Joviac - Autofiction Pt. 1 - Shards

Review von baarikärpänen vom 16.05.2025 (5078 mal gelesen)
Joviac - Autofiction Pt. 1 - Shards Progressiver Metal aus Finnland ist irgendwo zwischen Mythos, Melancholie und musikalischer Meisterschaft. Finnland hat sich über Jahrzehnte hinweg als eine Hochburg für Metal in seinen unterschiedlichsten Spielarten etabliert und das, obwohl (oder gerade weil) das Land mit seinen langen Wintern und der melancholischen Grundstimmung eigentlich nicht gerade als Hotspot für musikalische Vielfalt gilt. Im Gegenteil: Genau aus dieser Atmosphäre heraus haben sich viele Bands zu außergewöhnlicher Kreativität aufgeschwungen. Neben den bekannten Genres wie Melodic Death und Symphonic Metal hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten aber auch eine beachtliche Progressive Metal-Szene herausgebildet, wenn auch eher im Untergrund. Bands wie AMORPHIS, die schon in den 90ern anfingen, folkloristische Elemente mit progressiven Strukturen zu vermischen, oder die düster-experimentellen ODDLAND aus Turku, haben den Weg geebnet für eine neue Generation von Acts, die keine Angst vor Genregrenzen haben. Auch POETS OF THE FALL, obwohl eher im Alternative-Bereich angesiedelt, haben progressiv gedacht, ohne es plakativ zu machen. Der finnische Prog Metal ist dabei oft weniger verspielt als sein US-amerikanisches Pendant. Er ist erdiger, tiefgründiger und legt viel Wert auf Atmosphäre und Songstruktur. In dieses Umfeld reiht sich JOVIAC ein, eine Band mit einer Mischung aus emotionaler Tiefe, technischer Raffinesse und einer starken konzeptionellen Ausrichtung.

JOVIAC ist keine typische Bandgeschichte. Das Projekt begann 2016 als musikalisches Selbstexperiment des Sängers, Gitarristen und Songwriters Viljami Jupiter Wenttola. Wenttola ist ein klassisches Beispiel für den modernen DIY-Musiker: multiinstrumental begabt, mit starkem Gespür für Songwriting, Produktion und künstlerische Vision. Sein Ziel war es von Anfang an, Musik zu machen, die ihn selbst emotional bewegt, das heißt in diesem Fall komplex, aber nicht verkopft, persönlich, aber nicht kitschig. Das selbstbetitelte Debütalbum "Joviac" (2017) war ein ambitionierter Einstieg, der bereits viele der späteren Trademarks enthielt: moderne Gitarrenarbeit, atmosphärische Keys und ein Gesang, der sich zwischen klagender Melancholie und kraftvollem Ausdruck bewegt. Der Nachfolger "Here and Now" (2020) setzte dem Ganzen noch einen drauf, aber mit besserer Produktion, tighteren Arrangements und einem insgesamt reiferen Sound. Spätestens mit diesem Album wurde JOVIAC zu einer festen Band, bestehend aus Wenttola, Antti Varjanne am Bass,. Johannes Leipälä an der Gitarre und Keyboarder Tuomas Honkkila. Das Trio formte einen tighten, perfekt eingespielten Kern, der nun mit "Autofiction Pt. 1 - Shards" an die Öffentlichkeit tritt. Ein Album, das nicht nur musikalisch überzeugt, sondern auch konzeptionell einiges zu sagen hat.

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Der Titel "Autofiction Pt. 1 - Shards" ist Programm. Es geht um persönliche Fragmentierung, um das Sich-Zusammensetzen nach innerem Zerfall, um Identität, Trauma, Selbstreflexion. JOVIAC machen aber nicht den Fehler, zu viel Pathos in ihren Sound zu mischen. Die Texte sind teils schonungslos ehrlich, teils poetisch abstrakt, aber immer greifbar. Wenttola schreibt nicht über erfundene Charaktere, sondern reflektiert eigene Erfahrungen, ohne dabei in Selbstmitleid abzudriften.

Musikalisch bewegt sich das Album irgendwo zwischen modernem Progressive Metal, Alternative Rock und sogar Ambient-Elementen. Vergleiche zu Bands wie LEPROUS, KARNIVOOL oder SOEN drängen sich auf. Nicht, weil JOVIAC kopieren, sondern weil sie eine ähnliche emotionale Tiefe und stilistische Bandbreite bieten. So zum Beispiel der Opener 'Level 1', der sofort mitreißt: Djent-artige Riffs, komplexe Taktwechsel. Musikalisch zwischen LEPROUS und TESSERACT, emotional aufgeladen und dynamisch strukturiert. Ein Statement-Stück. Im Gegensatz dazu steht mit 'B.O.M.B.' der wohl aggressivste Track des Albums. Rhythmisch kantig, fast schon maschinell. Wie ein mentaler Kollaps, der in Soundform explodiert. Industrial-Elemente treffen auf dissonante Riffs, der Gesang schwankt zwischen Verzweiflung und Wut. Trotzdem bleibt der Song melodisch nachvollziehbar. Ein intensiver Höhepunkt. Und dann wäre da noch 'Canvas', ein Highlight in Sachen Atmosphäre. Der Song lebt von einer luftigen Grundstimmung, getragen von zurückhaltenden Beats und warmen Gitarrenflächen. Die Lyrics kreisen um die Idee, dass wir selbst die leere Leinwand sind, auf der wir uns zeichnen, Zeile für Zeile, Tag für Tag. Die Melancholie ist nicht erdrückend, sondern reflektiv. Hier treffen PORCUPINE TREE und KARNIVOOL stilistisch aufeinander. Aber das Album ist eben nicht nur melancholisch-erdrückend und dafür steht 'Shine'. Ein Überraschungssong. Der Titel suggeriert Licht, Hoffnung und tatsächlich ist es der energetischste, vielleicht sogar optimistischste Song auf dem Album. Funkig-verspielte Basslines, fast schon poppige Harmonien im Chorus. Doch die fröhliche musikalische Oberfläche täuscht, denn der Song verhandelt das Ringen um Selbstwertgefühl. "Shine, even when you’re cracked." ist eine klare Ansage an den inneren Kritiker. Die Produktion ist ein echter Pluspunkt. Kristallklar und druckvoll, aber nicht überproduziert. Man hört jedes Detail, jede Schicht, ohne dass der Mix überfrachtet wirkt. Die Gitarren klingen satt, das Schlagzeug kraftvoll, der Bass ist präsent, ohne sich im Mix aufzudrängen. Wenttolas Stimme schwebt dabei wie ein roter Faden durch das Ganze, mal verletzlich, mal fordernd. Auffällig ist auch die Dramaturgie des Albums, denn es fühlt sich wirklich wie ein Konzeptwerk an, nicht wie eine lose Sammlung von Songs. Die Übergänge, die Spannungsbögen, das alles ist durchdacht und trotzdem emotional aufgeladen. "Shards" ist nicht nur ein Albumtitel. Es sind wirklich Bruchstücke, die sich im Laufe der Songs langsam zusammensetzen.

"Autofiction Pt. 1 - Shards" ist ein Album, das nicht einfach nebenbei laufen kann. Es verlangt Aufmerksamkeit, lässt einen innehalten, und genau das ist seine Stärke. Wer auf Musik steht, die sich Zeit nimmt für Atmosphäre, die Emotion nicht durch Lautstärke, sondern durch Substanz transportiert, wird hier fündig. Fans von modernen Prog-Bands wie SOEN, LEPROUS, HAKEN oder TESSERACT sind klar die Zielgruppe, aber auch Hörerinnen und Hörer von wohldurchdachtem Alternative Rock könnten hier einen Zugang finden. JOVIAC liefern mit diesem Album einen echten Reifebeweis ab. Es ist komplex, aber nicht verkopft. Emotional, aber nicht platt. Und vor allem macht es Lust auf mehr. Wenn der zweite teil (der Titel lässt vermuten, dass da noch was kommt) dieses Niveau hält oder gar steigert, könnte das Projekt "Autofiction" eines der spannendsten Prog-Werke der 2020er werden. Wohlverdiente neun Punkte für dieses außergewöhnliche Album.



Gesamtwertung: 9.0 Punkte
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Trackliste Album-Info
01. Level 1
02. Haven
03. B.O.M.B.
04. Burn
05. Canvas
06. Shine
07. Level 7
08. Open Eyes And Mind
09. Once
Band Website: www.joviac.com
Medium: CD, Digital
Spieldauer: 47:46 Minuten
VÖ: 16.05.2025

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