Nachtschatten - Polaris

Review von Zephir vom 02.03.2025 (16406 mal gelesen)
Nachtschatten - Polaris "Polaris": Ein Albumtitel, der mich so richtig anfixt. Das Coverart kann auch punkten - gespannt bin ich also auf das neue Album von NACHTSCHATTEN. Die Combo aus Karlsruhe hat nach dem Debüt "Prolog" (2015) und der EP "Leuchtfeuer" (2020) ihr nunmehr zweites Album auf den Markt gebracht, diesmal über Bleeding Nose Records. Mit "Polaris" präsentieren sie ein Konzeptalbum in 11 Tracks und fünf Kapiteln, das sich mit einer fiktiven Göttin gleichen Namens und ihrem Reich befasst. Dies ist eine Inhaltsbeschreibung, die mich unweigerlich an das Genre Progressive Power Metal denken lässt, eine Assoziation, die übrigens auch durch das PAGAN'S MIND-mäßige Artwork befördert wird. Zumindest mit progressive liegt man denn auch gar nicht so falsch, weil die ursprünglich als Melodic Death Metal annoncierten NACHTSCHATTEN eine Menge Experiment in ihr neues Album reinbringen. Damit - und nicht nur damit - ist im Vergleich zur Vorgänger-EP auch eine deutliche Steigerung zu verzeichnen.

Kompositorisch betrachtet verbindet "Polaris" das Konzept von experimentellem Songwriting mit progressivem, teilweise technischem Riffing einerseits und einigen melodischen Lines andererseits, die etwas leichter ins Ohr gehen und dezent hymnisch wirken, ohne dabei ins Klischee zu driften. Mit gleich drei Gitarren (Dennis Blaser, Matthias Eing und Andreas Siefert) haben sich NACHTSCHATTEN von Beginn an so aufgestellt, dass sie ein vieldimensionales Geschehen aufbauen können, in dem sich sperrige, mitunter auch vertrackte Riffs mit selbstbewussten Soli paaren. Bass (verantwortlich: Frontmann Daniel Wengle) und Drums (Pascal Fitterer) sorgen, sich diversen rhythmischen Brüchen und Spielereien hingebend, gemeinsam für die nötige Tiefe.

"Polaris" hat in seinem progressiven Rahmen durchaus einen leichten SciFi-Einschlag, der sich schon in den ersten Takten des Openers bemerkbar macht: Die wie im luftleeren Raum schwebende Tonfolge der Sologitarre befördert uns direkt zur 'Mutter Der Galaxie'. Wenn der schwer groovende Duktus mit den rauen Vocals einsetzt, wähnen wir uns schon ziemlich stark im powervollen Prog. Die Stimme von Bassist und Sänger Daniel ist dabei wie gehabt nicht so richtig deathgrowlend, sondern erinnert eher an Spielarten aus dem Modern Metal, wie vielleicht bei SAMAEL oder aus der NDH.

In Kombination mit den deutschen Lyrics kommen immer wieder Erinnerungen an die neueren EQUILIBRIUM nach ihrer paganen Phase auf: Vor allem der melodische Refrain in 'Gestirne' oder der Track 'Eden' wecken diese Assoziation. Letzterer wird im Chorus ein wenig kitschig, was ein bisschen die enigmatische Grundstimmung des Albums trübt, aber nicht sehr. Apropos enigmatische Grundstimmung: Diese kommt bisher gut rüber, ähnlich, wie es auch bei den Kollegen VANDEN PLAS immer wieder vorherrscht.

Das zweite Kapitel beginnt mit 'Herz' ein wenig NDH-mäßig, was natürlich vor allem an den deutschen Lyrics liegt. Das kehlige Organ des Sängers fügt sich in diesen Track ganz ausgezeichnet ein, sodass ich fast geneigt wäre zu meinen, dieser Düster-Duktus könnte die heimliche Berufung von NACHTSCHATTEN sein. Tatsächlich geht da aber noch mehr, und das beweisen die Jungs in den folgenden Tracks. Das recht kurze Intermezzo 'Niedergang' baut eine Spannung auf, die sich im Folgetrack entlädt, und zwar in einer Weise, in der es wirklich kein Halten mehr gibt. 'Ablass' kulminiert in einem wahren Feuerwerk aus progressivem Dark Metal; der Song bietet ungelogen den bereits oben erwähnten SAMAEL aus der Ära "Reign Of Light" Paroli. In diesem Track fahren NACHTSCHATTEN wirklich alles auf, was sie in Sachen Songwriting und Umsetzung können: Mit einer Urgewalt brechen unheildräuende Verminderte in orchestraler Manier über den Hörer hinein, Gewitterblast wechselt mit experimentellen Breaks, als I-Tüpfelchen erhaschen wir verlorene Pianoklänge und reduzierte Prog-Passagen. Das ist in seiner Mischung aus beklemmendem Okkultismus und Science Fiction so fett und dabei so überzeugend, dass mir erstens als Referenzwert tatsächlich nur die Schweizer einfallen und dass ich zweitens den Track bereits an dieser Stelle verlinken muss, damit sich die Leserschaft stante pede selbst überzeugen kann:



Was kann danach noch kommen? Das Album fällt auch in seiner Mitte nicht ab. Dass sich dieser mutmaßlichen Klimax einige akustische Takte einer piano- und cellogarnierten Halbballade anschließen - so nämlich die ersten Momente von 'Verehrung' - ist ebenso erwartbar wie gekonnt. Zumindest ich fühle mich mittlerweile vollständig abgeholt. Dass 'Verehrung' für sich allein das dritte Kapitel bestreitet, lässt erahnen, dass es bei den balladesken Tönen nicht bleibt; auch hier arbeitet sich die Komposition über vielgestaltige Prog- und Industrial-Passagen, wobei letztere übrigens den Vocals des Fronters sehr gut zu Gesicht stehen. Hier haben NACHTSCHATTEN zu ihrer Essenz gefunden. In ähnliche Kerbe, nur mit noch mehr Raserei, schlägt auch 'Purpur'. Was meiner Meinung nach auf der EP "Leuchtfeuer" noch nicht so richtig zünden wollte, hat jetzt seine richtige Gestalt angenommen. Diese - die Gestalt - heißt nach meinem Verständnis nicht Melodic Death Metal, sondern hat vielleicht noch gar keinen Namen. Sollte ich ihr einen verpassen wollen, würde ich darin sicherlich die Attribute progressive und dark verwenden.

Der ätherische, fast jazzige Beginn von 'Spuren' führt uns wieder fort von den Industrial Metal-Klängen und hin zu ganz, ganz kurzzeitig als Spoken Words erklingenden Vocals. Der Ausflug in diese Sphären bleibt knapp, da dürften sich NACHTSCHATTEN ruhig noch mehr trauen. Der anschließende Track 'Im Eis' ist dann derjenige, der vermutlich am meisten Melodeath in sich trägt, mit einem hauchfeinen elektronischen Einschlag, der schon manchen Death zum Dark Death veredelt hat.

Das fünfte und letzte Kapitel besteht wiederum aus nur einem Song, dem Titeltrack 'Polaris'. Dieser sticht nicht besonders hervor und fügt sich als Rausschmeißer nahtlos in das runde Konzept des Albums. Der Grad an Verkopftheit im Songwriting bleibt attraktiv, das Maß an Großspurigkeit gekonnt.

Was bleibt zusammenfassend zu sagen? Mit "Polaris" bringen NACHTSCHATTEN ihre Musik auf ein Fundament, das aus den oben immer wieder genannten Elementen Death, Prog, Dark- und Industrial Metal gegossen wurde. Mit der gekonnten Instrumentierung sowie den vor allem im dystopischen Dark- und Industrial-Anklang nun so richtig stimmig platzierten rauen Vocals kann mich "Polaris" überzeugen. Selten hören wir einige kitschige, simple Lines, die im ansonsten vielschichtigen, mächtigen Geschehen untergehen und damit nicht weiter ins Gewicht fallen. Klar muss man sich auch deutsche Lyrics trauen, weil Unebenheiten unsereinem hier viel eher auffallen als im Englischen - das ist eben so und fällt mir als Lyrics-Liebhaberin auf, soll insgesamt aber kein Manko sein. Schließlich erzählt "Polaris" ja ein kleines Epos, das die Hörerschaft schon nachvollziehen können sollte.

Was zum stimmigen Gesamtbild des Werkes beiträgt, ist das proggige, SciFi-mäßige Cover, das mit der ultracleanen, serifenlosen, post-technokratischen Type im Albumtitel und im Innenteil harmoniert. Lediglich das Bandlogo, das mich nach wie vor an Mittelalter-Goth erinnert und damit in die Irre führt, passt nicht so richtig rein. Sofern NACHTSCHATTEN nach "Polaris" auf dem Weg in Richtung dystopischen Dark Prog Metals bleiben, wäre dieser Aspekt einmal überdenkenswert. Stehen tut ihnen diese nun eingeschlagene Richtung allemal. Ich freue mich auf Live-Shows.

Gesamtwertung: 7.5 Punkte
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Trackliste Album-Info
I
01. Mutter Der Galaxie
02. Gestirne
03. Eden

II
04. Herz
05. Niedergang
06. Ablass

III
07. Verehrung

IV
08. Purpur
09. Spuren
10. Im Eis

V
11. Polaris
Band Website: www.nachtschatten-band.com
Medium: CD
Spieldauer: 47:44 Minuten
VÖ: 21.02.2025

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