Interview mit Tiziano von Angel Martyr

Ein Interview von Tailgunner vom 23.03.2021 (10507 mal gelesen)
Das italienische Power-Trio ANGEL MARTYR hat mit "Nothing Louder Than Silence" unlängst ein richtig starkes Album herausgebracht, welches in Underground-Kreisen guten Anklang gefunden hat. Da sie mich damit auch gekriegt haben, war es mir ein echtes Vergnügen, Bandleader Tiziano mit einigen Fragen zu beehren. Dieser stellte sich als absolut sympathischer Maniac heraus, der zur Not auch mal mit Hund und Dosenbier vor dem Studio kampiert, um seiner musikalischen Mission gerecht zu werden.


Hey Tiziano, zunächst einmal hoffe ich, dass es Dir gut geht!

Tiziano: Hallo Sebastian. Danke der Nachfrage, hier ist alles in Ordnung!

Da ANGEL MARTYR einen gewissen Underground-Ansatz haben, ist vielleicht nicht jeder mit eurem Wirken vertraut. Würdest du dich und deine Bandkollegen vielleicht kurz vorstellen und uns etwas über den Hintergrund und die Geschichte von ANGEL MARTYR mitteilen?

Tiziano: Ja klar. ANGEL MARTYR entstanden 2012 aus den Überresten von WRAITH SING, der Band, welche ich vor über 10 Jahren am Start hatte und deren Hauptsongwriter ich war. Wir spielten Old-School Heavy Metal, der jedoch auch einige wenige moderne Einflüsse aufwies. Wir waren, genau wie ANGEL MARTYR, ein ziemliches Power-Trio. Ich war der Lead-Singer und auch der Lead-Gitarrist, der Bassist Tiziano Atreiu Cosci war zudem der zweite Gitarrist. Nach einigen Jahren beschlossen wir, den Sound und das Riffing zu ändern, da wir mit den Ergebnissen einfach nicht zufrieden waren. Danach war eine Namensänderung der logische nächste Schritt und ANGEL MARTYR waren geboren. Später gingen Atreiu und ich jedoch getrennter Wege, da wir unterschiedliche musikalische Ansichten entwickelten, dennoch blieben wir über all die Jahre sehr gute Freunde. 2012 fragte ich dann schließlich Dario Rosteni, ob er einsteigen wolle, um den MARTYR-Weg fortführen zu können. Er nahm mein Angebot an und gemeinsam rekrutierten wir schließlich noch Francesco Taddei (ex ETRUSGRAVE) für die Drums. Die Musik, die wir fortan komponierten, war teilweise etwas direkter als damals bei WRAITH SING, aber abgesehen von einigen Zweifeln, welche ich zu Beginn durchaus hatte, kann ich im Nachhinein sicher sagen, dass ich die richtigen Entscheidungen getroffen habe, hehe. Aufgrund von persönlichen Problemen stieg Francesco 2018 leider wieder bei ANGEL MARTYR aus, nachdem wir unser Debüt "Black Book: Chapter One" veröffentlicht hatten, aber auch in diesem Fall hat unsere Freundschaft darunter nicht gelitten! Er ist nach wie vor unser größter Unterstützer und sehr glücklich über "Nothing Is Louder Than Silence". Jedenfalls schloss sich uns noch im Jahr 2018 Niccolò Vanni als neuer Schlagzeuger an und verpasste ANGEL MARTYR einen komplett neuen Groove und eine Menge zusätliche Power, was den Gesamtsound definitiv nach vorne katapultiert hat. Hört euch "Nothing Louder Than Silence" an, es ist wirklich offensichtlich.

Ich mag den etwas rauen Sound von "Black Book: Chapter One" wirklich gerne, aber der Sound auf "Nothing Is Louder Than Silence" ist deutlich professioneller, ohne dabei zu poliert zu klingen. Habt ihr für euer zweites Album den Produzenten und/oder das Studio gewechselt?

Tiziano: Nun, ich denke die Evolution des Sounds, welche du da ansprichst, hat tatsächlich mehrere Gründe. Zunächst, ja, wir haben das Studio gewechselt. Wir gingen in das Paraphernalia Studio, dessen Besitzer Matteo Zola Niccolai auch der Produzent ist. Ich arbeite mit ihm bereits seit vielen Jahren zusammen, da wir in Florenz und Prato immer mal Konzerte und Events veranstalten. Von daher wusste ich sehr genau, wie professionell er agiert. Als die Zeit für das zweite Album kam, war mir klar, dass ich bei ihm aufnehmen möchte. Ich bin davon überzeugt, die richtige Wahl getroffen zu haben. Ein weiterer Punkt, der auch die musikalische Weiterentwicklung erklärt ist, dass Dario und ich nun bereits seit so vielen Jahren zusammenarbeiten und einfach eine sehr starke musikalische Bindung entwickelt haben. Das mag vielleicht nebensächlich klingen, aber wenn man immer und immer wieder mit derselben Person auf der Bühne steht, entwickelt sich einfach eine extrem enge Bindung, die einen technisch und persönlich nach vorne bringt. Das gleiche gilt für die gegenseitige musikalische Beeinflussung, die sich automatisch einstellt, wenn eine Band lange besteht. Veränderungen sind immer Teil der Geschichte und der Kreislauf des Lebens. Davon auszugehen, nichts würde einer Veränderung unterliegen, wäre so als sähe man zwar, dass die Erde vom Menschen bevölkert ist, aber nicht erkennt, dass er die Evolution vom Steppenbewohner hin zum modernen Menschen vollzogen hat. Das ist jetzt womöglich nicht das allerbeste Beispiel, aber ich hoffe, man versteht, was ich damit ausdrücken möchte.

Ihr seid ja offensichtlich nicht auf den schnellen "Hit" aus, da eure Songs doch eher lang ausfallen, wobei 'My Name Is Legion' gar epische 12 Minuten erreicht. Kommt die lange Spielzeit der Songs zustande, weil die Songs sich einfach so entwickeln, oder steckt da auch ein Stück weit Vorsatz dahinter?

Tiziano: Ehrlich gesagt kann ich da gar nicht so präzise drauf antworten. Ich kann nur sagen, dass wenn ich ein Stück schreibe und es dann später mit den anderen ausarbeite, ich versuche, mir da nicht allzu viele Gedanken zu machen oder mir gar Grenzen aufzuerlegen. Da ist dann am Ende die Länge eines Songs mein geringstes Problem. Ich mach mir dann eher Gedanken darüber, ob der Song stimmig ist, egal wie lange er dauert, und ob die Atmosphäre dem Thema angemessen ist. Bei 'My Name Is Legion' sprechen wir von einem Konzept-Stück. Die Intention dahinter war, mit Hilfe eines Präludiums ('The Arrival In Gerasenes Land') eine vollständige Passage aus dem Alten Testament, teilweise mit Originalzitaten, musikalisch umzusetzen. Wenn man das richtig machen will, schafft man das sicher nicht in drei oder vier Minuten, hehe.

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Euer Stil ist durchaus eigenwillig und auf jeden Fall eigenständig, da ihr zwar grundsätzlich ziemlich flott unterwegs seid, aber dennoch ausgesprochen episch klingt. Zudem erinnert dein leicht nasaler Gesang sicherlich auch an Mark Shelton. Ist das eigentlich so gewollt, oder ist das schlichtweg deine natürliche Gesangsstimme?

Tiziano: Wow! Danke für diese tolle Einschätzung! Mark Shelton ist in jedem Fall einer meiner absoluten Hohepriester im Metal, weswegen ich ganz bestimmt, ob bewusst oder unbewusst, von ihm beeinflusst bin. Der Hauptgrund für meine Stimmfarbe liegt aber an einer verkrümmten Nasenscheidewand, wobei ich mich stets geweigert habe, das operativ korrigieren zu lassen, hahaha! Was unsere epische Seite angeht, die man in unseren Songs in jedem Fall vernehmen kann: Das liegt natürlich auch mit daran, dass ich seit über 10 Jahren bei ETRUSGRAVE aktiv bin. Ganz sicher hat die Art und Weise, in der mich Fulberto Serena in dieser Zeit angeleitet hat, die Songs zu interpretieren, auch auf meine Arbeitsweise bei ANGEL MARTY abgefärbt.

Da wir davon gesprochen haben, wie ANGEL MARTYR klingen, was sind deine persönlichen musikalischen Haupteinflüsse?

Tiziano: Ich steh auf alle möglichen Spielarten des Metal, auch andere Musik wird nicht grundsätzlich abgelehnt. Die Haupteinflüsse sind aber ganz sicher Bands wie IRON MAIDEN, MANILLA ROAD, OMEN, JUDAS PRIEST, BLACK SABBATH, MOTÖRHEAD und EXCITER, also im Grunde genommen die großen Alten, die den Metal geprägt haben. Darüber hinaus steh ich allerdings auch ziemlich auf Death Metal, wie etwa DEATH, OBITUARY, DISMEMBER, aber auch moderneren Metal wie etwas die ersten Alben von AMON AMARTH, CRADLE OF FILTH, MASTODON und noch vieles mehr. Ich liebe grundsätzlich gute Musik, die mit Herzblut erschaffen wurde, dass muss dann auch nicht zwangsläufig Metal sein.

Welche Themen behandelst du eigentlich in deinen Lyrics? Geht es dabei um Fantasy-Zeug und Romane?

Tiziano: Die beiden Themen, die ich vorzugsweise in meinen Texten behandle, sind die menschlichen Abgründe und Theologie. Ich bin allerdings weder christlich noch überhaupt irgendwie religiös eingestellt. Ich bin auch davon überzeugt, dass diese beiden Themen eng miteinander verknüpft sind. Es ist sicher auch nichts Neues, dass Entbehrung und Leid, welche von religiösen Institutionen über die Menschen gebracht wurden, oft das Schlechteste im Menschen zutage gefördert haben. Nimm etwa Dinge wie Pädophilie, die anhaltende Verfolgung und Bestrafung angeblicher Sünder und so weiter. Das Zölibat, also die völlige sexuelle Enthaltsamkeit, entspricht ganz sicher nicht der Natur des Menschen und ist mitunter auch die Ursache, warum so viele schlimme Dinge von kirchlichen Würdenträgern begangen werden. Das ist natürlich nur meine persönliche Meinung. Wie auch immer, wenn du dir unsere Texte anschaust, wirst du auch einige Referenzen an übernatürliche und paranormale Ereignisse finden.

Traurigerweise kommt derzeit kaum ein Interview daher, in dem nicht auch auf die Seuche eingegangen wird, die unsere Welt derzeit im Würgegriff gefangen hält. Die anhaltende Corona-Pandemie. Hat sie den Entstehungsprozess des Album beeinträchtigt? Könnt ihr proben? Von irgendwelchen Live-Aktivitäten fange ich natürlich gar nicht erst an.

Tiziano: Dieser Sch*** macht mich noch wahnsinnig! Einige mir nahestehende und liebe Menschen arbeiten im Gesundheitswesen. Die riskieren täglich ihr Leben und kommen Abends vollkommen ausgebrannt nach Hause, nur weil es da draußen einen Haufen A***er gibt, die nach einem Jahr der Pandemie mit all den Toten und den schlimmen wirtschaftlichen Auswirkungen es nicht einsehen, eine verdammte Maske zu tragen und sich an ein paar einfache Regeln zu halten. Wie auch immer. Was ANGEL MARTYR angeht, so hatten wir die Stücke bereits vor der ersten Welle aufgenommen und hatten da somit keine Probleme. Meine Gitarren-Parts habe ich im Sommer 2019 aufgenommen. Zu der Zeit lebte ich für einige Wochen in meinem Camper vor dem Studio und litt auch noch unter den Nachwirkungen einer Operation. Ich war also nicht unbedingt in der idealen Verfassung. Aber ich hatte die beste Gesellschaft, die man sich nur wünschen kann. Bier und meinen geliebten Hund. Ich habe an diese Zeit wirklich tolle Erinnerungen. Konzerte planen wir natürlich überhaupt nicht und wir konnten schon seit Monaten nicht mehr proben ...

Wie sehen denn eure Pläne für eine Zeit nach Corona aus?

Tiziano: Auf jeden Fall all die verlorenen Gigs nachholen, welche uns die verdammte Pandemie versaut hat und darüber hinaus auch neue planen, um das Album zu promoten. Außerdem wollen wir unsere Web-Präsenz verbessern, dafür habe ich auch schon einige Ideen. Zudem möchte ich auch schon bald wieder damit beginnen, an neuem Material zu arbeiten.

Welches war das letzte Konzert, das du besuchen konntest, bevor die Pandemie ausbrach und welche Platte hast du dir zuletzt gekauft?

Tiziano: Ich hab im Januar 2020 noch ein paar Underground-Gigs in Florenz besuchen können. Das Beste war aber noch das DEATH SS-Konzert in Mailand. Wir konnten letzten Sommer sogar selbst noch eine Show in Viareggio spielen, bevor die verfluchte zweite Welle uns voll erwischt hat. Meine letzten Scheiben waren die "The Book Of Souls - Live Chapter" 2-CD von IRON MAIDEN und eine Best-Of-LP von HEIR APPARENT.

Tiziano, ich danke dir, dass du dir die Zeit für meine Fragen genommen hast. Ich wünsche dir für die Zukunft alles Gute und überlasse dir natürlich das Schlusswort.

Tiziano: Das wünsche ich dir ebenfalls und ich danke dir für dieses tolle Interview! Ich hoffe, bald unsere Fans - alte wie neue - auf unseren Konzerten wieder zu treffen. Derweil, bleibt stark, bleibt gesund und schaut euch doch mal unsere Streaming-Angebote an. Ihr findet uns auf Spotify, Apple-Music und Bandcamp. Ihr könnt uns auch auf Facebook, Instagram und YouTube folgen. Enter the MARTYR-Force! \m/

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