersten mal meditative Töne - diese Ruhe kannte man bis dato von der Band gar nicht. Das differenzierte Spiel brachte VOIVOD auch zum ersten Mal die Beachtung von Freunden experimenteller und progressiver Musik ein. Dennoch gab die Band weiterhin einen Fuck auf breitentaugliche und einfache Musik, denn auch die Songs auf "Dimension Hatröss" ändern von Minute zu Minute ihr Gesicht und der Riff-Fundus von Piggy scheint unermesslich zu sein. Mit 'Technocratic Manipulators' ist zwar ein streckenweise grooviges, beinahe tanzbares Werk mit gemäßigten Takt-Kapriolen mit an Bord, aber was 'Tornado' und 'Order Of The Blackguards' für das Vorgängeralbum waren, sind hier 'Macrosolutions To Megaproblems' und 'Brain Scan'. Erster läuft rund wie eine geölte Maschine und bietet Technothrash vom Feinsten. Away trommelt um sein Leben und baut stellenweise wilde Jazz-Rhythmik in sein Spiel, was zu diesem Vollgas-Song einfach passt wie die Faust aufs Auge. Während diese Zeilen auf Bleeding4Metal erscheinen, veröffentlichen VOIVOD übrigens eine Live-EP von ihrem Auftritt beim Montreal Jazz Festival. So abwegig war das also schon anno 1988 nicht. Der Song geht direkt in 'Brain Scan' über, welches mit dem simplen Hammer-Riff der Band ihren 'Smoke On The Water'-Moment beschert. Dies liegt aber auch am kongenialen Spiel Piggys Sidekicks. Die Drum- und Bass-Figuren haben viel Luft, sich zu entwickeln, und die wird auch genutzt. Ein absolut spannender Groover, am Anfang auch fast tanzbar, und irgendwie wahnsinnig lässig. Bis er sich dann zu dem typisch komplexen Headbanger entwickelt.

imgright"Nothingface" (1989)
Die dritte Metamorphose. Und nicht einfach ein Schritt oder ein großer Wurf, sondern ein regelrechter Dimensionenwechsel. Spätestens 'Nothingface' ließ alle Kritiker mit offenem Mund dastehen und das Album katapultierte in die Billboard-200-Charts. Genauso wie der Sound hat sich der Voivod nach seinem Raumausflug und dem Durchschreiten der Dimension Hatröss wieder verändert und beginnt, seine körperliche Existenz aufzugeben und sich in eine Art Singularität zurückzuziehen. Der Sound ist druckvoll klar und natürlich differenziert und unterscheidet sich komplett von allen anderen Alben davor. Snake singt zum ersten Mal fast durchgehend melodisch und verzichtet auf Schreie. Die Songs sind extrem vielseitig, dabei immer noch recht komplex. Sie kombinieren das Niveau von Prog Metal mit viel Atmosphäre und den typisch VOIVODschen Originalitätsmerkmalen. Diese bestehen einmal wieder aus Piggys unerschöpflichem Fundus an Ideen auf der Gitarre und den ständigen Richtungswechseln der Songs. Während der Opener noch recht sperrig ist, beginnt 'Missing Sequences' beinahe wie ein ruhiges Schlaflied. Die Referenzen auf diesem Album sind aber 'Inner Combustions' und 'Pre-Ignition'. Ersteres mischt wieder Technothrash mit streckenweisem Jazz-Drumming und geht trotz seiner Komplexität gut ins Bein. 'Pre-Ignition' hingegen beginnt wie ein trotziger Schlag in die Fresse oder ein penetrantes Alarmsignal. Hintenraus entwickelt sich der Song aber zu einer Wundertüte an verwobener Rhythmik, wildem Gitarrenspiel, abgefahrenen Breaks und Harmonien, in denen man sich verlieren kann. Doch auch noch etwas ist neu auf dieser Scheibe - VOIVOD covern zum ersten mal. Ihre Variante von PINK FLOYD's 'Astronomy Domine' fügt sich wie aus einem Guss in das restliche Werk ein und wird zu Recht 1989 abgefeiert, denn als Metal-Band ausgerechnet PINK FLOYD zu covern, war nach der "truesten" Epoche schon mehr als mutig. Und dies war zugleich ein Ausblick auf die spätere psychedelische Phase der Band, doch das Kapitel wird erst einige Alben später aufgeschlagen.

Fazit


Wer nur die VOIVOD der letzten Jahre kennt, schätzt im Allgemeinen deren stilistische Breite und den musikalischen Mut, auch wenn die Musik vielleicht nicht wirklich jedermann/-frau gefällt. Dass die Band aber tatsächlich als eine der extremsten Combos Anfang der 80er in vielen Ohren lediglich vordergründigen Lärm fabrizierte, wirkt angesichts des heutigen Schaffens wie ein Paralleluniversum. Dabei kann man nicht leugnen, dass die stilistischen Einzigartigkeiten ihres Sounds schon vor fast 40 Jahren erkennbar waren, wenngleich auch deutlich brutaler und räudiger. Und dieses Triple markiert genau den Wendepunkt, an dem VOIVOD ihren Kurs verfeinert haben, und gleichzeitig auch den perfekten Blend aus wildestem Extreme Metal und einer großen musikalischen Utopie. Ausgerechnet nach diesem wertvollen Triple hatte die Band übrigens tragischerweise ihren größten Durchhänger. Die Stimmung hatte gelitten, der Nachfolger "Angel Rat" brauchte zwei Jahre und enthält mehr breitentaugliche Songs denn je. Blacky verließ die Band unmittelbar nach den Aufnahmen zu "Angel Rat" und auch die Geschichte des Voivods wurde sowohl hier als auch auf "The Outer Limits" (wieder mit einem großartigen PINK FLOYD-Cover: 'The Nile Song') nicht fortgeführt. Es dauerte bis 1995, als VOIVODs "Mark-II-Besetzung" (mit E-FORCE-Frontmann Eric Forrest an Gesang und Bass) mit "Negatron" ihren eingeschlagenen Weg wieder aufnahm und sich neue experimentelle Universen erschlossen, die bis heute trotz weiterer Besetzungswechsel anhalten.

Wie immer haben wir Songs zu diesem Special als Spotify-Playlist zusammengestellt. Da "Nothingface" dort leider nicht zu finden ist, kommen hier noch ergänzend ein paar YouTube-Auszüge:





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